RTL-Serie „Deutschland 83“: In der Arschritze der Geschichte

Es geht doch! „Deutschland 83“ ist eine tolle neue Serie. Im November kommt sie ins Fernsehen – ausgerechnet bei RTL.

Jungspion Martin/Moritz (Jonas Nay)

Ambitionierte Jungspion Martin/Moritz (Jonas Nay). Foto: RTL

Na bitte. Es geht doch.

Eine deutsche Serie, die ihren Zuschauern endlich mal was zumutet und trotzdem das Zeug hat, auch jenseits irgendwelcher Arte-Nischen zu begeistern. „Deutschland 83“, das ist die Geschichte vom Ost-Jungen Martin, der als Spion in die Bundeswehr eingeschleust wird. „Deutschland 83“, das ist aber auch die Geschichte von Pershing-2-Raketen, diplomatischer Eskalation im Kalten Krieg und wie es sich angefühlt hat, da mitten drin zu leben. Ein Zustand, den Bundeswehrgeneral Edel (Ulrich Noethen) nachts vor seinem Aquarium schon zusammenfasst mit den Worten: „Wir sitzen sozusagen mitten in der Arschritze.“

Keiner aber hängt mehr in der Arschritze als Jungspion Martin (Jonas Nay). Der will eigentlich gar nicht raus aus der DDR, und dann das: Ein konspiratives Gespräch, und, zack, wacht er im Westen auf, wo er ein Puma-Shirt, weiße Turnschuhe und eine Blitzschulung als Spion erhält. Um dann, mit neuer Identität als Bundeswehr-Adjutant Moritz Stamm, erst linkisch, dann immer kühner, Spionageauftrag nach Spionageauftrag abzuarbeiten. Anfänglich motiviert von DDR-Vaterlandsverteidigungsparolen. Zunehmend aber auch vom Thrill, den das Leben als Spion so mit sich bringt.

Um den historischen Kontext mitzuliefern, bleibt die Kamera an einem Röhrenfernseher hängen, auf denen Kohl, Honecker und Reagan Kalte-Kriegs-Rhetorik abfeuern. Und damit die Kost nicht allzu schwer wird, wird dies garniert mit 80er-Jahre-Popkultur: Martins garstige Tante (Maria Schrader) als Mannequin für die Damenmode der 80er, Splitscreen-Schnitte mit Ost- und Westprodukten. Und natürlich: Musik, Musik, Musik. „Völlig losgelöst von der Erde“ tönt „Major Tom“, als Martin das erste Mal im Supermarkt vor der vollen Obst- und Gemüsetheke steht. „99 Luftballons“ drinnen auf der Party von Martins Mutter, während draußen politisch korrekter Ostrock läuft.

Am Klischee entlanggeschrappt

Und natürlich New Orders „Blue Monday“, der Song, zu dem die Kamera im Vorspann langsam um Martin kreist, auf dessen nackte Haut Atompilze, Friedenstauben und andere prägende Symbole der Zeit projiziert werden. „Es ist Konzept, dass die Musik Teil des Films ist“, sagt Regisseur Edward Berger. Weil damit Assoziationen, Erinnerungen abgerufen werden könnten. Was absolut stimmt. In der Praxis aber manchmal hart am Klischee entlangschrappt.

Wie einige Szenen im Film. Schon klar, in der DDR war FKK ein Ding. Aber muss Martins eben noch treue Freundin Annett sich deshalb sofort nackig machen, sobald ein See in Sicht kommt, und im Wasser mit einem anderen rummachen?

Wirklich tollkühn ist es natürlich nicht, eine Spionagegeschichte zu erzählen, Jahre nachdem in den USA Serien von „Homeland“ bis zu „The Americans“ längst bewiesen haben, dass das läuft. Trotzdem ist „Deutschland 83“ bemerkenswert. Weil hier so viel auf einmal stimmt: Schauspieler, akribische Ausstattung und ein Erzähltempo, das wirklich Spannung erzeugt. Eine rundum hochwertige Serie – produziert ausgerechnet von RTL. Einem Sender, der bei Eigenproduktionen sonst Spannung mit Explosionen auf der Autobahn verwechselt und Qualitätsserien mit billig abgekupferten Krankenhaus-Stoffen.

„Aus strategischen Gründen“ seien die 80er prädestiniert für die Eventserie, sagt Frank Hoffmann, Geschäftsführer Programm bei RTL. Babyboomer, 80er-Revival, schon klar. Und man hat wenig dem Zufall überlassen: Den Stoff hat TV-Guru Nico Hofmann entwickelt.

Eine Doku - leider

Mit Showcreator Anna Winger eine Autorin an Bord geholt, die US-Amerikanerin ist – also schon quasi qua Herkunft von der Aura umgeben sein mag, Serien oder zumindest zeitgenössisches amerikanisches Erzählen zu können. Beziehungsweise einen frischen Blick aufs Deutsch-Deutsche zu werfen – der dazu geführt hat, die Story aus der Sicht des eigentlich überzeugten DDR-Bürgers Martin zu erzählen.

„Deutschland 83“ lief bereits in den USA beim Bezahlsender SundanceTV und erhielt viel Kritikerlob. In Deutschland will RTL die acht Teile im November ausstrahlen, hat die zweite Staffel schon in Auftrag gegeben. Was toll ist. Hätte der Sender nicht die Idee gehabt, sie mit einer Dokumentation zu garnieren. Peter Klöppel und Inka Bause auf den Spuren des Jahres 1983.

Was etwas RTLig, aber erträglich ist, wenn Klöppel einen Historiker in einer pittoresk verrottenden Rotarmisten-Kaserne zu den damaligen Ereignissen interviewt. Aber sofort ins Peinliche umschlägt, wenn Inka Bause den 1983 noch nicht einmal geborenen Jonas Nay zu seiner Liebe zu 80er-Jahre Musik interviewt, Nena nochmal die 99-Luftballons-Story aufwärmen lässt und eine Aerobic-Lehrerin zum damaligen Trend befragt.

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