Wolfgang Ullrichs Kritik am Kunstmarkt: Symptom einer Renormalisierung

Das neue Buch des Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich heißt „Siegerkunst“. Es fragt nach den Folgen der absurd hohen Kunstmarktpreise.

Zu sehen ist eine überdimensdionale Blüte mit Käfer

Will Rymans „65thStreet“-Skulptur, gezeigt zur Art Basel/Miami Beach, der Sieger-Kunstmesse Foto: reuters

Over. Vergesst die Moderne. Ihre Moral, ihre Utopien, ihre Reinheit, ihre Radikalität, ihre Regelbrüche, ihre Formensprache, ihre Verfahren und Dekonstruktionen, ihre Ironie. Es ist die Zeit der Siegerkunst, der der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich einen luziden Essay gewidmet hat. Er überrascht mit aufschlussreichen Verweisen aus der Kunstgeschichte und klärt uns über eine Vielzahl unserer noch immer der Moderne geschuldeten Denkfehler auf.

Siegerkunst handelt von privatem Besitz. Bei Siegerkunst geht es um den Preis des Werkes, nicht die Rezeption. Für Rezeption steht die Museumskunst, die der Allgemeinheit gehört. Sie ist tot, denn für sie können keine Preise mehr geboten werden. Und Rezeption ist im Übrigen eine der schlechten Angewohnheiten der Moderne.

Der Grafiker und Kupferstecher Daniel Chodowiecki hat sie − personifiziert durch zwei Herren in andächtiger Haltung, die vollkommen absorbiert in die Betrachtung einer Statue der Flora vertieft sind − 1779/80 in einem Kupferstich als „Kunst-Kenntnis – affectierte Handlung“ der natürlichen Haltung der adeligen Auftraggeber der Kunst gegenübergestellt.

Die kümmern sich nicht weiter um die Flora, denn sie gehört ihnen ja. Der engagierte Umgang mit Kunst in der Moderne erwächst nach Wolfgang Ullrich aus einem Defizitgefühl heraus. Werke zu interpretieren, sie bewusst zu erleben, über sie zu reflektieren und zu schreiben, „stellt die bildungsbürgerliche Kompensation mangelnder Zugangsberechtigung zu Kunst dar“.

Wolfgang Ullrich, „Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust“. Wagenbach Verlag, Berlin 2016, 160 Seiten, 16,90 Euro

In dem Moment allerdings, in dem Immanuel Kant in seiner Kritik der Urteilskraft (1790) das Prinzip aufstellt, wonach das Urteil über Schönheit, sei es der Natur oder der Kunst, unparteiisch und interesselos zu sein habe, ist die Besitzlosigkeit nicht Defizit, sondern Auszeichnung. Das relevante Kunsturteil kommt in der Folge nicht mehr von Sammlern und Händlern, sondern von den Kritikern und Autoren.

Man liebt das Besondere

Von da an wird in der Kunstwissenschaft und -kritik von der Kategorie des Besitzens abgesehen und eine wichtige Kategorie der Wahrnehmung von Kunst übersehen (dabei ging es der höfischen Gesellschaft um das zeremoniellen Zeigen von Kunst, der bürgerlichen Sammlung aber gerade um das Besitzen, was sich in den riesigen Depotbeständen der Kunstmuseen dokumentiert).

Wolfgang Ullrich

„Je mehr das Werk eine Zumutung darstellt, desto besser ist es als Statussymbol“

Besitzen ist eben eine „daseinsintensivierende Erfahrung“. Und das umso mehr, als die Moderne doch noch in den Kunstwerken und bei ihren Schöpfern herumspukt. Denn noch immer hängt Kunst das Etikett an, rebellisch, provokativ und kritisch zu sein, autonom geschaffen und nur den Entscheidungen des Künstlers unterworfen.

Das freut den Sieger, denn seine Kunst darf nicht nur teuer, sie darf auch gern schrill, geschmacklos, ja sogar explizit politisch sein. Damit zeigt sich ihr Besitzer als jemand, der unabhängig ist, der auf die Gepflogenheiten seiner Kreise auch mal scheißt. Denn „je mehr das Werk eine Zumutung darstellt, desto besser eignet es sich als Statussymbol“.

Aufgrund der obsolet gewordenen kritischen Geltungsansprüche der Moderne kann der enorme Anstieg der Preise kein Ausdruck eines besonderen Glaubens an die Kunst und ihre Wirkungen mehr sein. Der Hype des Kunstmarkts rührt aus der vormodernen Repräsentationsleistung der Kunst her. Werke der Siegerkunst wie etwa von Gerhard Richter, Damian Hirst, Anselm Reyle oder Georg Baselitz, so Wolfgang Ullrich, werden mit ihren Preisen assoziiert, weil sie die Kaufkraft dessen demonstrieren sollen, der diese Summen hinlegt.

Der Preis ist keine Aussage über die Qualität des Kunstwerks, sondern er verrät nur „seine Eignung als ein Objekt, mit dem sich Reichtum schillernder, paradoxer, rätselhafter, skandalöser, cooler in Szene setzen und erfahren lässt mit anderen Objekten“. Man liebt und lebt eben das Besondere und das besondere Risiko.

Liebe zum Risiko ist eine Selbsttäuschung

Letzteres ist freilich vor allem eine Selbsttäuschung, der besonders gern die Produzenten der Siegerkunst anheimfallen. Der beste Beleg ist Wolfgang Ullrichs Buch, das viele Leerstellen enthält, wo eigentlich eine Arbeit von Doug Aitken hätte abgebildet werden sollen oder eine von Jeff Koons, Andreas Gursky, Thomas Ruff oder Jürgen Teller.

Aus Angst, sich im Kontext von Siegerkunst wiederzufinden, verboten sie beziehungsweise ihre Sammler den Abdruck. Von Risikofreude also keine Spur, im Gegenteil „nutzt – missbraucht – eine Reihe von Künstlern das Urheberrecht dazu, Kunstwissenschaftler und Kritiker auf Kurs zu bringen“, wie Ullrich feststellt.

Der Kontrollwahn der Siegerkünstler ist nicht wirklich verwunderlich, verstehen sie sich vornehmlich als Markenunternehmer. Als solche schaffen sie ihr Werk gar nicht mehr selbst − das überlassen sie ihrem Atelierbetrieb −, sondern sehen ihre Hauptaufgabe darin, die Rezeption und die Imagebildung ihrer Marke, also ihres Werks, zu steuern. Mit Referenz auf den Kunsttheoretiker Boris Groys stellt Ullrich fest, dass die Kunstproduktion der Siegerkünstler dabei zu einem Akt des Shoppings wird.

Der Künstler als aktiver und kritischer Konsument nimmt dabei die Rolle der vormaligen Aristokratie ein, deren Vertreter „einen innovativen und zugleich vorbildlichen Konsum“ betrieben und ständig „neue, künstliche, exquisite Bedürfnisse“ erfanden. In der Analyse seines Studiobetriebs erscheint Olafur Eliasson so sehr als dieses Role Model, dass es wenig verwundert, wenn sein Werk an die höfische Unterhaltungsästhetik von Feuerwerk, Elektrizität und kunstvollen Apparaten erinnert.

Spleen einer Minderheit

Siegerkünstler schlüpfen problemlos in die Rolle des Auftragskünstlers. Auch das unterscheidet sie von ihren modernen Vorgängern, bei denen der Eindruck entstanden war, Auftragskunst sei überholt oder gar anrüchig. In der neuen Unbeschwertheit der Siegerkunst sieht Wolfgang Ullrich daher die Chance eines neuen Bewusstseins dafür, wie wichtig der Beitrag eines Auftraggebers sein kann, als Sparringspartner auf Augenhöhe, der nicht nur zahlt, sondern motiviert und herausfordert. In früheren Zeiten wurde jedenfalls, so der britische Kunsthistoriker Frances Haskell, „nicht selten eher dem Auftraggeber als dem Künstler das Verdienst um ein herausragendes Meisterwerk zugesprochen“.

Siegerkunst könnte somit als Symptom einer Renormalisierung gedeutet werden, schlägt Ullrich vor, der die Moderne als historische Ausnahme sieht, als „eine Zeit, in der sonst selbstverständliche Vorstellungen von Kunst suspendiert wurden“. Gleichzeitig könnte es sein, dass die aktuellen Veränderungen die letzten sind, die noch annähernd so genau analysiert oder auch scharf kommentiert werden.

Denn dadurch, dass Kunst eine Sache von Besitz wird und die sekundäre Aneignung, also die allgemeine Rezeption, an Bedeutung verliert, ist damit zu rechnen, so schließt Ullrich seine anregende Studie, „dass es künftig weniger Interpretationen, Theorien, Reflexionen, Bekenntnisse zur Kunst geben wird“. Zugespitzt: Siegerkunst wäre dann der Spleen einer kleinen Minderheit, ohne weiteren Belang für die Gesellschaft.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.