Sportwissenschaftler über Dopingskandal: „Wie in Sizilien“

Die Aufklärung der Freiburger Dopingvergangenheit wird massiv behindert. Warum zwei Wissenschaftler nun aussteigen, erklären sie hier.

Die drei Männer sprechen miteinander

Hingsen, Klümper, Hochsprung-Bundestrainer Dragan Tancic, Aufnahme aus dem Jahr 1985. Foto: Imago / Sven Simon

Eine Untersuchungskommission sollte Licht in die Dopingaktivitäten der Sportmedizin an der Uni Freiburg bringen. Auslöser war der Dopingskandal um die Radprofis des Teams T-Mobile. Auch Leichtathleten, Fußballer, Wintersportler und Gewichtheber wurden von den Koryphäen Joseph Keul und Armin Klümper und deren Assistenten und Nachfolgern gedopt. Noch vor Abgabe des Abschlussberichts wurde der Kommission vom Rektor der Freiburger Universität Hans-Jochen Schiewer ein Maulkorb verpasst. Aus Protest traten fünf der sechs Kommissionsmitglieder zurück. Zwei von ihnen, Gerhard Treutlein und Fritz Sörgel, sprechen über die Erkenntnisse, die sie trotz mannigfacher Behinderungen gewonnen haben.

taz: Herr Treutlein, Herr Sörgel, gibt es nun die Kommission noch oder nicht?

Gerhard Treutlein: Fünf Kommissionsmitglieder sind zurückgetreten, die Kommissionsvorsitzende Letizia Paoli ist aus vertragstechnischen Gründen weiter im Amt. Die Kommission existiert also noch formal.

Warum haben Sie und die anderen Kommissionsmitglieder das Handtuch geworfen?

Treutlein: Es gibt zwei Gründe. Wir bestehen auf der absoluten Unabhängigkeit der Kommission und der Kommissionsmitglieder. Zum anderen hat der Rektor in den letzten Monaten massive Vorwürfe gegen die Kommissionsvorsitzende Letizia Paoli erhoben und sie so an sinnvoller Sacharbeit gehindert.

Von wem und wodurch ist Ihre Unabhängigkeit bedroht worden?

Treutlein: Der Rektor will die absolute Unabhängigkeit jetzt auf „inhaltliche Unabhängigkeit“ einengen. Das würde bedeuten, wir geben Gutachten und auch einen Schlussbericht an die Uni ab und haben dann mit dem, was dann noch passiert, nichts mehr zu tun. Wenn dann nachträglich noch redigiert oder etwas geschwärzt wird, haben wir keinen Einfluss mehr.

Fritz Sörgel: Die Universität müsste uns das hinterher nicht einmal mehr zeigen. Und das geht nicht.

Fritz Sörgel ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Heroldsberg. Gerhard Treutlein ist pensionierter Professor für Sportpädagogik. Er leitet das Zentrum für Dopingprävention an der PH Heidelberg.

Welche Stellen könnten denn geschwärzt werden?

Treutlein: Es dreht sich um die Verantwortlichkeiten innerhalb der Universität. Klümper hat in einer Autobiografie dem Klinikum und der Universität den Vorwurf gemacht, er sei ja kein Abteilungsleiter gewesen und man hätte ihn besser kontrollieren müssen. Die große Frage ist, wer ist auf der Universitätsebene verantwortlich, wer auf der Ebene der Landesregierung und wer auf der Ebene der Bundesregierung. Von dort sind ja die Gelder geflossen. Man kann doch nicht sagen: „Wir haben zwar das Geld gegeben, aber wenn wir das gewusst hätten, was damit passiert, dann hätten wir natürlich kein Geld gegeben.“ Es ist die Frage, ob sie wirklich nichts gewusst haben.

Immer wieder hatte die Kommission Schwierigkeiten, Einsicht in relevante Akten zu bekommen oder mit wichtigen Zeugen reden zu können. Welche Vorgänge betraf das ganz besonders?

Treutlein: Wir hätten bis Dezember 2012 fertig sein müssen. Dann sind aber Ende Juli 2012 drei laufende Meter Akten von Joseph Keul aufgetaucht. Und es hat sich herausgestellt, dass sie fünf Jahre lang in den Privaträumen einer hohen Angestellten des Rektorats gebunkert waren. Das war der eine krasse Fall. Der andere Fall betraf Armin Klümper. Zwischen 1984 und 1988 wurden Ermittlungen gegen ihn durchgeführt. Aus der Staatsanwaltschaft hieß es, Akten dazu seien nicht mehr vorhanden. Im Dezember 2014 sagten sie plötzlich, sie hätten in einem Außenlager noch einen Aktenordner gefunden. 14 Tage später hieß es, sie hätten jetzt noch 30 Aktenordner.

Sörgel: Es wusste jeder, dass das brisante Akten sind und nicht nur gesammeltes Büromaterial.

Das ist ja wie in einer Bananenrepublik.

Treutlein: Die Kommissionsvorsitzende Letizia Paoli, die viel zu organisierter Kriminalität forscht, machte einmal den Vergleich mit Sizilien. Dort hätte sie solche Verhaltensweisen erwartet, nicht aber in Deutschland.

Was haben Sie trotz alledem herausgefunden?

Treutlein: Freiburg war ein wesentliches Zentrum des Dopings in Westdeutschland. Die Dopingbetreuung hat Ende der 60er Jahre dort angefangen. Wir wissen, dass in den 80er Jahren 90 Prozent der Leichtathletiknationalmannschaft zu Klümper gegangen ist. Das heißt nicht, dass alle 90 Prozent dort gedopt wurden. Aber ein wesentlicher Teil wurde von Klümper gedopt. Stark vertreten sind auch die nordischen Skidisziplinen, weil ihr nationales Leistungszentrum Herzogenhorn in der Nähe von Freiburg liegt. Dann sind über Keul die Gewichtheber gekommen und auch die Radsportler sind betreut worden.

Zur Aufgabe der Kommission gehörte auch, die wissenschaftliche Qualität der Arbeit des Instituts für Sportmedizin zu beurteilen. Wie sah es damit aus?

Sörgel: Es gibt Hinweise und Verdachtsmomente, die wissenschaftliches Fehlverhalten nicht ausschließen. Wir haben erhebliche Zweifel, ob an der Sportmedizin die gleichen wissenschaftlichen Standards eingehalten wurden wie in anderen Fakultäten der Universität oder im nationalen und internationalen Vergleich.

Gab es Reaktionen darauf, Aberkennung von Titeln zum Beispiel?

Treutlein: In einem Fall, dem von Herrn Dickhut, dem zwischenzeitlichen Leiter der Freiburger Sportmedizin, wurde wegen Plagiatsvorwürfen die Habilitationsschrift aberkannt. Ansonsten ist nichts passiert, obwohl wir vor fünf Jahren bereits der Universitätsleitung weitere Namen von Doktoranden und Habilitanden nannten, gegen die ähnliche Verdachtsmomente bestanden.

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