Donald Trumps Wählerschaft: Einer wie wir – nur reicher

Im US-Bundesstaat West Virginia hat die Bevölkerung jeden Grund, wütend zu sein. Ein guter Ort, um zu fragen, warum Menschen Trump wählen.

Ein Mann steht an einem Pult. Es ist Donald Trump

Auf Wahlkampftour: Donald Trump in Charleston, West Virginia Foto: reuters

CHARLESTON taz | Woher kommt die Wut? Warum hat jemand, der gegen Minderheiten, Frauen, das Establishment pöbelt – also insgesamt gegen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung –, gute Aussichten, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten zu werden? „Ich weiß nicht, ob Sie das herausbekommen“, hatte der Rechtsanwalt Greg Vinal aus Buffalo im Bundesstaat New York gesagt. „Alle Amerikaner, die Donald Trump nicht unterstützen, versuchen diese Nuss zu knacken.“

Vielleicht gibt es keinen besseren Ort als West Virginia, um der Frage nachzugehen. Wenn nämlich die Bevölkerung irgendwo Anlass hat, wütend zu sein, dann dort. „Wild und wundervoll“, lobt das Land sich selbst, und tatsächlich ist die Landschaft großartig, vor allem im Appalachen-Gebirge mit seinen Schluchten und Flüssen.

Allerdings gibt es in der Gegend eben nicht nur herrliche Ausblicke. Sondern auch ungewöhnlich viele Trailerparks mit heruntergekommenen Fertighäusern, weite Landstriche ohne Kinos, Restaurants oder Hotels. Und viele Billigläden.

Platzierungen, neudeutsch Rankings, sind in den USA beliebt. Je nach Fragestellung und Auftraggeber fallen die Ergebnisse sehr unterschiedlich aus. Etwas aber ändert sich nie: West Virginia landet im Vergleich der Bundesstaaten immer ganz weit hinten. Lebensqualität Platz 49, Wirtschaftsdaten Platz 50, allgemeines Geschäftsklima Platz 49.

Noch immer ist der Abbau von Kohle hier einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Aber die Exporte gehen beständig zurück. Die Immobilienpreise fallen, das Haushaltsdefizit ist riesig, es gibt überdurchschnittlich viele Arbeitslose, die Bevölkerung wandert ab.

Die Ostfriesen der USA

Die Leute, die hierbleiben, werden vom Rest der USA etwa so behandelt wie die Ostfriesen vom Rest Deutschlands. Der Komiker Trevor Noah sagte kürzlich, das „gute“ Virginia unterstütze Hillary Clinton, die demokratische Präsidentschaftsbewerberin. „Nicht dieses gruselige, andere Virginia, bei dem mir ganz anders wird.“

Jacque Bland

„Ich will nicht behaupten, dass er schauspielert. Aber ich versuche, das nicht zu ernst zu nehmen“

Der 34-jährige Politologe Curd Zickafoose, der das erzählt, ist überzeugter Demokrat. Donald Trump, der seit dieser Woche als Präsidentschaftskandidat der Republikaner so gut wie feststeht, kann er gar nicht leiden. Aber was er vielleicht noch weniger leiden kann: „Wir sind immer ein Ziel für billige Witze. Hinterwäldlerisch, unerzogen, schlecht ausgebildet.“ Selbst über den Dialekt macht man sich im Rest der USA lustig. Er wirkt persönlich verletzt.

Es gibt nicht viel, was Demokraten und Republikaner im aufgeheizten Wahlkampf derzeit miteinander verbindet, das Gefühl der Gekränktheit in West Virginia schon. Und die Erkenntnis, dass die Gesellschaft in gesellschaftspolitischer Hinsicht konservativ ist. „Die Leute hier mögen keine Veränderungen“, sagt Zickafoose. Das sieht Conrad Lucas ähnlich. Er ist Vorsitzender des Republican National Committee für West Virginia, der republikanischen Parteiorganisation, die für Spendensammlung, Wahlkampfstrategie, politische Selbstdarstellung zuständig ist. Ein wichtiger Posten.

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Der 34-Jährige ist gut gelaunt. Der Abend verläuft für ihn erfreulich. In einer alten Villa in der Landeshauptstadt Charleston findet eine Spendensammlung für die Partei mit geladenen Gästen statt. Viel Geld ist da um den Flügel im Wohnzimmer und vor dem Kamin versammelt, über dem ein eindrucksvoll großes Ölgemälde hängt.

Kein Spur von Wut

Wut? Keine Spur. Warum auch? Hier trifft sich die gehobene Gesellschaft. Donald Trump? Den finden viele vulgär, unangenehm, er ist nicht der Kandidat, den man sich gewünscht hätte.

„Ich habe ein Problem mit seinem großen Mundwerk“, sagt Chandler Swope freundlich, ein vornehmer, älterer Herr, der für den US-Senat kandidiert. „Und die Idee, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, ist dumm. Unser Land basiert auf Einwanderung. Es geht nicht, dass man sagt: Wir sind da, von jetzt an darf niemand mehr kommen.“ Dennoch würde der 73-Jährige für Trump stimmen, wenn der vom Parteitag der Republikaner nominiert wird. Es sei nötig, dass die Partei irgendwann Geschlossenheit zeige. So wie er sehen das viele der mehr als 50 Gäste. Sie haben bereitwillig ihre Brieftaschen geöffnet.

Deshalb kann Conrad Lucas sich jetzt in einer Bar entspannen. Zusammen mit Freunden und Mitstreitern. Mit dem erst 26-jährigen Lance Wheeler, der als Geschäftsmann schon ziemlich erfolgreich ist und nun für den Posten eines Landrats kandidiert. Mit Jacque Bland, 37, der Pressesprecherin des Senats für West Virginia. Mit dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt Steve Conolly, 41. Mit dem 38-jährigen Chuck Flannery, der die Kampagne für den republikanischen Gouverneursanwärter organisiert. Und anderen. Am Tisch sagen alle brav nur die richtigen Sätze: wie sehr sie West Virginia lieben; warum die Politik der Demokraten eine Katastrophe wäre für das Land; dass ihnen allein die gute Sache am Herzen liege.

Entscheidung: Nachdem Donald Trump am Dienstag die Vorwahl im US-Bundesstaat Indiana gewonnen hat, stiegen auch seine letzten verbliebenen Konkurrenten, John Kasich und Ted Cruz, als Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner aus. Damit gilt als sicher: Der Immobilienunternehmer Trump wird Kandidat und wahrscheinlich gegen die Demokratin Hillary Clinton antreten.

West Virginia: Am Dienstag ist Vorwahl in West Virginia. Für die Republikaner ist die Wahl mit nur einem Kandidaten allerdings nur noch Formsache.

Wenn man für eine gemeinsame Zigarette nach draußen geht, reden sie auch über Taktik – unter der Bedingung, dass ihre Äußerungen anonymisiert werden. Der Strukturkonservatismus der Gesellschaft ist günstig für die Republikaner, auch die Tatsache, dass evangelikale Kirchen großen Einfluss haben. Und: „Rassismus ist hier weit verbreitet, was kein Wunder ist, weil wir in West Virginia eine fast ausschließlich weiße Gesellschaft sind.“ Der Mann, der das sagt, erklärt glaubhaft, das abstoßend zu finden. Aber natürlich käme Trump bei Rassisten gut an. Wut? Kann helfen. Muss aber nicht.

„Die Leute wollen jemand wählen, der ist wie sie selber“, sagt einer. Ein anderer erklärt: „Wenn man die Terminologie benutzt, die die Leute hören wollen – also zum Beispiel: ich schaffe Jobs –, ohne die Methode zu erklären, wie man das machen will, dann hat man schon gewonnen.“

Da könnte was dran sein. Donald Trump scheint sich für die komplexen Feinheiten von Politik nicht zu interessieren, und er erweckt den Eindruck, den Job des US- Präsidenten für ein Kinderspiel zu halten. Vielleicht glaubt er das ja wirklich. Was ihn von vielen seiner Anhänger nicht unterscheiden dürfte. Ja, möglicherweise ist es so: Die Leute wollen jemand wählen, der so ist wie sie selber. Nur etwas erfolgreicher.

Aber wie kann eine Frau einen Kandidaten wie Donald Trump unterstützen – nach all den sexistischen, dümmlichen Bemerkungen, die er über Frauen gemacht hat? „Ich will nicht behaupten, dass er schauspielert“, meint Jacque Bland. „Aber ich versuche, das nicht zu ernst zu nehmen.“ Möchte sie sagen, er wolle „doch nur spielen“? Es gibt viele Frauen, die ihre Männer so erklären. Wird Trump für Herrn Jedermann aus dem Nachbarhaus gehalten?

Gerechtigkeit gegen Kohle

Im südlichen West Virginia sind die Vorgärten mit Wahlbannern übersät, die auf niedrigen Stäben in die Rasenflächen gesteckt wurden. Aber hier wird nicht für Trump oder Clinton geworben. Hier bewirbt man sich um den Posten des Sheriffs, um das Amt der Richterin oder als Bürgermeister. Politik ist immer Lokalpolitik, lautet ein altes Bonmot. Zumindest in West Virginia stimmt das offenbar.

Jim Justice – so heißt der Mann wirklich: Jim Gerechtigkeit – möchte Gouverneur werden. Plakate mit seinem Namen stehen überall. Und darunter: „Jobs, Jobs, Jobs.“ Oder: „Er weiß, wie’s geht.“ Ein Donald Trump im Kleinformat? Nein. Zwar gibt es Gemeinsamkeiten: Beide sind Geschäftsleute, beide sind Milliardäre. Aber Jim Justice ist Demokrat. Und er versucht seinen Wahlkampf mit lauter positiven Botschaften zu führen: West Virginia sei schön und wirtschaftlicher Aufschwung möglich. Man müsse weiterhin auf Kohle setzen, aber eben auch verstärkt in Tourismus investieren.

Die Hector-Peterson-Schule in Berlin-Kreuzberg hatte einen fatalen Ruf. Sie wollte sich neu erfinden. Wir haben sie ein Jahr lang beobachtet. Ob es funktioniert hat, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Mai. Außerdem: Die SPD steckt in der Abwärtsspirale. Drei Besuche bei Menschen, die erklären, warum sie die Partei der Zukunft ist. Und: Das sächsische Freital wurde bekannt für Angriffe auf Flüchtlinge. Jetzt ist dort die syrische Band Khebez Dawle aufgetreten – gegen Rechts. Eine Reportage. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Was er getan hat: Für mehr als 20 Millionen Dollar kaufte er das berühmte, vom Bankrott bedrohte Luxusressort Greenbriers, um es zu altem Glanz zu führen. Außerdem betreibt er Landwirtschaft in großem Stil und besitzt Bergwerke.

Gewonnen hat er noch nicht. Zwei demokratische Mitbewerber gibt es, und auch der Kandidat der Republikaner hat Aussichten auf den Sieg. Der heißt übrigens Bill Cole, ein Name, der ausgesprochen wird wie das englische Wort für Kohle. Gerechtigkeit gegen Kohle – manche Sachen kann man nicht erfinden. Umfragen zufolge aber hat Jim Justice die Nase vorn. Ziemlich weit vorn.

Wenn es um Wut ginge, dann dürfte Jim Justice keine Chance haben. Aber vielleicht geht es ja im Kern um etwas ganz anderes. Nämlich um die Sehnsucht, die Kontrolle über das eigene Schicksal nicht zu verlieren – und um die Angst, das könnte in einer globalisierten Welt unvermeidlich sein. Donald Trump und Jim Justice erwecken beide den Eindruck, der Einzelne könne etwas verändern. Das Steuer herumreißen. Vielleicht ist es ja das, was für einen Sieg in den USA derzeit gebraucht wird. Ganz unabhängig von der Parteizugehörigkeit.

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