Kommentar Jugendproteste in Tunesien: Keiner will sie

Europa bietet Geld, um Flüchtlinge in den Maghreb abzuschieben. Besser wären politische Konzepte – darauf wartet man in Tunesien vergeblich.

Menschen stehen in einer Reihe und heben die Hände in die Luft, ein Mann sitzt im Rollstuhl, einem weiteren Mann ist der Unterschenkel amputiert.

Tunesien hat politische Fortschritte gemacht, wirtschaftlich hat sich die Situation drastisch verschlechtert. Foto: reuters

Mehrere Verletzte bei Protesten gegen Arbeitslosigkeit, tunesische Jugendliche drohen mit Selbstmord, einer starb. Es sind Hilfeschreie, Verzweiflungstaten. Ähnlicher Aufruhr löste den Arabischen Frühling aus. Heute werden diese Proteste kaum wahrgenommen. Tunesien hat zwar politische Fortschritte gemacht, wirtschaftlich hat sich die Situation jedoch drastisch verschlechtert. Nicht nur für die vielen Hotelangestellten nach den Terroranschlägen im letzten Jahr. Auch die Jugendarbeitslosigkeit stagniert bei 40 Prozent.

Die Schlagzeilen zu den Demonstrationen gegen Arbeitslosigkeit in Tunesien werfen auch ein Licht auf die jetzt heftig diskutierten Migrationsgründe junger Männer aus dem Maghreb. Es sind in erster Linie soziale Gründe: die Frustration der Perspektivlosen. Auch hier erwartet sie das Nichts, vor allem keine Arbeit. Da sie oft keine Aufenthaltsberechtigung haben, rutschen sie schnell in die Illegalität und in kleinkriminelle Mileus. Ihre Form der Grundsicherung.

Tunesien, Marokko, Algerien sollen nun in Deutschland zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, damit Asylsuchende schnell abgeschoben werden können. Menschenrechtsorganisationen halten diesem Plan Menschenrechtsverletzung, politische Unterdrückung und Folter – Asylgründe zuhauf – entgegen. In diesen Ländern, auch im demokratischen Tunesien, gibt es zudem strukturelle Korruption und die immer gleichen, sich bereichernden Eliten.

Europa bietet Geld und Unterstützung für die problemlose Rückführung, für Auffanglager zum Schutz der europäischen Grenzen, für Entwicklungshilfe, damit die Länder mit ihrer Jugendarbeitslosigkeit alleine fertig werden. Im tunesischen Hinterland kommen diese Gelder nicht an. Vielleicht sollte man als Gegenleistung für fließende Gelder politische Konzepte für die Armutsbekämpfung verlangen. Auf die warten die jungen Menschen seit der tunesischen Revolution vergeblich.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.

Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.