Kolumne Behelfsetikett: Die Sommerfrische ist in Gefahr

Die Brache nebenan wird immer kleiner, weil ein Wohnprojekt nach dem anderen hochgezogen wird. Jetzt soll auch der letzte Freiraum verschwinden. Ein Grund für Widerstand?

Idylle in Gefahr: Fuchs flüchtet. Foto: AP

Diese Arschlöcher, jetzt lassen sie ihre Hunde schon in den Innenhof kacken. Da brennt kein Licht. Also muss ich, abends um sieben Uhr vom taz-Job kommend, mein Fahrrad im Dunkeln abschließen – und rein in die Tretmine. In solchen Momenten verfluche ich das Haus, in dem mich eingenistet habe, und mit ihm die meisten Bewohner.

Dabei wohne ich ausgesprochen gerne hier. 1999 bin ich in die Friedrichshainer Hausburgstraße gezogen, in ein Haus aus der Gründerzeit. Damals hatte es die Wohnungsbaugesellschaft gerade an eine berentete Diplomatengattin verkauft. Die hat über die Jahre zwar immer mal wieder etwas Kleines am Haus machen lassen. Es hat aber hier und da trotz neuer Farbe etc. einen leicht maroden Charme. Viele Jahre stieg die Miete gar nicht, weshalb das Wohnen im Vergleich zu anderen Gegenden noch recht günstig ist.

Mein Haus liegt vis-à-vis dem „Entwicklungsgebiet Alter Schlachthof“. Noch zu DDR-Zeiten hat sich hier an den Gleisen der Ringbahn entlang zwischen den S-Bahnhöfen Landsberger Allee und Storkower Straße der größte innerstädtische Schlachthof Europas befunden. Eine alte Nachbarin erzählte mal, wie es damals bestialisch gestunken hat – und wie schlimm das laute Quieken der Schweine war, die ihren baldigen Tod witterten. Gebaut wurde der „Central Vieh- und Schlachthof“ schon zwischen 1864 und 1877.

Nach der Wende sollte nicht mehr innerstädtisch geschlachtet werden; auf dem Gelände waren Unterkünfte für Teilnehmer der Olympischen Sommerspiele 2000 geplant. Der Zentralvieh- und -schlachthof wurde stillgelegt. Als ich vor 17 Jahren in meine Straße zog, war der Abrissspuk vorbei – und der Geist von Olympia auch entschwunden. Das Gelände lag verlassen und bis auf ein paar denkmalgeschützte Überbleibsel so gut wie leer da. Eine schöne Brache.

Welch schlechte Energie!

In meiner spirituell-esoterischen Phase hatte ich einmal eine Lerngruppe zu Gast. Wir übten uns in Familienaufstellungen, ich hatte dafür extra mein Wohnzimmer ausgeräumt. Eine Teilnehmerin kam zur Tür herein, griff sich sofort ans Herz und stöhnte auf: „Was für eine schlechte Energie“, raunte sie, „ich spüre ganz viel Tod, Sterben und Leiden.“

Sie hat nicht gewusst, dass wir uns gegenüber dem ehemaligen Schlachthof befanden, wo über Jahrzehnte hinweg Millionen von Tieren getötet wurden. Okay, Feng-Shui-mäßig könnte man dagegen schon was machen, meinte sie und empfahl, Bleikristalle ins Fenster zu hängen. Das hab ich nicht gemacht. Bei mir zieren Bussardfedern das Balkonfenster.

Apropos Balkon: Letzten Sommer hab ich von dort aus meinen ersten Berlin-Fuchs beobachtet. Er trieb sich ein paar Sommernächte lang auf dem verbliebenen Stückchen Brache des Schlachthofes herum, die so groß ist wie ein Fußballplatz. Es ist seit Jahren eingezäunt, wird aber von Hundebesitzern als Auslaufgebiet genutzt. Über die Jahre haben sich Brombeeren, Birken und hohe Gräsersorten mit riesigen Rispen angesiedelt, die im Wind schöne Geräusche machen.

Der Wind pfeift hier öfters. Das laue Lüftchen ist besonders an heißen Sommertagen eine Wonne. Und weil unsere Straße nur einseitig bebaut ist – auf der anderen Seite das luftige und offene Schlachthofgelände –, liegt die Temperatur fühlbar niedriger als in den engen und beidseitig bebauten Nebenstraßen ringsum. Diese frei Haus gelieferte Sommerfrische ist der Grund, warum ich meine Wohnung so liebe.

Wohnen und Shoppen

Das Schlachthofgelände ist ansonsten über die Jahre zugebaut worden – vor allem mit Reihen von Townhouses und Einkaufscentern, ab und an von kleinen Grünanlagen unterbrochen. Ich hab das Schritt für Schritt verfolgt. Nur die kleine Brachfläche direkt gegenüber meiner Wohnung blieb unberührt. Ich dachte schon: für immer.

Doch die Sommerfrische ist in Gefahr. Ein österreichisches Unternehmen will auf dem letzten freien Stück, das nahe dem S-Bahnhof Landsberger Allee liegt, ein riesiges Kongresszentrum bauen. Es soll sich von der Ringbahn quasi bis vor meinen Balkon erstrecken – als ob es davon nicht schon genug in Berlin gäbe! Jetzt regt sich Protest. An der Eingangstür hing neulich ein Flyer, der zum gemeinsamen Kampf gegen das „unsinnige“ Projekt aufruft.

Ich hab mich in all meiner Berlin-Zeit, immerhin nun schon 24 Jahre, nie an einer Bürgerinitiative beteiligt. Man sagt ja immer, dass es eine andere Sache ist, wenn man plötzlich selbst direkt von so etwas betroffen ist. So’ne Scheiße! Ich werde kämpfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.