Porsche-Mann wohl neuer Vorstandschef: Müller soll VW führen

In der Affäre um manipulierte Abgastests hat VW offenbar einen Nachfolger für Martin Winterkorn gefunden. Der Skandal weitet sich derweil aus.

Matthias Müller schaut aus einem Auto-Fenster.

Er sitzt zukünftig bei VW am Steuer: der bisherige Porsche-Chef Matthias Müller Foto: reuters

PRAG/MADRID/HAMBURG/BERLIN rtr/dpa | Mehreren Medienberichten zufolge wird Porsche-Chef Matthias Müller neuer Vorstandschef von Volkswagen. Der Aufsichtsrat werde den 62-jährigen Manager am Freitag zum Nachfolger von Martin Winterkorn bestellen.

Das Abgas-Desaster bei Volkswagen bekommt eine neue Dimension: Der Wolfsburger Konzern räumte nach den Worten von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ein, auch in Europa bei Tests die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben. „Es wurde uns mitgeteilt, dass auch in Europa Fahrzeuge mit 1,6 und 2,0-Liter Dieselmotoren betroffen sind von den in Rede stehenden Manipulationen“, sagte der CSU-Politiker am Donnerstag in Berlin.

Ein VW-Sprecher verwies auf eine Mitteilung vom Dienstag, wonach weltweit bis zu elf Millionen Fahrzeuge von Unstimmigkeiten in den Messwerten betroffen sein könnten. Dazu gehöre auch Europa. „Und Deutschland auch, das haben wir schon zugegeben.“ Eine Aufschlüsselung der Stückzahlen nach Marken, Ländern und Modellen solle so bald wie möglich bekannt gegeben werden.

Dobrindt bezog sich bei seinen Aussagen auf Angaben der von ihm eingesetzten Untersuchungskommission, die überprüfen soll, ob die betreffenden Fahrzeuge konform mit deutschen und europäischen Regeln gebaut und geprüft worden sind. Die Kommission war bereits in Wolfsburg vor Ort. Der Minister ließ offen, ob die VW-Fahrzeuge nun aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Die genaue Zahl der betroffenen Pkw sei noch unbekannt. Zugleich kündigte er an, die angeordneten Abgas-Nachprüfungen würden auch auf andere Marken als VW ausgedehnt.

Wegen eines Berichts über angeblich ebenfalls erhöhte Abgas-Werte bei Dieselfahrzeugen brach die BMW-Aktie zeitweise um mehr als neun Prozent ein. BMW erklärte dazu, bei seinen Fahrzeugen blieben alle Abgassysteme immer aktiv. „Bei der BMW Group wird nicht manipuliert und wir halten uns selbstverständlich in jedem Land an die gesetzlichen Vorgaben und erfüllen alle lokalen Testvorgaben.“

Skandal weitet sich auf Seat und Skoda aus

Von den Problemen mit manipulierten Abgaswerten bei VW sind neben Audi weitere Konzerntöchter betroffen. Innerhalb des Konzerns teilen sich die Unternehmen etliche Bauteile, darunter auch Motoren und Getriebe. Ein Sprecher der Volkswagentochter Skoda bestätigte am Donnerstag, Modelle der Reihen Fabia, Roomster, Octavia und Superb aus den Jahren 2009 bis 2013 seien teilweise mit den betroffenen Dieselmotoren ausgerüstet worden. Bei aktuellen Modellen gebe es keine Probleme.

Auch Seat bestätigte am Donnerstag, dass in dem Werk der spanischen VW-Tochter Fahrzeuge mit der manipulierten Diesel-Technologie montiert worden seien. Die genaue Zahl sei nicht bekannt, verlautete aus Unternehmenskreisen. Eine Untersuchung solle nähere Aufschlüsse bringen.

Die spanische Zeitung El País (Donnerstag) berichtet, dass seit 2009 bei Seat eine halbe Million Autos mit der manipulierten Abgas-Technologie montiert worden seien. Als Quelle wurden inoffizielle Kreise genannt, die mit dem Unternehmen in Verbindung stünden.

Köpfe rollen

Wegen des zuerst in den USA aufgedeckten Skandals war Martin Winterkorn am Mittwoch als Konzernchef zurückgetreten. Insidern zufolge sollen weitere Köpfe rollen: Nach Reuters-Informationen sollen die beiden Entwicklungschefs der Marken Audi und Porsche, Ulrich Hackenberg und Wolfgang Hatz ihren Hut nehmen. Auch VW-US-Chef Michael Horn soll seinen Posten räumen. VW lehnte einen Kommentar ab. Hackenberg war 2007 zusammen mit Winterkorn von Audi nach Wolfsburg gewechselt. Er gilt als Erfinder des Baukastensystems, das Volkswagen derzeit bei immer mehr Marken einführt. Später kehrte Hackenberg nach Ingolstadt zurück, um Audi mit neuen Elektroautos auf die Sprünge zu helfen.

Der Aufsichtsrat will auch über einen Nachfolger für Winterkorn entscheiden. Die besten Karten hat Insidern zufolge Porsche-Chef Matthias Müller. Aber auch VW-Markenchef Herbert Diess und Audi-Chef Rupert Stadler wurden als mögliche Kandidaten genannt. Offen ist ebenfalls noch, wer Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch folgen soll, wenn der im November Aufsichtsratschef wird.

Wegen der Bedeutung des US-Geschäfts sei angedacht, im Konzernvorstand ein eigenes Ressort zu schaffen, sagten zwei mit den Beratungen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Kandidat für den Posten sei Skoda-Chef Winfried Vahland. Eine dritte Person sagte, Vahland solle Horn in den USA ersetzen. Unmittelbar vor der Aufsichtsratssitzung würden mehrere Varianten diskutiert.

Verdeckter Rückruf

Unterdessen wurde bekannt, dass VW bereits im April in den USA versucht hat, die Abgas-Manipulationen durch einen verdeckten Rückruf von Dieselautos zu beheben. Der Konzern forderte Halter von VW- und Audi-Fahrzeugen in einem Brief auf, ihre Autos in die Werkstätten zu bringen, um eine neue Software aufzuspielen. Diese sollte die Abgas-Emissionen optimieren und die Effizienz des Motors steigern. Ein Sprecher der kalifornischen Emissionsschutzbehörde sagte, das Schreiben sei Teil einer landesweiten Rückrufaktion von VW gewesen.

Am vergangenen Freitag hatte die US-Umweltbehörde EPA mitgeteilt, sie habe herausgefunden, dass VW in Modellen der Jahre 2009 bis 2015 eine Software zur Umgehung von Emissionskontrollsystemen verbaut habe. Das Programm erkennt, ob das Auto auf einem Teststand läuft und reguliert den Motor so, dass die Grenzwerte eingehalten werden. Im Normalbetrieb liegen die Werte jedoch bis zu 40 Mal höher als vorgegeben.

VW hatte die Abgasmanipulationen in den USA daraufhin zugegeben und sich dafür entschuldigt. Für den Konzern könnte dies nach Angaben der US-Umweltbehörde EPA eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar nach sich ziehen.

Dutzende Klagen

Seit Bekanntwerden des Skandals sind in den USA mindestens zwei Dutzend Klagen in sieben Bundesstaaten eingereicht worden. Die Anwälte argumentieren damit, dass VW die Kunden getäuscht habe, die mehr gezahlt hätten, um vermeintlich umweltfreundliche Autos zu fahren. Ein Anwalt will die Klagen bei einem US-Bundesgericht in Kalifornien zusammenfassen.

Das Gericht von Bezirksrichter Fernando Olguin hat Erfahrung mit Klagen gegen Autobauer: Toyota erklärte sich 2012 in einem Vergleich zur Zahlung von 1,1 Milliarden Dollar bereit, um eine Sammelklage wegen Problemen mit Fußmatten und klemmenden Gaspedalen beizulegen. Hyundai und Kia zahlten 255 Millionen Dollar, weil sie einen zu niedrigen Benzinverbrauch angegeben hatten.

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