Dorfladen 2.0 im südschwedischen Viken: Tante Emma ohne Emma

Ein Laden ohne Personal bietet Dorfbewohnern rund um die Uhr Waren des täglichen Bedarfs. Alles, was sie zum Einkauf brauchen, ist ein Smartphone.

Ein Mann greift in eine Regal mit Süßigkeiten.

Zugreifen und einscannen: Raymond Arvidsson beim Süßkram-Einkauf Foto: ap

STOCKHOLM taz | Ausgerechnet dann Lust auf eine Tüte Chips, wenn der einzige Laden im Ort schon geschlossen hat und es seit Jahren keine Tankstelle mehr gibt? Im südschwedischen Viken ist das seit Kurzem kein Problem mehr. „Alltid öppet“, rund um die Uhr geöffnet, lockt das Schild an der „Näraffär“ in der Bygatan. Da, wo früher eine Postfiliale war, können die rund 4.000 EinwohnerInnen des Örtchens jetzt auch noch um Mitternacht einkaufen. Auf Personal werden sie dabei nicht treffen, das gibt es in Schwedens erstem unbemannten Dorfladen nämlich nicht.

Ein fehlendes Gläschen Babynahrung brachte Robert Ilijason auf seinen „Dorfladen 2.0“: Mit seinem weinenden, hungrigen Sohn auf dem Kindersitz musste er 20 Minuten zum nächsten noch offenen Supermarkt in die nächste Stadt fahren. Wenn es schon unbemannte und ständig geöffnete Bibliotheken oder Fitnessstudios gibt, warum dann nicht auch einen Laden für den täglichen Bedarf?

Einzige Grundvoraussetzung ist, dass man sich als Kunde registriert hat. Mit dem Smartphone scannt man die gekauften Waren selbst ein, klickt nach dem Einkauf auf „bezahlen“ und bekommt monatlich eine Rechnung nach Hause geschickt.

Die App dafür hat der gelernte IT-Techniker Ilijason selbst entwickelt. Sie enthält gleichzeitig eine Funktion, mit der die Kunden sich Waren wünschen können, die ins Sortiment aufgenommen werden sollten. Außerdem können sie Bescheid geben, falls irgendetwas mal nicht funktionieren sollte.

Das Öffnen der ­Ladentür geschieht ebenfalls per Handy

Das Öffnen der Ladentür geschieht ebenfalls per Handy mithilfe der individuellen „Bank ID“. Das ist eine Software, die nahezu jeder Schwede auf dem Smartphone hat, weil man die zur persönlichen Identifikation fürs Onlinebanking braucht. Aber natürlich wäre da auch eine andere Technik – beispielsweise mit einer speziellen Chip- oder der Kreditkarte – denkbar, meint Ilijason, der hofft, sein Konzept nicht nur in anderen schwedischen Kommunen umsetzen, sondern vielleicht auch exportieren zu können.

Ein zweites Geschäft in einem Nachbarort hat er bereits ins Auge gefasst. Und nicht nur Orte, in denen sich der Dorfladen wegen der Personalkosten nicht mehr rechnet, könnten Potenzial haben, meint der 39-jährige Tüftler. Es hätten sich auch schon Händler gemeldet, die mit diesem System die Öffnungszeiten ihrer Geschäfte verlängern und so ihren Kunden einen besseren Service bieten wollten.

Vertrauen ist gut, Kontrolle aber besser

Vielleicht sei das Konzept auch etwas für Produzenten lokaler landwirtschaftlicher Produkte, die diese mithilfe eines unbemannten Shops direkt vermarkten wollten, fragt Ilijason.

Weil Vertrauen gut, Kontrolle aber bekanntlich besser ist, hat die 45 Quadratmeter große „Näraffär“ in Viken eine Kameraüberwachung. Bei Ilijason zu Hause wird ein Alarm ausgelöst, wenn die Ladentür länger als acht Sekunden offen stehen sollte. Dass registrierte Kunden, die auch noch wissen, dass sie gefilmt werden, wirklich „eine gesteigerte Neigung haben könnten, dort zu stehlen“, glaubt der frischgebackene nebenberufliche Ladenbesitzer allerdings sowieso nicht. Die Erfahrung der ersten Monate – der Laden öffnete im Januar – haben diese Erwartung bislang bestätigt.

Eines kann der unbemannte „Tante Emma“-Laden allerdings nicht ersetzen: das persönliche Hej! oder ein kurzes Schwätzchen. Nicht nur deshalb denkt Ilijason darüber nach, den Shop vielleicht stundenweise doch personell zu besetzen: Einige ältere KundInnen hätten ihm erklärt, dass sie das mit dem neuen Laden zwar toll fänden, sie die komplizierte Technik aber zu sehr verunsichere.

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