Abgelehnte Asylbewerber: Mit Zwang zurück

Obwohl ihre Anträge abgelehnt wurden, bleiben viele Flüchtlinge hier. Manche haben sogar ein Recht darauf.

Menschen auf einer Flugzeugtreppe

Eine Sammelabschiebung in Baden-Württemberg im Februar 2015. Foto: dpa

BERLIN taz | Erfurt, Thüringen, ein Montag im August 2015: Die CDU-Fraktion hat eine Sondersitzung des Landtags beantragt, weil die Flüchtlingsheime im Freistaat vollkommen überfüllt sind. Als Fraktionschef darf Mike Mohring die Debatte eröffnen, und als er am Rednerpult steht, wird es für die Koalition ungemütlich.

„Glückwunsch!“, ruft Mohring in den Saal. „Sie sind unprofessionell! Sie können es nicht! Und Sie wollen es auch gar nicht können!“ Was er damit meint: Die rot-rot-grüne Landesregierung könne nicht abschieben.

Abgelehnte Asylbewerber müssten „umgehend in ihre Herkunftsstaaten zurückgeführt werden“, fordert die Thüringer CDU in ihrem Antrag. Damit ist sie nicht allein: Nach Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Innenminister Thomas de Maizière verlangte am Sonntag auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Bundesländer unerwünschte Ausländer schneller aus dem Land schaffen, um Platz für Neuankömmlinge zu schaffen.

Dabei haben sie die Statistiken scheinbar auf ihrer Seite. Im letzten Jahr „gab es etwa 200.000 Asylanträge, aber nur 10.884 Abschiebungen“, schreibt etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Gemessen an der Zahl der Asylbewerber würden sogar immer weniger Personen abgeschoben. Von allen Ausländern, die die Behörden zum Gehen aufforderten, hätten in den vergangenen Jahren nur 15 Prozent das Land verlassen.

Deutschland im Abschiebestau? Nun ja. Tatsächlich bleiben viele Menschen hier, obwohl ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Dabei geht es aber um weniger Personen, als manche Zahlen suggerieren. Und nicht in allen Fällen sind die Landesregierungen schuld, denn viele abgelehnte Asylbewerber dürfen aus guten Gründen in Deutschland bleiben.

Ein Blick auf die Statistik: Im vergangenen Jahr stellten knapp über 200.000 Asylbewerber einen Asylantrag in Deutschland. Weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge überlastet ist, entschied es bis Jahresende nur über 128.911 Anträge. Rund 43.000 davon lehnte die Behörde ab.

Gravierende Abschiebehindernisse

41,5 Prozent der abgelehnten Asylbewerber waren ein halbes Jahr später außer Landes – weil sie abgeschoben wurden oder freiwillig ausreisten. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Ulla Jelpke (Linksfraktion) hervor. Bleiben noch rund 60 Prozent beziehungsweise 25.000 Menschen, die jeweils zur Hälfte vom Westbalkan und aus anderen Regionen kommen.

Zum Vergrößern Grafik anklicken. Grafik: info-berlin.de/S. Weber

Manche von ihnen durften erst mal bleiben, etwa weil sie schwer krank oder schwanger waren. Manche haben einen Folgeantrag gestellt, weil sich die Situation in ihrem Heimatland geändert hat und sie sich jetzt mehr Chancen auf Asyl ausrechnen. Manche haben in der Zwischenzeit einen Deutschen oder eine Deutsche geheiratet und bekommen deshalb einen Aufenthaltstitel. Manche, etwa aus Syrien, können nicht zurück nach Hause, weil in ihrem Heimatland Krieg herrscht.

Eine ganze Reihe abgelehnter Asylbewerber kann also gravierende Abschiebehindernisse vorweisen. Auch die konsequenteste Landesregierung würde sie nicht aus dem Land schaffen. Für wie viele der 25.000 Menschen das gilt, ist aber unklar: In ihrer Statistik macht die Bundesregierung hierzu keine Angaben.

Länder schieben schneller ab

Offen bleibt daher auch, wie viele der 25.000 zur anderen Gruppe gehören: abgelehnte Asylbewerber, die eigentlich weg sein müssten, aber noch immer hier sind. Bei ihnen haben die Länder Spielraum: Sie können für mehr Personal in den Ausländerbehörden sorgen, um Abschiebungen schneller zu organisieren (wie zum Beispiel in Hamburg). Sie können den Betroffenen ihre Abschiebetermine verschweigen und damit Proteste und Sitzblockaden von Unterstützern verhindern (wie in Sachsen-Anhalt). Oder sie können dieses Jahr auf einen Winterabschiebestopp verzichten (wie voraussichtlich in Schleswig-Holstein).

Viele Bundesländer nutzen diesen Spielraum bereits stärker aus als früher. 8.178 Personen wurden im ersten Halbjahr 2015 bundesweit abgeschoben, das sind fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Vor allem Ausländer vom Westbalkan müssen vermehrt gehen.

Manche Bundesländer halten sich aber auch zurück. Thüringen zum Beispiel, wo die Landtags-CDU tobt, weil die Behörden im ersten Halbjahr nur 59 Menschen abgeschoben haben.

Unterstützung bei freiwilliger Ausreise

Der grüne Migrationsminister des Freistaats verteidigt sich. „Klar ist, dass rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber Deutschland grundsätzlich zu verlassen haben“, sagte Dieter Lauinger während der Sondersitzung des Thüringer Landtags. „Ich setze allerdings nach wie vor auf das Prinzip der freiwilligen Ausreise.“

Für einen abgelehnten Asylbewerber hat es Vorteile, der Abschiebung zu entgehen, indem er freiwillig ausreist: Er kann die Heimreise selbst organisieren, statt von Polizisten in den Abschiebeflieger gezerrt zu werden. Er kann eine Wiedereinreisesperre vermeiden. Und er kann auf eine Prämie aus dem Programm „Bundesweite finanzielle Unterstützung freiwilliger RückkehrerInnen“ hoffen. Dabei können die Flüchtlinge neben den Reisekosten auch Unterstützung für ein neues Leben in der alten Heimat erhalten.

„Im Jahr 2014 sind in Thüringen 896 Personen freiwillig ausgereist. Für das Jahr 2015 liegen noch keine gesicherten Zahlen vor“, sagt Lauinger. Der Thüringer Opposition sind aber auch diese Zahlen zu niedrig, außerdem machen die Landräte Druck. Inzwischen hat Rot-Rot-Grün nachgegeben: In der vergangenen Wochen hat die Regierung erst das Abschiebepersonal der zuständigen Landesbehörde aufgestockt. Dann entschied sie, dass statt des Landes in Zukunft die Kommunen selbst Abschiebungen anordnen dürfen – damit es schneller geht.

Billiger als Zwang

In Rheinland-Pfalz laufen die Diskussionen ähnlich. Das rot-grün geführte Bundesland setzt ebenfalls auf die freiwillige Ausreise und hat dafür ein eigenes Landesprogramm aufgelegt: Ausreisepflichtige erhalten Startgelder für Existenzgründungen in ihren Heimatländern. Eine Schneiderin soll sich davon zum Beispiel eine Nähmaschine kaufen können.

Das Programm kostet pro Jahr 1,4 Millionen Euro. 2015 stockt es die Regierung um eine zusätzliche Million auf. Die grüne Integrationsministerin Irene Alt sagt, dass sich die Ausgaben lohnen: Selbst mit der Starthilfe für Existenzgründungen seien freiwillige Ausreisen für das Land günstiger als Abschiebungen.

Trotzdem kommt auch hier Kritik aus der Opposition: Das Abschieberisiko sei auch für diejenigen gering, die nicht freiwillig ausreisen, sagte der Landtagsabgeordnete Adolf Kessel (CDU) im Mai.

Baden-Württemberg schiebt fleißig ab

Ganz anders ist die Situation in Baden-Württemberg. „Wir können alles – auch abschieben“, mag sich die grün-rote Regierung in Abwandlung des alten Werbeslogans denken. Kretschmanns Landesregierung will sich offenbar nicht nachsagen lassen, nachlässiger zu agieren als die Vorgängerregierungen.

Zwar berichten Flüchtlingsanwälte, dass die Behörden im Land weniger rigoros vorgehen als in den Zeiten der CDU-Ministerpräsidenten Teufel, Oettinger und Mappus. Trotzdem liegt das grün-rote Baden-Württemberg mit an der Spitze, wenn es um die Zahl der Abschiebungen geht. 1.079 Personen hat das Land im ersten Halbjahr 2015 abgeschoben – fast so viele wie im gesamten Vorjahr. Stärker sind die Zahlen lediglich in Bremen und Bayern gestiegen.

Aus Sicht der Hardliner ist das eine Erfolgsmeldung. Aus Sicht der Linkspartei allerdings nicht. „Dass die Zahl der Abschiebungen im Jahr 2015 bundesweit noch einmal deutlich zugenommen hat, ist höchst alarmierend“, sagt die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke. Vor allem für Roma vom Balkan bräuchte es statt schneller Abschiebungen „eine wirksame Strategie zur Inklusion der Roma und Beseitigung ihrer systematischen Ausgrenzung“.

Eine edle Forderung. Nur: Merkel, Kretschmann und Co wird Jelpke damit so schnell nicht überzeugen.

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