Kolumne Geht‘s noch: Sozial geht anders

Die Schweiz stimmt im Juni über ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ ab – initiiert von Künstlern und Intellektuellen. Eine Schnapsidee.

Eine Fahne fliegt durch die Luft

Fahnen werfen, Geld kriegen – Schweizer Savoir Vivre. Foto: dpa

Hach, die Schweizer verstehen etwas vom Leben. Wer will schon nicht in einem Land leben, wo Käse, Wein und Schoki als Grundnahrungsmittel gelten; wo jeder fünfte Mitbürger begnadeter Architekt ist? Die Schweiz, das ist die neutrale Mitte zwischen französischen Umgangsformen, deutscher Ordentlichkeit und italienischem Geschmack. Die perfekte Mischung eigentlich für ein produktives und lustvolles Leben. Bisher zumindest.

Wenn am 5. Juni die Schweizer über die Einführung eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ abstimmen, könnte das alles jedoch ganz schnell dahin sein. Die Initiatoren, eine Gruppe von Künstlern und Intellektuellen (natürlich), möchten mit 2.500 Franken monatlich für Erwachsene und zusätzlich 625 Franken pro Kind der Bevölkerung „ein menschenwürdiges Dasein“ ermöglichen. Aha, weil es das vorher nicht gab in der Schweiz, oder was?

Wer diese Vorstellung nicht direkt als Schnapsidee enttarnt, wird es tun, spätestens sobald sie erfährt, dass die Finanzierung des Projekts noch offen ist. Was mit dem bisher durchaus funktionstüchtigen Sozialsystem der Schweiz geschehen wird? Auch unklar.

Sicher ist nur: Sollte eine Mehrheit dafür stimmen, wird das Grundeinkommen – welches es eigentlich jetzt auch schon in der Schweiz gibt, nämlich als Transferleistungen über dem Existenzminimum – nicht mehr an Bedarf und Bedingungen geknüpft sein. Sondern allen zustehen. Nicht nur Alleinerziehenden, Arbeitsunfähigen, Arbeitslosen, nein: allen.

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Die Künstler und Intellektuellen, die den Kram initiiert haben, werden sich sicher freuen, wenn mehr Zeit für ein Buch oder ein Performancefestival abfällt. Was aber sollen all jene machen, denen von Kind an erklärt wurde, dass man etwas leisten muss, um etwas zu erreichen? Pustekuchen, war alles eine Lüge. Es reicht, wenn du Schweizer bist, mehr musst du für ein regelmäßiges Nachtessen und eine nette Skihütte nicht tun.

Und die Eidgenossenschaft, die seit September 2015 so flink ist, wenn es um das Abschieben von Asylbewerbern geht, gilt dann wohl bald als sozialste Gemeinde der Welt. Hach, die Schweizer verstehen etwas von Selbstdarstellung.

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ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).

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