Filmen von Polizeieinsätzen: „Hier gibt es nichts zu sehen“

Wer überwacht die Polizei? Unsere Autorin hat versucht, eine Festnahme zu filmen und wurde brutal von einem Beamten davon abgehalten.

Eine Polizistin hält ihre Hand an eine Bodycam auf ihrer Schulter. Auf ihrem Rücken steht „Videoüberwachung“

Die Polizei filmt alles – nur die eigenen Kolleg_innen nicht so gern Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Der Mann schreit, und das ist auch nicht verwunderlich, denn vier Polizeibeamte sitzen auf ihm. Er liegt mit dem Gesicht nach unten, seine Arme sind unnatürlich verdreht, in seinem Rücken hat er das Knie eines Beamten. Es ist die Nacht auf den 1. April, am Münchner Hauptbahnhof, und ich bin gerade auf dem Weg nach Hause, als ich an der Szenerie vorbeikomme.

„Was hat der Mann denn getan?“, frage ich einen der Polizisten. Das gehe mich nichts an, ruft es zurück, ich solle verschwinden. Der Mann schreit immer noch. Unschlüssig bleibe ich an der Ampel ein paar Meter entfernt stehen. Was der Mann wohl verbrochen hat? Vermutlich ist die Gewalt gerechtfertigt. Aber was, wenn sie es nicht ist? Die Ampel wird grün. Ich bleibe stehen.

Allein im Jahr 2014 sind 2.138 Polizisten wegen Körperverletzung von Bürgern angezeigt worden. Nur gegen 33 von ihnen wurden Ermittlungen aufgenommen – das sind nicht einmal zwei Prozent der aktenkundigen Fälle. Wie viele davon verurteilt wurden, ist unklar.

2015 hat das Journalistenbüro Correktiv eine weitreichende Recherche zur Polizeigewalt in Deutschland veröffentlicht. Sie kommt zu dem Ergebnis: Deutschland hat ein Problem. Auch, weil in vielen Bundesländern lediglich polizeieigene Dezernate für interne Ermittlungen existieren – keine unabhängigen Beschwerdestellen, wie sie etwa Amnesty International fordert. Dort ermitteln Polizisten gegen Polizisten. So auch in Bayern.

Die Frage nach dem Gewaltmonopol

Sucht man im Internet nach Berichten über verurteilte Polizisten, fällt auf: In fast allen Fällen kamen die Verurteilungen nur zustande, weil Videomaterial vorhanden war. Das aber kam zumeist von Umstehenden. Viel häufiger als von der Polizei – dabei hat die fast immer ein Videoteam bei sich.

Die Polizei überwacht den Bürger, das ist ihre Aufgabe. Aber wer überwacht die Polizei? „Gehen Sie jetzt, ich erteile Ihnen einen Platzverweis!“, ruft ein Beamter mir zu. Er breitet seine Arme aus und schiebt mich auf die Straße. Die Ampel ist rot. „Ich lasse Sie festnehmen, wenn Sie nicht gehen.“

Darf er das? „Grundsätzlich braucht die Polizei einen Anlass, um einen Platzverweis erteilen zu können“, sagt der Münchner Rechtsanwalt Marco Noli. „Das Problem ist: Auch wenn der Platzverweis nicht rechtmäßig ist, ist man als Bürger zunächst verpflichtet, ihm nachzukommen. Tut man das nicht, kann die Polizei einen sogar in Gewahrsam nehmen.“

Allein 2014 sind 2.138 Polizisten wegen Körperverletzung von Bürgern angezeigt worden. Nur gegen 33 von ihnen wurden Ermittlungen aufgenommen.

Kurz darauf stehe ich auf der anderen Straßenseite und stelle mir philosophische Fragen über den Begriff „Gewaltmonopol“. Ich beginne, die Festnahme mit dem Handy zu filmen. Morgen werde ich in den Pressemitteilungen lesen, worum es bei dem Einsatz ging.

„Sie zeigen mir jetzt sofort Ihren Presseausweis oder ich konfisziere Ihr Handy“, ruft der Bundespolizist, der mir auch schon den Platzverweis erteilt hatte. Er stürmt auf mich zu, packt mich an der Schulter und zerrt mich über die Straße zurück neben den Einsatzwagen. Ich murmele irgendetwas davon, dass ich meine Rechte kennen würde. Was gelogen ist. Denn: Eigentlich habe ich keine Ahnung von meinen Rechten.

Angst vor Smartphones

„Grundsätzlich darf jeder Fotos und Filme von Polizeieinsätzen machen“, sagt Rechtsanwalt Marco Noli. „Nur veröffentlichen darf man sie nicht einfach so.“

Er findet: Bürger sollten viel häufiger zur Kamera greifen, wenn sie polizeiliche Maßnahmen beobachten. „Die Polizei filmt zwar in den meisten Fällen selbst“, sagt er. „Aber das ist dann ihr Material, das sie selbst zusammenschneiden können.“ Es habe schon viele Fälle gegeben, in denen die Polizei Videos von Fehlverhalten ihrer Kollegen gelöscht hätte. „Ich glaube, die Polizei geht deshalb so vehement gegen filmende Bürger vor“, sagt Noli. „Sie hat Angst, dass durch die Smartphones die Ära enden könnte, in der sie selbst entscheiden konnte, welches Videomaterial vor Gericht landet.“

Am nächsten Tag gibt die Bundespolizei eine Pressemitteilung heraus. Sie basiert, so sagt das die Pressestelle, auf den Erinnerungen des einsatzhabenden Polizeibeamten. Mit dem Abend, so wie ich ihn erlebt habe, hat sie nur wenig zu tun: Weder erinnert sich der Beamte daran, mir das Filmen verboten zu haben, noch will er mich gewaltsam auf die andere Straßenseite gezerrt haben. Vielmehr „nahm ein Beamter Kontakt zu der Frau auf“, so steht es dort.

„Gedächtnis ist veränderbar“, sagt Pressesprecher Hauner, als ich ihn nach den Unstimmigkeiten frage. „Vielleicht erinnern Sie sich nicht richtig.“ Vielleicht. Eine offizielle Stellungnahme des Beamten war in der Kürze der Zeit nicht zu bekommen.

Immerhin weiß ich jetzt, was der Mann verbrochen haben soll, dessen Festnahme ich filmen wollte: Er habe „versucht, die Beamten tätlich anzugehen“, als diese ihn wegschieben wollten. Das wiederum empfand die Polizei für nötig, weil er trotz eines Platzverweises und einer Unterlassungsbitte neben ihnen stehen blieb. Und eine Festnahme gefilmt hat.

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