Kommentar Bernie Sanders: Die Sehnsucht nach einem Neustart

Hillary Clintons Albtraum ist er noch nicht, aber Bernie Sanders Erfolg macht ihr schon Sorgen. Und das ist auch ganz gut so.

Porträt Sanders, redend

Bernie Sanders zwingt Hillary Clinton einen Vorwahlkampf auf, den sie sich lieber sparen würde. Foto: reuters

Donald Trump, der einzig radikale Kandidat im Rennen um die Präsidentschaft der USA? Nein. Aus amerikanischer Sicht ist Bernie Sanders nicht weniger radikal. Ein Sozialist gegen das Establishment, gegen den Kapitalismus. Und damit ringt der 74-Jährige Hillary Clinton bei den Vorwahlen in Iowa ein Unentschieden ab, wo Clinton sich am liebsten bereits als unangreifbare Kandidatin inszeniert hätte. Sanders’Erfolg kommt nicht überraschend. Dass er ihn bis zum Sieg führt, ist unwahrscheinlich.

Nicht nur bei den konservativen WählerInnen zeigt sich in der Popularität von Trump und Ted Cruz Abneigung gegen das Establishment in Washington. Auch viele demokratische Wähler sehnen sich nach einem Neustart. Auf ideologischer Ebene liefert Sanders diesen mit seinen kompromisslosen Ideen, etwa der Abschaffung der Studiengebühren, und seinem großen Thema: dem Kampf gegen den Kapitalismus und die Milliardäre im Land. Sanders ist darin auch populistisch, aber vor allem glaubwürdig.

Man nimmt ihm ab, dass er überzeugt ist von dem, was er den Wählern verspricht. Er hat nichts Aufgesetztes, und das macht ihn sympathisch in einem Wahlkampf, der so schrill und unauthentisch geführt wird.

Clinton agiert anders. Sie bemüht sich, Nähe zum Volk zu zeigen und die Familiendynastie authentisch erscheinen zu lassen. Aber das „System Clinton“ lässt sich nicht verbergen, und der kalkulierte Pragmatismus in ihrem Wahlkampf – eins ihrer Schlagworte ist „Kontinuität“ – ist offensichtlich. Das macht Clinton nicht zu einer schlechten Kandidatin.

Soziale Gerechtigkeit ist schön – aber für das Weiße Haus zu wenig

Beim Rennen um die Präsidentschaft hat ein Kandidat der Mitte die größte Chance, die Republikaner zu schlagen. Sanders wird mit seinen sehr linken Ideen unwählbar sein. Die wichtige Gruppe der Unentschiedenen, die jeder potenzielle Präsident braucht, wird er nicht überzeugen.

Außerdem ist Sanders’ Botschaft einseitig, seine große Schwäche unter anderem die Außenpolitik. Soziale Gerechtigkeit ist schön, aber für das Weiße Haus zu wenig. Eine „Change“-Bewegung wie bei Obama vor acht Jahren wird Sanders nicht auslösen. Doch er zwingt Clinton in einen langen Vorwahlkampf, der hoffentlich zu einem echten Wettbewerb um Ideen führt und in dem Clinton mehr von sich zeigen muss. Das mag weder ihr noch den Demokraten passen. Aber es ist gut.

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Jahrgang 1980, studierte Journalistik und Amerikanistik an der Universität Leipzig und der Ohio University. Seit 2010 bei der taz, zunächst Chefin vom Dienst, seit Juli 2014 Leiterin von taz.de. Schreibt schwerpunktmäßig Geschichten aus den USA.

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