Flüchtlinge in Niedersachsen: „Am Arsch der Welt“

Das Dorf Sumte hat etwa 100 Einwohner. Nun soll es 1.000 Flüchtlinge aufnehmen. Dafür fehle schlicht die Infrastruktur, sagt der Bürgermeister.

Der Ortkern von Sumte.

In unmittelbarer Nähe der Notunterkunft in Sumte gibt es vor allem eins: schöne Landschaft. Foto: dpa

SUMTE taz | Zehn zu eins. 1.000 Flüchtlinge auf 100 Einwohner. Das ist die Formel für Sumte an der Elbe. In leer stehenden Büros, die eine Inkassofirma nach der Wende hochgezogen hat, will das niedersächsische Innenministerium Asylsuchenden Schutz vor Kälte, Regen und Schnee bieten. Noch im Oktober könnte sich die Bevölkerung des Dörfchens verzehnfachen.

Deshalb steht Ortsbürgermeister Christian Fabel am Dienstagnachmittag vor den eingeschossigen, verklinkerten Häuschen des ehemaligen „Bürodorfs“, in dem bis 2012 rund 250 Leute arbeiteten, bevor ihre Firma nach Hannover verschwand.

„Wir haben nur 103 Einwohner und keine Infrastruktur. 1.000 Flüchtlinge in diesem Dorf am Arsch der Welt, das geht nicht“, warnt der Ortsvorsteher seit Tagen. 200 oder 300 Asylsuchende in Sumte, das wäre „kein Thema“. Aber 1.000? „Völlig unverhältnismäßig“ sei diese Zahl, sagt der Christdemokrat: Eine Integration der Flüchtlinge könne so nicht gelingen.

Tatsächlich gibt es zumindest in unmittelbarer Nähe der Notunterkunft nur schöne Landschaft: Im Biosphärenreservat reiht sich am Elbtalradweg ein Storchennest an das nächste, Schilder werben für alte Apfelsorten wie den „Finkenwerder Herbstprinz“. Die öffentliche Infrastruktur an der Sumter Hauptstraße aber beschränkt sich auf eine kleine Feuerwehrstation mit einem Wagen. Der Busfahrplan zeigt acht Verbindungen am Tag. Das war’s.

Sorge um Sicherheit

Doch Bürgermeister Fabel sorgt sich nicht nur um die Integration der Flüchtlinge: „Wir haben Angst um unsere Sicherheit“, sagt er. Viele Höfe hätten keine Zäune – und wer in der menschenleeren Gegend wegfahre, lasse auch schon mal den Schlüssel in der Tür stecken.

Christian Fabel, Bürgermeister

„1.000 Flüchtlinge in diesem Dorf am Arsch der Welt, das geht nicht“

Mit dieser Ruhe sei es bald vorbei, glaubt Fabel: „Wir sorgen uns auch um die Sicherheit der Flüchtlinge“, sagt er und meint möglichen Streit und Schlägereien in der Notunterkunft. Außerdem: Wer jetzt wie eine Nachbarin ihr Haus verkaufen wolle, könne „das vergessen“.

Am Abend hat Grit Richter, parteilose Bürgermeisterin des aus sieben Dörfern mit 40 Weilern bestehenden Amts Neuhaus zur Bürgerversammlung ins „Hotel Hannover“ gebeten. Hier im Ortskern erinnert ein Supermarkt der Marke „Konsum“ daran, dass Neuhaus Teil der DDR war – erst im Sommer 1993 wechselte das einst zu Hannover gehörende Amt mit seinen nicht einmal 5.000 Einwohnern von Mecklenburg-Vorpommern nach Niedersachsen. Auch ein Elektrogeschäft ist vor Ort, ebenso Apotheke und Sparkasse.

Vor dem Hotel aber wollen Neonazis hetzen: Der einstige Hamburger NPD-Vorsitzende Thomas Wulff, von Rechtsextremisten nach einem SS-Führer „Steiner“ genannt, hält ein Plakat hoch: „Asylterror stoppen“ steht darauf.

Niedersachsen in Not

Auch im Saal ist die Stimmung aufgeheizt. Mit 250 Interessierten hatte Bürgermeisterin Richter gerechnet. Gekommen sind über 500. Hier soll Alexander Götz, im Innenministerium in Hannover Leiter der für „Kommunal- und Hoheitsangelegenheiten“ zuständigen Abteilung 3, den Menschen die Angst vor den Flüchtlingen nehmen.

Er beginnt defensiv. Götz verweist auf die „Notlage“, in der sich Niedersachsen befinde – jeden Tag müsse das Land „Obdach für 1.000 bis 1.500 Flüchtlinge“ schaffen – und kassiert den ersten Zwischenruf: „Müssen wir nicht“, brüllt ein Rechtsextremer, der offensichtlich zur Gefolgschaft des im Nachbarort Boitzenburg lebenden NPD-Manns Wulff gehört.

Doch Abteilungsleiter Götz bleibt ruhig. Immer wieder appelliert er an die Menschlichkeit: In Niedersachsen lebten noch immer 4.000 Schutzsuchende in Zelten. „In Otterndorf an der Nordseeküste sind noch 600 Flüchtlinge in einem Sommercamp untergebracht. Dort nässen die Wände durch. Wegen der Herbststürme können die da nicht bleiben“, mahnt der Beamte.

Überzeugen kann Götz damit nicht alle. Die Friseurin des Ortes warnt vor den „wahnsinnig vielen Männern, die in Sumte zusammengepfercht werden sollen und die ihre Bedürfnisse haben“ – und meint Vergewaltigungen. Eine Nachbarin des Bürodorfs schildert, dass ihre Kinder „wahnsinnige Angst“ vor den Asylsuchenden hätten.

NPD ist mit im Raum

Im ganzen Amt Neuhaus gebe es nur vier Polizisten, warnen andere. Anschläge wie in Boitzenburg, wo am Montag eine potenzielle Flüchtlingsunterkunft brannte, könnten kaum verhindert werden. Als der Leiter der Polizeiinspektion Lüneburg, Hans-Jürgen Felgentreu, einräumt, „Verstärkung“ werde erst nach Stunden in Sumte sein, macht sich bei vielen Empörung breit: Die direkte Verbindung in die Kreisstadt läuft über eine Elbfähre.

Andere halten die Angst vor den Asylsuchenden für völlig überzogen. Karin Falter aus dem Sumter Nachbarort Krusendorf will eine Hilfsinitiative starten, sucht Mitstreiterinnen. „Ich bin erschrocken, wie viel Xenophobie in diesem kleinen Amt Neuhaus steckt“, sagt eine andere Frau, die ihren Namen nicht nennen will: „Die NPD ist mit im Raum.“ Sie erntet Buhrufe, aber auch Applaus.

Alexander Götz vom Innenministerium nutzt das bisschen positive Stimmung, so gut er kann: Wie viele Flüchtlinge kämen, werde erst festgelegt, wenn der Arbeiter-Samariter-Bund, der die Notunterkunft betreiben soll, das „Bürodorf“ überhaupt ausreichend erkundet habe. Danach werde es eine neue Bürgerversammlung geben. Die Neuhäuser verlassen den Saal – manche noch immer empört, andere weniger aufgeregt.

Immerhin: Den Neonazis um Wulff, der von der Polizei in eine Ecke gedrängt per Megafon die Angst vor einer „Invasion von Millionen“ schüren will, hört niemand zu. „Verpisst euch“, ruft eine Frau: „Hier interessiert keine Sau, was ihr sagt.“

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