Gleichberechtigung in Tunesien: Der Segen der neuen Verfassung

Die neue Gesetzgebung ermöglicht den Kampf für mehr Gleichstellung. Die Frauen hatten bereits Erfolg, LGBT werden noch kriminalisiert.

Eine Frau mit Kopftuch hält eine Comiczeichnung hoch, auf der eine Frau ihre Muskeln zeigt

Sonfeina Hamed aus Tunesien zeichnet Comics über muslimischen Frauenpower. Foto: dpa

TUNIS taz | Tunesische Frauen haben einen großen Erfolg erzielt. Vergangene Woche verabschiedete das Parlament eine für Frauen äußerst wichtige gesetzliche Vorschrift: Die bisher erforderliche väterliche Genehmigung für Reisen mit Kindern ins Ausland wurde abgeschafft. Jetzt können Vater oder Mutter diese Genehmigung erteilen. Außerdem können beide Elternteile einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses für ihr Kind stellen.

Vor allem für binationale Ehen, also etwa für die Ehe zwischen tunesischen Männern und ausländischen Frauen, schuf die bisherige Rechtsvorschrift eine erhebliche Unsicherheit. Konnte der tunesische Ehemann der Frau doch jederzeit die Ausreise mit dem Kind verweigern. Doch mit der Gleichstellung von Mann und Frau in der neuen tunesischen Verfassung nach dem gesellschaftlichen Umbruch seit Januar 2011 widersprach die bisherige Vorschrift dem Gleichstellungsparagrafen.

Auch die Forderung nach Entkriminalisierung von Homosexualität und die Abschaffung des Artikel 230 des Strafrechts – Homosexualität wird in Tunesien mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft – stützt sich auf die neue Verfassung: „Der Staat schützt das Recht auf Privatsphäre“, heißt es in Artikel 24. Für Ahmed Ben Amor, Vizepräsident der im Mai gegründeten Homo-Organisation Shams, steht der Artikel 230 im Widerspruch zur Verfassung. „Er nimmt homosexuellen Menschen ihren Status als Bürger. Wir sind Bürger zweiter Klasse“, sagt er. In der Vereinigung Shams kämpfen vor allem junge TunesierInnen für die Abschaffung des Paragrafen 230.

Doch gegen die Aktivisten von Shams formiert sich Widerstand. Während einer Parlamentsdebatte letzte Woche erklärte der Abgeordnete der islamistischen Partei Ennadha, Abdellatif El Mekki, Shams gefährde den sozialen Frieden und könne den Terroristen Argumente liefern. Der Generalsekretär der Regierung, Ahmed Zarrouk, unterstrich, dass die Vereinigung keine Zulassung habe und die Regierung einen Antrag auf Auflösung von Shams stellen werde.

„Es ist schon der vierte Antrag dieser Art seit unserer Zulassungim Mai 2015“, erklärt Ben Amor. Shams habe sich durchaus an das geltende tunesische Vereinsrecht (drei Monate Wartezeit und Veröffentlichung im Gesetzesblatt) gehalten. Die Gebühren für die amtliche Veröffentlichung seien bezahlt worden, eine Veröffentlichung aber noch nicht erfolgt. Dies sei eine Nachlässigkeit der zuständigen Stellen, und nicht von Shams.

Ein Dutzend homophober Morde

Die rechtliche und soziale Situation von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transsexuellen in Tunesien ist nach 2011 unverändert geblieben. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden jährlich 50 Menschen wegen Homosexualität verurteilt, nach Schätzung von Shams liegt die Zahl höher.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden jährlich 50 Menschen wegen Homosexualität verurteilt.

Im September 2015 erregte der „Fall Marwen“ Aufsehen. Zum „Nachweis“ seiner Homosexualität wurde einem Mann gegen seinen Willen ein Analtest aufgezwungen. Als „unmenschlich und empörend“ prangerten Shams und andere nach 2011 zugelassene Vereinigungen für die Rechte von Lesben und Schwulen den Willkürakt an.

Mehr als ein Dutzend Morde mit homophobem Hintergrund hat es nach Schätzungen von AktivistInnen für die Rechte von Homosexuellen seit 2011 gegeben. „Tunesien hat internationale Konventionen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte unterzeichnet. In einem demokratischen Staat verkörpert der Artikel 230 eine Verletzung der Menschenrechte“, sagt Ben Amor. In einem Tunesien, das sich als demokratisch bezeichne und das die universellen Menschenrechte respektiere, müsse dieser Artikel abgeschafft werden.

Anlässlich des Tages der universellen Menschenrechte rief Shams unter dem Motto „Freiheit für alle“ für den 10. Dezember zu einer Kundgebung vor dem Parlament in Bardo auf. Die Demonstration wurde jedoch nicht genehmigt. Begründung: Terrorgefahr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.