Kommentar „Fall Lisa“: Neue deutsche Leitkultur

Die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens nutzen nationalistische Kreise in Moskau und Deutschland nun für ihre Zwecke.

Ein Mann mit einer Brille und dunklen kurzen Haaren.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wirft Deutschland vor, „die Realität aus innenpolitischen Gründen politisch korrekt zu übermalen“. Foto: ap

Russland hat ein Interesse daran, Europa zu spalten und seine internen Konflikte anzuheizen. Deswegen stellt sich Putin demonstrativ hinter einen Autokraten wie Victor Orbán, der eine gemeinsame Flüchtlingspolitik torpediert, und deswegen pflegt Moskau Kontakte zu Rechtsparteien wie dem belgischen Vlaams Belang, der FPÖ oder der italienischen Lega Nord. Dem Front National soll er sogar mit einem Millionenkredit geholfen haben.

Die angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens in Berlin aus einer russlanddeutschen Familie nutzen nationalistische Kreise in Moskau und Deutschland nun für ihre Zwecke. Mehrere tausend Menschen haben am Sonntag bundesweit demonstriert, weil sie der tendenziösen Berichterstattung russischer Staatsmedien mehr Glauben schenken als deutschen Behörden. Mit dem Vorwurf, die deutsche Polizei würde die Wahrheit vertuschen, gießt Russlands Außenminister weiter Öl ins Feuer.

Es greift aber zu kurz, die Proteste, bei denen sich Russlanddeutsche mit Parteigängern von Pegida und NPD treffen, als vom Kreml gesteuert zu betrachten. Sie knüpfen vielmehr an eine Stimmung an, die hierzulande bis in die Mitte der Gesellschaft verbreitet ist, wie man nach der Kölner Silvesternacht sehen konnte. Vorurteile gegen Flüchtlinge und „Araber“ sind in Deutschland ja keine Randerscheinung, sondern gehören sogar in bestimmten Feuilletons zum guten Ton.

Da bilden sich neue, gefährliche Allianzen. Gerade deshalb aber sind die von Russlanddeutschen getragenen Proteste kein Ausdruck einer bedenklichen Desintegration. Sie sind ein Mittel, um sich als eingewanderte Minderheit über andere Einwanderer und Flüchtlinge zu erheben und als Teil der Mehrheitsgesellschaft zu präsentieren. Denn das Ressentiment gegen Flüchtlinge und Araber muss ja nicht erst aus Russland importiert werden. Es gehört fast schon zur neuen deutschen Leitkultur.

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Daniel Bax ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz. Er schreibt über Innen- und Außenpolitik in Deutschland, über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 veröffentlichte er das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”

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