Streiks in Frankreich: Brennende Reifen, knapper Sprit

Die Gewerkschaften spielen mit dem Feuer. Um die umstrittene Arbeitsmarktreform zu Fall zu bringen, werden nun Atomkraftwerke bestreikt.

Ein Demonstrant hebt seine geballte Faust. Im Hintergrund sind ein Polizeieinsatzfahrzeug und Polizisten vor einem großen Feuer zu sehen

Die Proteste gehen weiter: hier vor einem Treibstoffdepot in Douchy-les-Mines in Nordfrankreich Foto: dpa

PARIS taz | Die französische Regierung hat den Widerstand gegen die Liberalisierung des Arbeitsrechts unterschätzt. Ausgerechnet die in Paris regierenden Sozialisten scheinen den alten Leitspruch der Arbeiterbewegung vergessen zu haben: „Alles steht still, wenn dein starker Arm es will.“ Dafür sorgen derzeit die Gewerkschaftsverbände CGT und Force Ouvrière.

Sie wollen, dass die Regierung die umstrittene Reform zurücknimmt. Die darin vorgesehene Lockerung beim bisherigen Kündigungsschutz kann für sie kein Verhandlungsgegenstand darstellen, ebenso wenig die grundsätzliche Änderung im Artikel 2 der Vorlage, der besagt, dass künftig für die Arbeitsbedingungen, Entlassungen oder die Lohnzuschläge für Überstunden nicht mehr primär das Gesetz und die Branchenverträge, sondern die Erfordernisse und Beschlüsse auf Unternehmensebene gelten.

Da mehrere Kundgebungen und andere traditionelle Protestformen nicht reichten, organisieren die Gegner der Regierungspolitik in einer Eskalationsstrategie gezielte Aktionen, die die Wirtschaft an den schmerzlichsten Stellen treffen. Mit Lkw-Straßenblockaden vor Treibstoffdepots, einem umfassenden Streik in allen acht Erdölraffinerien sowie in den Erdöl-Terminals der Seehäfen ist es ihnen in wenigen Tagen gelungen, einen drastischen Benzinmangel zu schaffen. Dieser wird durch unvermeidliche Hamsterkäufe noch verschlimmert. Am Donnerstag war bereits ein Drittel der Tankstellen wegen Nachschubproblemen geschlossen.

Die Regierung schwankt zwischen Empörung über die „Erpressung“ durch diese organisierte Treibstoffverknappung und Drohungen mit Polizeigewalt. Die bürgerliche Opposition gießt schadenfreudig Öl ins Feuer, indem sie der Staatsführung vorwirft, sie habe die Kontrolle verloren und überlasse mit ihrem Mangel an Autorität das Land dem Chaos. Inzwischen wurden mit demonstrativer Entschlossenheit mehrere Barrikaden vor den Treibstofflagern geräumt. Zudem versichert der Staat, es gebe Notvorräte, um den Grundverbrauch 118 Tage lang decken zu können.

Letzte Karte Atomkraft

Doch die Gewerkschaften haben nicht ihre letzte Karte ausgespielt. Seit Mittwoch haben die Beschäftigten in den Elektrizitätswerken den Streik ausgerufen. Das umfasst auch alle 19 Atomanlagen mit 58 Reaktoren. Die Gewerkschaften drohen, die Produktion zu drosseln und so den Energiemangel zu verschärfen. Notfalls könne die Aktivität bis aufs Sicherheitsminimum gesenkt werden, hieß es.

Trotz der gewerkschaftlichen Garantie, dass die Sicherheit der Bevölkerung zu keinem Zeitpunkt vorsätzlich gefährdet werde, kommt bei vielen ein mulmiges Gefühl auf, wenn die Atomkraft als Druckmittel auf die Regierung oder als Unterpfand für Verhandlungen dient. Die Behörden haben indes die Möglichkeit, aus Sicherheitsgründen und zur Aufrechterhaltung einer Minimalversorgung mit Energie durch eine Zwangsverpflichtung eines Teils des Personals das Streikrecht in strategischen Sektoren einzuschränken.

Angesichts dieser Eskalation beginnt die Regierung zu zögern. Erstmals hat Premierminister Manuel Valls gesagt, „Verbesserungen“ der jetzigen Vorlage, die ja noch vom Senat abgesegnet werden müsste, seien ja immer noch möglich.

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