Die Bedeutung von Queer-Clubs: Gemeint waren wir

Der Anschlag in Orlando ist ein Angriff auf einen Schutzraum. In Clubs der schwul-lesbischen Szene wird die Minderheit zur Mehrheit.

Zwei Männer unterhalten sich hinter in einer New Yorker Bar

LGBTTIQ*-Bars sind manchmal fast heilige Orte Foto: imago/ZUMA Press

„Am besten geht man nur noch zu Naked-Sex-Parties, da trauen sich die Attentäter nicht rein.“ Ein Witz, so gehört am Tag des Attentats von Orlando in einem Berliner Schwulenclub. Immer noch einen Spruch auf den Lippen, mag auch die Welt aus den Fugen geraten sein – eine typische Eigenart von Minderheiten: Galgenhumor.

Das „Pulse“ in Orlando war weder eine herkömmliche Sexkaschemme mit Dark­room noch irgendeine Bar, in der Bier ausgeschenkt wurde, sondern ein zeitgenössischer LGBTTIQ*-Club, also offen für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle, queere und auch solche Menschen, die noch nicht so recht wissen, was sie nun sind.

„Not just another gay bar“, so beschreibt Betreiberin Barbara Poma, deren Bruder an Aids verstorben ist, das Konzept ihres im Jahr 2004 gegründeten Clubs. Es gibt dort regelmäßig queere Performances und Dragshows, aber auch LGBTTIQ*-politische Veranstaltungen. Am Samstag, als das Attentat verübt wurde, bei dem mehr als 50 Menschen starben, war Latino-Nacht.

Das „Pulse“ in Orlando ist also keiner jener parallelgesellschaftlichen Orte mehr, die früher typisch waren für das „Homosexuellenmilieu“. Bars in dunklen Gassen an möglichst abseitigen Orten, verborgen hinter verdunkelten Scheiben, Mauern und – ganz wichtig – einer Tür mit Klingel.

Im Keller hinter der Stahltür

Noch heute beginnen die meisten Reportagen über schwullesbische Szenen in Ländern mit hohem Unterdrückungsfaktor so: „Im dritten Hinterhof eines heruntergekommen Hauses öffnet sich im Keller eine rostige Stahltür.“ Und dahinter dann das pralle Leben.

Solche Bars gibt es selbstverständlich noch immer, nicht nur in Osteuropa. Es sind Schutzbunkeranlagen von Menschen, die jeden Tag ihres Lebens unter dem mal mehr, mal weniger starken Druck stehen, anders zu sein. Einer Minderheit anzugehören.

Das bedeutet die Möglichkeit, jederzeit angefeindet zu werden, auch körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein. Aber es bedeutet auch – für die Mehrheit nicht immer leicht zu verstehen –, dass man sich ständig erklären, übersetzen muss. Nur hinter der Eisentür, abgeschottet vom Rest der Welt, tritt ein Gefühl von Sicherheit ein, von Entspannung: Endlich einmal nicht in der Minderheit sein, sondern in der Mehrheit.

Also: endlich normal sein, wenn auch nur für ein paar Stunden. Sich langsam drehende Discokugeln, plüschiges Interieur und der Geruch von Alkohol, starkem Parfüm und Zigarettenrauch – dazu angetrashte Konsensmusik vom Schlager bis zum Kirmeshouse, so das Klischee und so auch manchmal noch die Wirklichkeit. Unabhängig von ästhetischen Kategorien sind LGBTTIQ*-Bars für die „Betroffenen“ selbst manchmal fast heilige Orte, jedenfalls zentrale Plätze ihres Lebens.

Erstmals hineinzugehen, bedeutet herauszukommen – im Sinne eines Coming-outs. Mag auch das Internet als Kontaktforum immer größere Bedeutung bekommen (ein Segen gerade für Homos in der Provinz), ist doch der queere Club noch immer eine der besten Möglichkeiten, um Sexual- und mögliche Lebenspartner kennenzulernen. Ohne bei einem allzu langen Blick in die Augen einen Schlag auf die Nase zu riskieren.

Freiheit ohne muffige Gardinen

Doch je weiter die gesellschaftliche Liberalisierung voranschritt, desto weniger notwendig wurden die Bunker mit ihrer manchmal auch arg muffigen Luft. Das war nicht immer so. Nachdem, auf Deutschland gemünzt, die gesamte (beeindruckend große) schwul-lesbische Infrastruktur durch die Nazis zerstört worden war, dominierten in der Zeit des Paragrafen 175 in der Nazi-Fassung über Jahrzehnte die heimlich-verhuschten Orte. Sein Auto stellte man in den fünfziger und sechziger Jahren lieber zwei Straßen weiter ab, um nicht erkannt zu werden.

In den späten siebziger Jahren dann, der Zeit der letzten großen deutschen Schwulenbewegung, eröffneten erstmals queere Lokalitäten, deren Fenster nicht verdunkelt waren: Das „Andere Ufer“ in der Berliner Hauptstraße und das „Spundloch“ in Hamburg – hier saßen nun freie BürgerInnen hinter von muffigen Gardinen befreiten Fensterscheiben.

Im Jahr 2016 hat sich die Situation in den westlichen Ländern so weit liberalisiert, dass nicht nur die Fenster offen sind für die Mehrheitsgesellschaft, sondern auch die Türen. Kamen früher nur die „besten Freundinnen“ mit in den Schwulenclub, sieht man heute in den LGBTTIQ*-Clubs immer mehr Heterosexuelle gleich welchen Geschlechts.

Sehnsuchtsorte der Weltoffenheit

Je schwächer der gesellschaftliche Druck, desto offener wurden die Szenen. Heteros schätzen die offene, nicht aggressive Partystimmung in den entsprechenden Clubs, können sich womöglich ein wenig vom Druck der Heteronormativität erholen. In Berlin ist dieser Effekt zum Beispiel bei den Tanzveranstaltungen des SchwuZ zu beobachten.

Noch weiter greift der Ansatz der lebenden Berliner Clublegende Berghain, das ureigentlich aus schwulen Sexpartys in den neunziger Jahren hervorgegangen ist und heute zu einem der umschwärmtesten Sehnsuchtsorte von freiheitsliebenden Menschen aus der ganzen Welt geworden ist – im Kern geht es in diesem Dom darum, das eigene Selbst ausleben zu können, inklusive des sexuellen Begehrens gleich welcher Natur.

Das „Pulse“ in Orlando ist nun nicht mit dem Berghain zu vergleichen, handelte es sich doch explizit um einen LGBTTIQ*-Club. Und doch waren an diesem Samstagabend ganz sicher auch weltoffene, von Akzeptanz geprägte Heterosexuelle dort zu Gast, um mit ihren queeren Freunden zu feiern, zu tanzen und zu trinken.

Ja, der Angriff auf das „Pulse“ war auch ein Anschlag auf die offene Gesellschaft, auf Menschen, die Minderheiten Luft zum Atmen geben möchten, sie akzeptieren, anstatt sie bloß zu tolerieren. Wirklich ermordet werden sollten aber LGBTTIQ*-Menschen, weshalb der Attentäter ja auch über hundert Kilometer gefahren ist, um speziell diese zu ermorden. „Gemeint waren wir“, sagte noch jemand im eingangs erwähnten Berliner Schwulenclub am Sonntag. Das „Pulse“ war nicht nur irgendein Club, sondern ein Ort, an dem queere Identität gelebt wurde, ein Ort, an dem Freundschaften gefeiert und Lieben begründet wurden.

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