Diskussion um Film über Fritz Bauer: Die Denunziation

Der Film über das Leben des Generalstaatsanwalts Fritz Bauer missfällt einigen – weil er dessen Homosexualität erörtert. Dabei ist das gut so.

Ein Schauspieler in einer Filmszene

Burghart Klaußner als Fritz Bauer in „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Foto: dpa

Zu Recht findet Lars Kraumes Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ viel Lob. Der Regisseur, so beispielsweise Verena Lueken in der FAZ, mache „diesen Mann zu einem deutschen Helden“.

Nur ein Kritiker hat einen tragenden Teil des Films – der sich ja nicht als Doku ausgibt – scharf moniert. Und diese Kritik verdient, näher beleuchtet zu werden, denn sie steht beispielhaft für eine Diskretion im Hinblick auf Privates, die tatsächlich das Tragödische am Persönlichsten zu verschweigen sucht. Den Opfern dieser Kritik wird, mit anderen Worten, ein Schutz angediehen, der mehr beredtem Schweigen gleichkommt.

Konkret: Adam Soboczynski schrieb in der vorigen Woche in der Zeit, dass der Film okay sei – aber Lars Kraume hätte auf keinen Fall erwähnen sollen, dass Fritz Bauer ein schwuler Mann war. Da man es nicht genau wisse, dürfe damit auch nicht spekuliert werden – so sei aus „wohlkalkulierten Mischungsgründen“ der Film „mit einem Sexualdrama unterlegt“ worden.

Dass man in einem Film darf, was eine Dokumentation verbietet – nämlich Faktenpräzision nicht zu gewährleisten –, versteht sich von selbst. Der Konflikt jedoch, um den es geht, reicht tiefer, der Zeit-Redakteur schreibt in starker Tradition, die bis in die Siebzigerjahre reicht: Darf man die Homosexualität erwähnen? Die einen sagen, das sei rufschädigend; die anderen sagen, dass es früher so gewesen sei, aber heute nicht mehr gelten kann.

Diese Pseudodiskretion in Sachen Fritz Bauer reicht auch ins Jahr 2009 zurück. Irmtrud Wojak veröffentlicht die erste Biografie zu diesem nobelsten Juristen der frühen Nachkriegszeit. Die Autorin bringt es in ihrer ursprünglich als Habilitationsschrift verfassten Arbeit fertig, weder das Jüdischsein Fritz Bauers zu thematisieren noch dessen Homosexualität.

Eine bizarr lückenhafte Arbeit

In Wojaks Werk findet sich viel Würdigung der Strafverfolgung von NS-Taten und -Tätern, aber fast nichts dazu, dass Bauer keineswegs hauptsächlich zum Nationalsozialismus arbeitete, sondern auch der wichtigste und kämpferischste Jurist in höherem Rang zu sexualpolitischen Fragen war.

Er hat hierzu Aufsätze sonder Zahl veröffentlicht, Bücher (mit Hans Giese, Theodor W. Adorno you name it), versuchte, so gut es ging, das NS-Recht etwa zum Paragrafen 175 (Komplettverbot männlicher Homosexualität) zu unterminieren (und meist war es nicht möglich). Wojak hat, zumal im Hinblick auf den Anspruch, eine Biografie zu verfassen, eine bizarr lückenhafte Arbeit vorgelegt: Sie geht schlicht an der zeithistorischen Person vorbei.

Es gab ein demokratisches Deutschland, das Homosexuelle verfolgte wie die Nazis (minus KZ, klar, aber inklusive ­Gefängnisstrafen, Verfolgungsandrohung und Erpressungspotenzialen)

Anders machte es der SZ-Redakteur und Jurist Ronen Steinke. In seinem Buch „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ schrieb er 2013 eine zweite Biografie über diesen deutschen Nachkriegshelden. Sein Anspruch: endlich, anders als Wojak, eine echte Würdigung Bauers der Öffentlichkeit vorzulegen. Und Steinke schafft es, Bauer sowohl mit seinen jüdisch-familiären Prägungen zu charakterisieren als auch als Mann im Privaten, der im Kopenhagener Exil von der dänischen Fremdenpolizei bei einem schwulen Kontakt beobachtet wird.

„Bedrohung einer institutionellen Ordnung“

Der Autor räumt ein, dass die Polizeiakten nicht stimmen müssen, aber weshalb sollten sie gefälscht sein, zumal Bauer die Echtheit der „Tat“ bestätigte – Homosexualität war in Dänemark nicht mehr verboten, anders als in Deutschland waren entsprechende Strafparagrafen 1933 getilgt worden?

Auch die anderen Umstände des Lebens Fritz Bauers in den fünfziger Jahren bis zu seinem Tod 1968 deuten nicht darauf hin, dass der Generalstaatsanwalt fälschlich als Homosexueller inkriminiert wird. Details, die Steinke ausgegraben hat, deuten stark an, dass Bauer aus purer Angst vor Angreifbarkeit durch die Justiz, schlicht aus Furcht vor Gefängnisstrafen, auf Sexuelles in Zweisamkeit verzichtet hat.

Details, die Steinke ausgegraben hat, deuten stark an, dass Bauer aus purer Angst vor Angreifbarkeit durch die Justiz, schlicht aus Furcht vor Gefängnisstrafen, auf Sexuelles in Zweisamkeit verzichtet hat.

Überliefert sind intensive Freundschaft mit jungen Kollegen, mit dem Sohn des Filmantisemiten Veit Harlan, Thomas; Reisen in die Schweiz, Debattenengagement gegen die christliche Raserei im Sexualstrafrecht: Und mit den Anhaltspunkten lässt sich wenigstens denken, es könnte auch ein schwuler Held sein – wobei man natürlich früher nicht schwul gesagt hätte, sondern „175er“, „Hinterlader“ oder „warmer Bruder“, das klingt nämlich gleich verächtlicher, aus den Lebensmöglichkeiten stoßender.

So war das damals. Und heute? Adam Soboczynski schreibt am Ende seiner Rezension, Adorno wie Bauer hätten die Studentenbewegung gefürchtet, weil sie eine „Bedrohung einer institutionellen Ordnung“ sei, „die das Private vor dem Öffentlichen und die Intimität vor der Entblößung schützt“.

„Stichhaltige“ Argumente

Das ist ein demagogischer Kniff, denn Filmregisseur Kraume wie auch Autor Steinke haben nirgends Bauers Intimität enthüllt. Nichts erfahren wir – und das ist auch gut so – von erotischen Vorlieben Bauers. Dass er als ziemlich einsamer Held im postnazistischen Justizapparat der Bundesrepublik aber an den Möglichkeiten eines Liebeslebens schon im Hinblick auf Strafparagrafen scheitern musste, liegt auf der Hand – und enthüllt nur, dass es ein demokratisches Deutschland gab, das Homosexuelle verfolgte wie die Nazis (minus KZ, klar, aber inklusive Gefängnisstrafen, Verfolgungsandrohung und Erpressungspotenzialen).

In der Zeit veröffentlichte der brandenburgische Generalstaatsanwalt Erardo Cristoforo Rautenberg im November voriges Jahres einen glühend-wütenden Text, scheinbar im Sinne des Andenkens an den Juristen, der es mit der Nazihydra in der Bundesrepublik aufnahm: „Ohne stichhaltige Beweise“ werde „die Mutmaßung“ geäußert, Bauer sei schwul gewesen, habe aber seine Sexualität erzwungenermaßen nicht ausgelebt.

Was, fragt man sich, tut das zur Sache? Ja, was könnte denn stichhaltig sein? Schlüpfrige Fotografien? In dem Wunsch nach Beweisen enthüllt sich der Wunsch, an Schlüpfrigem teilhaben zu können – das aber ist die Emotionalität eines Rechtsempfindens, das mentalitär in den fünfziger bis sechziger Jahren fußt.

Der Film lohnt sehr

In Soboczynskis wie Rautenbergs Text, in der Kritik an der biografischen Ausstellung zu Fritz Bauer am gleichnamigen Institut in Frankfurt am Main, die der damalige Institutsdirektor Raphael Gross souverän zurückwies, schimmert der übelste Verrat an der Arbeit Fritz Bauers durch: Indem man scheinbar sein Privates schützt, wird der Grund für die Diskretion, die potenzielle Denunziation, als Denunziatorisches lebendig gehalten. Solche Fürsprecher hat der Held der Nachkriegszeit nicht verdient.

Der Film lohnt sehr. Verena Lueken schrieb in der FAZ: „Darum ging es Fritz Bauer. Um Lebensmöglichkeiten in einem Land, das sich seiner Vergangenheit stellt.“ Vielleicht beflügelt die Produktion die politische und keineswegs intimisierende Debatte, dass die Opfer des Paragrafen 175 (in seiner bis 1969 gültigen Nazifassung) bis heute nicht rehabilitiert worden sind.

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