TV-Drama über eine Pastorin: Die Heilige Judith von Brandenburg

Claudia Michelsen spielt in „Im Zweifel“ eine Berufene mit allen Schwierigkeiten. Keine leichte Kost für einen Samstagabend in der ARD.

Eine Frau in Notfallweste sitzt am Ort eines Autounfalls

Gebet für eine Tote: Judith Ehrmann am Unfallort. Foto: ARD/Piotr Pietrus

Sie trägt einen anderen Filmnamen, er endet auch auf -mann. Ach, nennen wir sie doch gleich Margot Käßmann. Aber nein, das wäre zu albern. Denn da hätte nicht nur jeder Protestant sofort die (Art) Person vor Augen, um die es hier geht:

„Wie? Du fragst mich doch jetzt nicht ernsthaft, ob ich Landesbischöfin werden will?“ – „Du kennst Härtling. Wenn der es wird, dann ist erst mal Schluss mit Reformen.“ – „Ich weiß. Aber ich bin die Falsche. Ich bin nämlich nicht so diplomatisch wie du.“ – „Du bist seit zehn Jahren in der Kirchenleitung. Deine Stimme hat Gewicht. Und außerdem kriegen wir jede Menge Zuschriften, wenn du im Radio sprichst. Du erreichst die Menschen. Vor allem die Jugend.“

Der angesprochene Härtling (Wilfried Hochholdinger) ist wirklich ein homophober, reaktionärer Kotzbrocken. Nicht auszudenken, wenn der Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz würde. Die brandenburgische Margot Käßmann wiederum heißt Judith Ehrmann und wird von Claudia Michelsen ganz großartig zurückhaltend gespielt.

Sie fragt nicht erst nach der Konfession oder gar Gottgläubigkeit der Menschen, denen sie ihre Hilfe mitunter auch aufdrängt. Als Notfallseelsorgerin ist sie mittendrin. Neben der Leiche eines gerade bei einem Autounfall tödlich verunglückten Mädchens sagt sie: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Und wir bleiben hier zurück und fragen uns, warum.“ In ihrer eigenen Radiosendung: „Lasst uns also gemeinsam zweifeln. Denn der Zweifel kann ein Ort der Begegnung sein. Ein Ort, an dem wir uns gegenseitig trösten.“

„Im Zweifel“; ARD, Samstag, 30. Januar, 20.15 Uhr; Regie: Aelrun Goette; Drehbuch: Dorothee Schön, mit Claudia Michelsen, Wilfried Hochholdinger, Henning Baum u.a.

Das ist wirklich gut aufs Maul geschaut und bestimmt nicht diffamierend gemeint. Aber je nach Einstellung gegenüber Religion und (evangelischer) Kirche, mag der Zuschauer solche Worte entweder sehr angemessen finden – oder für unverbindliches, pseudo-spirituelles Gewäsch halten.

Denunziert als „Gutmensch“

Berufene wie Margot Käßmann/Judith Ehrmann werden als „Gutmenschen“ denunziert. Wenn sie sich kümmern wollen, kommt das als „Predigt“ an oder „Inquisition“ – sogar in der Familie. „Guck dich doch an. Du bist die Heilige Judith von Brandenburg“, hält der eigene Mann (Henning Baum) ihr vor. Und: „Genau das brauchst du doch. Genau das ist doch dein Kick. Dass alle dich brauchen. Am besten, wenn’s um Leben und Tod geht.“

Um Leben und Tod geht es in „Im Zweifel“ tatsächlich. Das tote Mädchen war eine Mitschülerin von Ehrmanns Sohn, Ehrmanns Ehemann der Lehrer der beiden. Er fährt einen schwarzen Kombi und lügt wegen eines Lackschadens am Kotflügel. In den Unfall war ein schwarzer Kombi verwickelt, Fahrerflucht. Judith Ehrmann belügt den ermittelnden Kommissar wegen des Lackschadens. Im Radio fragt sie (sich): „Ich glaube, Wahrheit ist immer auch eine Sache der Loyalität. Wem bin ich loyal gegenüber? Und darf ich aus Liebe lügen?“

Die mögliche Schuld eines Familienmitglieds am Tod eines Menschen und die damit einhergehenden großen, existentiellen Fragen von Verdächtigung, Verdrängung, Vertrauen, Verantwortung hat Regisseurin Aelrun Goette bereits in ihrem Spielfilmdebut „Unter dem Eis“ (2005) verhandelt. Vielleicht noch größer wäre „Im Zweifel“ sogar ohne den Zweifel. Als kleine Charakterstudie, als Porträt einer Ehe: Die Dauer-Genervtheit des Mannes wäre ebenso nachvollziehbar wie Judith Ehrmanns permanente Unentspanntheit. Das Berufen-sein hat seinen Preis.

Schmerzhafte Ausführlichkeit beim Bestatter

Die Regisseurin („Tatort“), die Autorin („Tatort“), Michelsen (“Polizeiruf 110“) und Baum (“Der letzte Bulle“) haben alle Krimi-Erfahrung. Das Überbringen der Todesnachricht an die Angehörigen – die von den Kommissaren immer auch sofort zuhause angetroffen werden – ist so eine Krimi-Standardsituation. In einem Atemzug wird dann meistens gleich gefragt: „Hatte er/sie Feinde?“ Hier läuft diese Szene einmal ganz anders ab, bestimmt realistischer. Auch das Prozedere beim Bestatter wird in aller schmerzhaften Ausführlichkeit gezeigt.

Keine leichte Kost. Aber die hat man von Aelrun Goette auch nicht zu erwarten. Ob der Gewaltexzess eines Teenagers oder der Suizid einer depressionskranken Mutter – Goettes großes Thema sind die menschlichen Abgründe. Wirklich neu ist, dass sich diese Abgründe in der ARD nun auch am Samstagabend auftun, zur besten Sendezeit.

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