Altersbestimmung bei Flüchtlingen: Schwanz bleibt Schwanz

Genitaluntersuchungen sollen in Hamburg weiter zur Altersbestimmung jugendlicher Flüchtlinge gehören. Rot-Grün will das nicht ändern.

Auch dieser Steinzeit-Dildo sagt nichts darüber aus, wie lang ein Penis in welchem Alter sein sollte Foto: Peter Zetter/ dpa

HAMBURG taz | Auf junge Flüchtlinge will Hamburg auch weiterhin ein besonderes Auge werfen. Die rot-grüne Koalition wird am morgigen Donnerstag in der Bürgerschaft einen Antrag der FDP ablehnen, den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nicht mehr auf Brüste und Penis zu starren.

Diese Untersuchungen in der Rechtsmedizin der Uniklinik Eppendorf (UKE) seien „keine zwangsweisen körperlichen Untersuchungen“, erklärt Melanie Leonhard, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion. Wer sie verweigere, habe keine Nachteile zu befürchten. Zudem falle „diese zentrale Untersuchung im Zweifel immer zu Gunsten der Jugendlichen aus“, beteuert der grüne Fraktionschef Anjes Tjarks.

Um das Alter von jugendlichen Flüchtlingen zu ermitteln, setzt die Stadt das gesamte Arsenal an Medizintechnik im UKE ein: Aufnahmen der Kieferknochen, Röntgenbilder von Handskelett und Schlüsselbein und gern noch eine Computertomographie obendrauf, auch der geschulte Blick dürfe nicht fehlen, hatte der Senat vor zwei Monaten auf eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Jennyfer Dutschke (FDP) geantwortet.

„Hochnotpeinlich“

In Hamburg kommen jedes Jahr Hunderte minderjährige unbegleitete Flüchtlinge an.

Erstkontakt: Hat in der Regel der „Kinder- und Jugendnotdienst“ (KJND). Zu ihm werden Geflüchtete überwiesen, die angeben minderjährig zu sein.

Unterbringung: Erfolgt für Jungen in den ersten Monaten in drei Erstversorgungseinrichtungen. Für Mädchen gibt es eine separate Einrichtung.

Zweifel: Wird ein angeblich minderjähriger Jugendlicher vom KJND als volljährig eingeschätzt, muss er sich am Rechtsmedizinischen Institut des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) einer medizinischen Untersuchung zur Altersbestimmung unterziehen.

„Es erfolgt eine Inaugenscheinnahme der bezüglich einer Abschätzung des Entwicklungs- bzw. Reifezustandes maßgeblichen Partien der Körperoberfläche, insbesondere bei männlichen Probanden der Gesichtsregion und der Achselhöhlen sowie der Genitalregion.

Bei weiblichen Probanden erfolgt eine Inspektion des Entwicklungszustandes der Brustdrüsen“, so die detailfreudige Senatsauskunft, über die Dutschke gar nicht erfreut war. Sie hält die „hochnotpeinliche Intimuntersuchung für unwürdig“.

Laut Senat ist die Teilnahme an der ärztlichen Untersuchung zwar „freiwillig“. Werde sie jedoch verweigert, „wird die Inobhutnahme beendet“: Wer sich verweigert, wird eben für volljährig erklärt. Sehr kritisch sieht Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Hamburger Ärztekammer, das Verfahren: „Auch bei Untersuchungen der Geschlechtsmerkmale muss die Privatsphäre gewahrt bleiben. Dass Jugendliche in die Gruppe der Erwachsenen eingeteilt werden, wenn sie an der Untersuchung nicht mitwirken, konterkariert die vorgebliche ‚Freiwilligkeit‘ und ist weder menschlich noch medizinisch gerechtfertigt.“

SPD beharrt auf Nacktscan

Deshalb fordern die Liberalen in ihrem aktuellen Antrag, die Privatsphäre der Betroffenen strikt zu achten und „auf die Praxis der Genitaluntersuchung zum Zweck der Altersschätzung zu verzichten“. Da aber machen SPD und Grüne nicht mit. Das Verfahren habe sich bewährt, „das Wohl der Kinder und Jugendlichen steht an erster Stelle“, versichert Tjarks.

Und fügt nun hinzu: „Keine Inobhutnahme wird beendet, weil der Jugendliche die Untersuchung ablehnt.“ Das bestätigt auch Leonhard: „Es hat keine nachteiligen Konsequenzen.“ Dieses „Agreement aller beteiligten politischen und behördlichen Stellen“, so Leonhard, wäre immerhin ein Fortschritt gegenüber der Senatsauskunft von Ende Juni.

Intern hat es in der rot-grünen Koalition wegen dieses Themas gewaltig geknirscht. Denn viele Grüne sehen das Verfahren äußerst kritisch und möchten es beenden. Damit aber konnten sie sich gegen ihren großen Partner nicht durchsetzen. Die SPD-Fraktion und nicht zuletzt die in Flüchtlingsfragen federführenden Behörden Inneres, zu der die Ausländerbehörde gehört, und Soziales beharrten auf dem Nacktscan.

Es gehe jetzt „um eine pragmatische Lösung“, sagt deshalb die grüne Innenpolitikerin Antje Möller – und kündigt zugleich weiteren Gesprächsbedarf an: „Die grundsätzliche Diskussion über das Verfahren ist davon unberührt und wird fortgesetzt.“

Darauf zählt auch die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christiane Schneider. Die Linke werde dem FDP-Antrag zustimmen, weil dieser ein Schritt in die richtige Richtung sei. „Aber bei nächster Gelegenheit werden wir das Thema wieder auf die Tagesordnung heben“, sagt Schneider: „Das Verfahren muss beendet werden.“

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