Vor 40 Jahren starb Ulrike Meinhof: Von Worten zu Waffen

Ulrike Meinhof hatte der Bundesrepublik den Krieg erklärt, ihr Name polarisiert bis heute. Vor 40 Jahren wurde sie tot in ihrer Zelle gefunden.

Die 37-jährige Ulrike Meinhof bei ihrer Festnahme in Hannover 1972 Foto: ap

BERLIN taz | „Hätte Ulrike Meinhof mehr mit mir getanzt, hätte sie nie zu Bomben gegriffen.“ So zitierte die Schriftstellerin Jutta Ditfurth 2009 in dieser Zeitung den vor einem Jahr verstorbenen Literaten Günter Grass.

Da war Ulrike Meinhof, die Journalistin und Mitbegründerin der Roten Armee Fraktion (RAF), bereits seit 33 Jahren tot – verstorben im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses in Stuttgart-Stammheim.

Auf ein Gestrüpp von wirren Legenden stoße jeder, der sich mit ihr beschäftige, schrieb Ditfurth weiter. Zu diesen Legenden zählt, dass sie aus einer antifaschistischen Familie stamme, von einer fortschrittlichen Pflegemutter erzogen worden und beruflich erfolgreich gewesen sei. Sie habe, bloß weil ihr Ehemann sie betrog, zu Sprengstoff gegriffen. Verwirrt und planlos sei sie bei der Befreiung des Kaufhausbrandstifters Andreas Baader im Mai 1970 aus dem Fenster einer Berliner Bibliothek in den Untergrund gesprungen. Bedrängt und verführt sei sie dann in den bewaffneten Kampf gezogen, „um am Ende nicht den inhumanen Haftbedingungen (vielleicht), sondern dem Streit mit Gudrun Ensslin zum Opfer zu fallen“.

40 Jahre ist der Tod Ulrike Meinhofs im Alter von 41 Jahren nun her. Am Morgen des 9. Mai 1976, einem Sonntag, fanden die Justizbeamten gegen 7.30 Uhr die im siebten Stock des Stuttgarter Gefängnisses die leblose Ulrike Meinhof in ihrer Zelle. An einem in Streifen gerissenen Handtuch hing sie am Gitter des Zellenfensters. Der Knoten kniff in ihren Hals, das Gesicht war blass und schmal, die braunen Augen halb geöffnet. Ihr rechter Fuß hing in der Luft, die linke Ferse berührte einen Stuhl, dessen Lehne zur Türe zeigte. Der Körper war kalt und steif, die Arme wiesen bereits Leichenflecken auf.

Mord oder Selbstmord?

Das baden-württembergische Justizministerium verbreitete kaum zwei Stunden später, gegen 9.20 Uhr, Ulrike Meinhof habe sich selbst getötet. Dabei hat der Professor Joachim Rauschke, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Gesundheitsamt der Stadt Stuttgart, erst um 9.25 Uhr mit der Untersuchung der Leiche begonnen.

Wie war sie gestorben? War es Mord oder Selbstmord? War sie in den Suizid getrieben worden? Diese Frage beschäftigte lange die deutsche Öffentlichkeit.

Alle fragten: Wie konnte diese Frau sich in den bewaffneten Kampf stürzen?

Die Deutsche Presseagentur meldete an jenem Tag um 9.34 Uhr: „Selbstmord durch Erhängen“. Zwei amtliche Gutachten bestätigten den Suizid, eine Internationale Untersuchungskommission – von Freunden und Verwandten Meinhofs angerufen – kam zu dem Ergebnis, dass der Körper bereits leblos war, als er aufgehängt wurde.

Die RAF, die sich seit ihrer Gründung 1970 als „Stadtguerilla“ verstand und Gewalt als Mittel ihres Kampfs gegen „die Herrschenden“ stets rechtfertigte, sprach von einer gezielten „Hinrichtung“ Meinhofs seitens des Staates.

Der überraschende Tod Meinhofs löste neben „Mord“-Vorwürfen gegen die staatlichen Behörden eine Welle von Gewalttätigkeiten im In- und Ausland aus: Zu militanten Demonstrationen kam es unter anderem in Westberlin und Frankfurt am Main, wo ein Sprengstoffanschlag gegen das Frankfurter Hauptquartier der US-Streitkräfte verübt wurde.

Wie konnte sie nur?

Auch die Beisetzung von Meinhof in Berlin am 15. Mai 1976 geriet zu einer großen Demonstration. Auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in Mariendorf gaben 4.000 Linksradikale der Verstorbenen das letzte Geleit, rund 1.000 Polizisten befanden sich im Einsatz.

Im Juni 1976 stellte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft das Verfahren zur Ermittlung der Todesursache ein. Zweifel an der Selbsttötung wurden im In- und Ausland zwar immer wieder artikuliert. Trotz aller Widersprüchlichkeit gab es keine weiteren Ermittlungen, die Behörden legten den Fall als Suizid zu den Akten.

Noch jede Darstellung Ulrike Meinhofs, schrieb einmal der RAF-Kenner Willy Winkler in der Süddeutschen Zeitung, folgt der kategorischen Frage: Wie konnte sie nur? Wie konnte eine Frau, die erfolgreich, sogar prominent war, die zwei kleine Kinder hatte und ihre Meinung jederzeit verbreiten durfte, wie konnte diese Frau sich in den bewaffneten Kampf stürzen?

Obwohl Ulrike Meinhof keineswegs im Verborgenen heranwuchs, vielmehr eine „in den sechziger Jahren gern herumgereichte Trophäe in der Hamburger und Sylter Gesellschaft“ (Winkler) war und sich noch heute ältere Herrschaften damit rühmen, mit ihr getanzt (siehe oben), gelacht und geknutscht zu haben, scheint es noch immer unbegreiflich, dass sich jemand aus dieser „Party-Republik“ (nach dem Schriftsteller Peter Rühmkorf) davonstehlen konnte, um der Bundesrepublik den Krieg zu erklären.

Ihr Leben habe alle Elemente einer verweltlichten Heiligenlegende: vaterlos im Nationalsozialismus aufgewachsen, früh die Mutter verloren, von einer tapferen Tante in den Widerstand gegen die atomare Nachrüstung geleitet, als Journalistin erfolgreich, eine tragische Gestalt noch in der wahnwitzigen Freischärlertruppe RAF, die das ungeliebte Mitglied schließlich zum Selbstmord in der Zelle trieb.

Der Name Meinhof polarisiert damals wie heute.

Für die Mehrheit der Deutschen war sie der Kopf einer terroristischen und nihilistischen Mörderbande. Immerhin stand sie im Mai 1975 im ersten großen Prozess gegen die RAF-Gründer zusammen mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Karl Raspe wegen Mordes in fünf Fällen und Mordversuch in 54 Fällen, wegen Sprengstoffanschlägen und wiederholten Bankdiebstahls vor Gericht.

Nicht wenige Intellektuelle – etwa der Schriftsteller: Erich Fried – verglichen die Meinhof dagegen mit Rosa Luxemburg. Selbst der ehemalige Bundespräsident Gustav Heinemann erklärte: „Mit allem, was sie getan hat, so unverständlich es war, hat sie uns gemeint.“

Bei der Beerdigung Meinhofs hielt neben dem Theologen Helmut Gollwitzer auch der linke Verleger Klaus Wagenbach eine Grabrede: „Was Ulrike Meinhof umgebracht hat, waren die deutschen Verhältnisse: Der Extremismus derjenigen, die alles für ‚extremistisch‘ erklärten, was eine Veränderung der Verhältnisse auch nur zur Debatte stellte. Das wollen wir nicht vergessen. Es sind unsere Verhältnisse, die wir nicht vergessen wollen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.