Debatte Islamistischer Terror: Böse, Dumme und Gemeine

Auf dem Planet der Verdammten wird eine Zukunft verhindert, die auf Migration, Freiheit und Solidarität gebaut ist.

Szene aus „Hunger Games“

Auf dem Planet der Verdammten sind „Hunger Games“ die adäquate Unterhaltung. Kleiner, schäbiger, heldenloser als im Kino allerdings. Foto: ap

Gemeinsam sind sie so unausstehlich wie unbezwingbar: Die skrupellosen Karrieristen und Geldmenschen, die „Gewinner“ des stylishen Neoliberalismus, die nach Mord und Terror geifernden Neofaschisten, die hassbesoffenen Pegida-Marschierer und die blödsinnig vor ihren Fernsehern und Klatschblättern hängenden Schnäppchenjäger, nach Sensation und Idylle hungernden Gaga-Konsumenten.

Normalerweise haben die drei nicht sonderlich viel miteinander zu tun, abgesehen davon, dass jeder von ihnen in der anderen Hälfte seines Lebens einer von den jeweils anderen sein kann.

Wenn die einen als „besorgte Bürger“ auf die Straße gehen (oder auf die Straße gehen lassen), erzeugen sie das Klima, das schlecht für Menschen und gut für Investitionen ist; wenn die anderen wegen ein paar Steuerhinterziehungen oder Betrugsmanövern ein paar öffentliche Tränen vergießen, machen sie deutlich, was man sich hier eigentlich in die Tasche stopfen könnte, wenn man nur skrupellos genug wäre; wenn die Dritten zwischen Kätzchenvideos, Helene Fischer und Castingshows hin und her zappen, sichern sie die Prekarisierung der Arbeitsplätze in der Sinnindustrie und verhindern, dass „Kultur“ eine Option für Restistance wäre.

Es ist ein Planet der Verdammten, auf dem „Hunger Games“ die adäquate Unterhaltung sind. Kleiner, schäbiger, heldenloser als im Kino allerdings.

Aus der Geste der reinen Negation ist eine absurde Zukunftshoffnung geworden

Aber wissen die Dummen, dass sie nur so dumm leben dürfen, weil sie dabei von den Gemeinen gefüttert und gemolken werden? Wissen die Gemeinen, dass sie nur so lange ihren Gelddrogenrausch leben können, solange die Bösen die Gedanken an Gerechtigkeit und Ausgleich verhindern und die Kräfte der Opposition binden oder lähmen? Und wissen die Gemeinen, wie sehr sie in die Krise geraten müssten, wenn sie nicht mehr von den Dummen (den immer nachwachsenden) unterstützt und gefüttert würden? Und die Bösen? Wissen sie, dass sie ein Instrument für die Gemeinen sind, das bei Bedarf auch wieder abgelegt oder umgebaut wird?

Trialektische Einheit

Etwas steht fest für alle, die nicht zu den Dummen, den Bösen und den Gemeinen gehören wollen: dass man sich nur zur Wehr setzen kann, wenn man die trialektische Einheit darin sieht. Und wer glaubt, sich mit den einen gegen die anderen verbünden zu können, verschiebt allenfalls Akzente.

Wer den Neoliberalismus bekämpft, ohne seine andere Seite, den Neofaschismus zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt den Faschismus bekämpfen zu können, ohne die organisierte Dummheit zu bekämpfen, hat schon verloren. Wer glaubt, die Dummheit bekämpfen zu können, ohne jene Kräfte zu bekämpfen, die von ihr profitieren, hat schon verloren.

Während die Bösen, die Dummen und die Gemeinen gemeinsam eine Zukunft verhindern, die auf Migration, Freiheit und Solidarität gebaut wäre, sehen sie nur den einzigen „ernst zu nehmenden“ Gegner, einen gläubigen oder glaubenskranken Terroristen, der die Bösen noch an Bosheit, die Dummen noch an Dummheit und die Gemeinen noch an Gemeinheit weit übertrifft.

Islamistischer Terror ist das Einzige, was der westliche Kapitalismus nicht „schlucken“ kann. Und das nicht, obwohl, sondern gerade weil der dessen Spiel durchaus durchschaut. Dieser Terror muss in seiner eigenen Logik so barbarisch, blind und sadistisch sein, damit alle Brücken abgebrochen, jedes Schlupfloch zur Integration und zum Auffressen verstopft ist.

Islamistischer Terror als Gegenbewegung

Wenn, sagen wir, ein Science-Fiction-Autor am Schreibtisch eine Gegenbewegung zur allumfassenden lückenlosen Herrschaft der Gemeinen, der Bösen und der Dummen erfinden müsste, ihm würde zweifellos so etwas wie der islamistische Terror einfallen müssen.

Mittlerweile ist dieser (scheinbar) einzige Nichtkapitalismus als postfaschistische Ideologie in ein neues Stadium getreten. Der religiöse Faschismus verknüpft sich mehr und mehr mit einem nationalen Faschismus. Es soll nicht nur eine Religion siegen, es soll auch ein Staat entstehen. Eher schon eine Art Superstaat. Aus der Geste der reinen Negation ist eine absurde Zukunftshoffnung geworden.

Sicher ist jedenfalls, dass die Allianz der Bösen, der Dummen und der Gemeinen diesen Superterrorstaat mit erzeugt haben wird. Denn gemeinsam haben sie die Idee einer wirklichen Alternative, einer anderen Zukunft als die Hölle auf Erden, verhindert. Sie verhindern, dass es eine interessante und hoffnungsfrohe Zukunft (des Unperfekten und der Unperfekten) als Alternative zur Hölle auf Erden geben kann.

Religiöser Faschismus

Der Islamo-Faschismus, das macht ihn so stark, findet im Westen immer weniger eine Alternative und immer mehr nur ein groteskes Spiegelbild. Menschen und Programme, die am liebsten genauso handeln würden, unmenschlich, sadistisch; Menschen und Programme, die sich Mühe geben, den schlimmsten Propagandabildern zu entsprechen. Wenn man ein Gott wäre, aber wer ist das schon, könnte man sich ernsthaft fragen, ob es da jemanden gebe, den zu retten die Mühe wert wäre. Wenn man ein Mensch ist, und das sind auch nicht mehr sehr viele, dann würde man gern jeden Einzelnen retten, auch die Dummen, die Bösen und die Gemeinen.

Der terroristische Islamo-Faschismus bricht nicht nur mit den Projekten Demokratie, Aufklärung oder Humanismus, er bricht mit der Menschheit, er bricht mit dem Leben. Es gelingt ihm, die Selbstheilungskräfte in den westlichen Gesellschaften zu vernichten, die Zivilgesellschaft, die Jugend, die Kultur, den öffentlichen Raum, das, was auch in der Herrschaft der Bösen, der Dummen und der Gemeinen nicht gänzlich verloren geht, eine Lust, zu leben und miteinander zu sein.

Unser Science-Fiction-Autor, natürlich, erfindet eine kleine, rebellische Gruppe von Menschen, die nicht der einen noch der anderen Seite zugehören, sondern sich nicht ausreden lassen wollen, dass es etwas anderes gibt als die Hölle auf Erden. Dass irgendwann aus dem Planeten der Verdammten ein Planet der Menschen wird. Grenzenlos und friedlich und solidarisch. Science-Fiction eben.

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