Nicht nur happy Enten

Festival Die 39. Duisburger Filmwoche lotete auf unterhaltsame Weise einen Dokumentarfilmbereich aus, der sich nicht allzu fern vom Spielfilm versteht

Leben in den Tunneln von Las Vegas: Szene aus dem Dokumentarfilm „Above and Below“ Foto: Duisburger Filmwoche

In Duisburg werden nicht einfach nur viele (Dokumentar-)Filme hintereinander geguckt – ritualisiert ist die Einladung zum weiterführenden Gespräch im Anschluss. Letztere fallen manchmal freundlich aus – und manchmal weniger freundlich. Im Jahr Neununddreißig korrelierte die Losung der Filmwoche („Ausgänge“) häufiger mit eher hitzigen Gesprächsausgängen, die wiederum mit dem jeweiligen Filmausgang zu tun hatten.

Nicolas Steiners „Above and Below“ etwa bot nicht nur Anlass, den jungen Schweizer Filmemacher auf Haltungsfragen hin zu überprüfen; tatsächlich wurde sein Filmende (ein kleines Entlein, das kurz auftaucht und dann sehr lange abtaucht), zum Kondensat jenes Disputs. Positionierten sich die einen in der „Muss der Kitsch Bombast sein“-Fraktion, stellten sich andererseits stets ein paar Überzeugte hinter die Aussagen von Steiner, die dessen „Ich brauch diese Ente eben!“ und „Das ist das Kino, das ich machen will!“ beklatschten.

Dabei war es in „Above and Below“ gar nicht um Enten gegangen, sondern um einige Individuen in Amerikas Wüstenorten. Das schaurig-schöne Paar Cindy und Rick zum Beispiel, das sich in den Tunneln von Las Vegas provisorische Unterkünfte erschafft, bis ein starker Regenguss die Habseligkeiten hinfortspült. Oder um eine Mars-Expedition, die natürlich eine Simulation ist und in die nicht nur Regisseur James Cameron („Titanic“, „Avatar“) investiert, sondern auch die Nasa. Dass Steiner sein nicht abreißen wollendes Filmfinale allerdings mit einem inszenierten Feuerwerk (einer der Hauptprotagonisten sitzt da auf einem Hügel und spielt Schlagzeug, während es im Hintergrund feierlich knallt und leuchtet) und eben besagtem Entchen abzurunden gedachte, war einigen zu viel. Damit lotete die Duisburger Filmwoche, auf nicht wenig unterhaltsame Weise, einen Dokumentarfilmbereich aus, der sich nicht allzu fern vom Spielfilm versteht, und daran auch gar nichts Schlimmes finden kann.

Recht weit entfernt von Steiners potenter Filmkunst entfaltete sich derweil „Procedere“ von Simon Quack. Ein Film, der sich ausschließlich aus dem Archivschrank der ARD-Redaktion „Recht und Justiz“ bedient, um durch geschickte Neumontage die Entstehung eines kurzen Fernsehbeitrags zu offenbaren. Ein durchaus amüsantes und sogar aufschlussreiches Werk, welches ebenfalls einige Gemüter aufzuwärmen vermochte. Eine Beobachtung der Medienwissenschaftlerin Ute Holl, nach der Quacks Film eindringlich illustriere, wie sich das Rechtssystem der Fernsehrhetorik unterwerfe, brachte einige anwesende Gerichtsreporter des WDR auf den Plan. Von Vertretern der jeweiligen Profession profitierte auch die Runde, die sich nach Marie Wilkes „Staatsdiener“ zusammenfand: Dem dokumentierten Alltag an einer deutschen Polizeischule nämlich konnte ein mitteilsamer Polizeibeamter einigen Realitätssinn zusprechen. Ein Sinn, der keinesfalls in allen Filmen auf­flackerte, was jenen jedoch nicht zum Schaden gereichte.

Kristina Paustians „Zaplyv – Die Schwimmer“, auch ein Preisträgerfilm der Filmwoche, ist eine sich schrittweise von der Welt entfernende Verquickung von alten Aufnahmen und neu gedrehtem Material, das den russischen Guru Boris Zolotov und seine Anhängerschaft bei nächtlichen Performances und morgendlichen Schwimm­übungen zeigt. Das Wort „Zaplyv“ kann mit „Eintauchen“ oder „Rausschwimmen“ übersetzt werden, obschon eine der erinnerungswürdigen Szenen des Films eine hüpfende und nicht gerade schwimmende, nackte Menschenkette zeigt, die sich in lustigen Jumps durch das Meerwasser bewegt. Politisches bleibt indes hintergründig und ist andererseits doch stark präsent, zumindest wenn man eine ganze Reihe Glückssuchender in einem Land, in diesem Falle Russland, auf ihr abwesendes Glück hin befragt. Sowieso waren während der Filmwoche einige dokumentierte Suchbewegungen auszumachen. Ob nach der eigenen religiösen Identität (“Mein Name ist Khadija“, Katja Fedulova) oder einem Alexanderplatz zum Wohlfühlen (“Last Exit Alexanderplatz – Der städtebauliche Ideenwettbewerb 1993“, Hans Christian Post).

Manche positionieren sich in der „Muss der Kitsch Bombast sein“-Fraktion

Deprimierend hingegen: die Angst vor den Suchenden, die in einigen Filmen zu Flüchtlingen wurden (“Lampedusa im Winter“, Jakob Brossmann) oder zu Kunden der Pharmaindustrie (“Nicht alles schlucken – Ein Film über Krisen und Psychopharmaka). Ein beklemmendes Paar und ein altes dazu. Deutlich machte dies der final präsentierte „Siamo Italiani“ (CH 1964) von Alexander J. Seiler, der italienische Fremdarbeiter am Rande Basels im Stile des Direct Cinema porträtiert. Über einige Szenen hat Seiler Frötzeleien der Schweizer Einwohnerschaft gelegt, die das Maß einer „toleranten Nervosität“, wie Max Frisch etwa die emotionale Verfassung des „kleinen Herrenvolkes“ (ebenfalls Frisch) einmal nannte, behänd überspringt. Dass die Filmwoche „Siamo Italieni“ zu ihrem Programmausgang erklärt, ist derweil sicher mehr als bloßer Wille zur Filmbildung. Carolin Weidner