Mord an Polizistenfamilie in Frankreich: Spezialeinheit tötet Geiselnehmer

Ein Attentäter bringt bei Paris eine Polizistenfamilie um. Der wegen Terrorismus vorbestrafte Mann soll den Angriff über seinen Facebook-Account übertragen haben.

Drei Polizisten stehen neben einem Polizeiauto auf der abgesperrten Straße in Magnanville

„Hier passiert nie etwas“, so eine Anwohnerin Foto: imago/PanoramiC

PARIS dpa | Der Attentäter von Paris soll seinen Angriff auf eine Polizistenfamilie über seinen Facebook-Account übertragen haben. Das berichtete der als Dschihadismus-Experte geltende Journalist David Thomson, der für den französischen Sender RFI arbeitet, auf seinem Twitter-Account. Andere Medien beriefen sich auf entsprechende Angaben von Ermittlern. Der Attentäter soll auch Fotos seiner Opfer gepostet haben. Eine Bestätigung für diese Informationen gab es bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Paris zunächst nicht. Der Facebook-Account soll inzwischen gelöscht worden sein.

Der nach Medienberichten wegen Terrorismus vorbestrafte Mann, der sich zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) bekannte, brachte im westlichen Umland von Paris einen Polizisten und dessen Partnerin um.

Er hatte am Montagabend zunächst den 42 Jahre alten Kriminalkommissar vor dessen Haus erstochen. Bei der Attacke auf den Polizisten vor dessen Haus in der Gemeinde Magnanville soll der Mann laut Augenzeugen auf Arabisch „Allah ist groß“ gerufen haben, wie die Zeitung Le Parisien berichtete.

Dann habe er sich im Gebäude verschanzt. Als Spezialkräfte das Haus stürmten und den Mann erschossen, fanden sie die Leiche der Lebensgefährtin des Polizisten. Diese war selbst Beamtin des Innenministeriums und arbeitete nach Angaben des Staatsanwalts von Versailles, Vincent Lesclous, als Sekretärin im Polizei-Kommissariat der nahegelegenen Stadt Mantes-La-Jolie. Ihr Mann war laut Parisien stellvertretender Chef der Kriminalpolizei im ebenfalls nahegelegenen Les Mureaux. Der dreijährige Sohn des Paares blieb unversehrt, stand aber unter Schock.

„In diesem Moment ist der Schmerz unermesslich“, sagte der Präfekt des Départements Yvelines, Serge Morvan. Eine Anwohnerin bezeichnete das Viertel, in dem sich die Tat ereignete, vor französischen Journalisten als ruhig: „Hier passiert nie etwas.“

Aufforderung, zu töten

Nach Angaben des Dschihadismus-Experten Thomson veröffentlichte der Täter auch eine Aufforderung, Polizisten, Gefängniswärter, Journalisten und Rap-Musiker zu töten. Dabei habe er zahlreiche Namen genannt. Das Kind sei auf einem Sofa zu erkennen gewesen. Der Attentäter habe gesagt, er wisse noch nicht, was er mit dem Kind machen solle.

7. - 9. Januar 2015:

Die Islamisten Chérif und Said Kouachi erschießen bei der Attacke auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo zwölf Menschen. In den folgenden Tagen tötet ihr Komplize Amédy Coulibaly eine Gemeindepolizistin und vier Menschen in einem jüdischen Supermarkt in Paris. Die Islamisten werden schließlich von Sondereinheiten der Polizei erschossen.

19. April:

Mit einer Schussverletzung am Bein wird der algerische Student Sid Ahmed Ghlam in Paris festgenommen, in seinem Auto wird ein wahres Waffenarsenal gefunden. Der damals 24-Jährige soll einen Anschlag auf mindestens eine Kirche geplant und eine junge Frau erschossen haben.

26. Juni:

Der wegen seiner Kontakte zur Salafisten-Szene bekannte Yassin Salhi enthauptet seinen Chef und bringt den Kopf neben islamistischen Flaggen am Zaun eines Gaslagers nahe Lyon an. Anschließend bringt er auf dem Industriegelände mehrere Gasflaschen zur Explosion, bevor er von Feuerwehrleuten überwältigt wird. Im Gefängnis nimmt sich Salhi das Leben.

21. August:

Ein Blutbad kann in einem Thalys-Schnellzug auf dem Weg von Amsterdam nach Paris verhindert werden: Zufällig mitreisende US-Soldaten überwältigen den schwerbewaffneten Ayoub El Khazzani, als dieser in dem Zug das Feuer eröffnet. Der 25-jährige Islamist verletzt zwei Menschen schwer.

13. November:

Bei nahezu zeitgleichen Attacken auf die Pariser Konzerthalle Bataclan, eine Reihe von Bars und Restaurants und das Stade de France in der Pariser Vorstadt Saint-Denis während eines Länderspiels Deutschland-Frankreich töten Islamisten 130 Menschen. Zum schwersten Anschlag in der französischen Geschichte bekennt sich die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). Seit dem Blutbad gilt in Frankreich der Ausnahmezustand.

7. Januar 2016:

Am Jahrestag des Charlie Hebdo-Anschlags attackiert ein Mann ein Pariser Polizeirevier mit einem Metzgerbeil und wird von Beamten erschossen. Bei dem toten Angreifer wird ein Bekennerschreiben mit einer IS-Fahne entdeckt.

13. Juni:

Mitten während der Fußball-EM tötet ein vorbestrafter Islamist im westlich von Paris gelegenen Magnanville einen Polizisten und seine Ehefrau. Staatschef François Hollande spricht von einem "Terrortakt". (afp)

Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft zog den Fall aufgrund des Vorgehens, des Ziels und der Äußerungen des Täters an sich, wie der Deutschen Presse-Agentur aus Justizkreisen bestätigt wurde. Der Mann habe sich bei Verhandlungen mit der Polizei-Spezialeinheit RAID auf den IS berufen. Die von der Terrormiliz als Sprachrohr genutzte Nachrichtenagentur „Amaq“ berichtete zudem unter Verweis auf eine nicht näher spezifizierte Quelle, dass der Täter Kämpfer des IS gewesen sei.

Über die Identität des Angreifers wurde zunächst nichts bekannt, auch nicht über die Glaubwürdigkeit seiner Berufung auf den IS. Nach Angaben der auf die Beobachtung dschihadistischer Propaganda spezialisierten Firma Site berichtete „Amaq“, dass ein IS-Kämpfer den stellvertretenden Polizeichef der Ortschaft Les Mureaux und dessen Frau mit Stichwaffen getötet habe.

Präsident François Hollande verurteilte „diese abscheuliche Tat“. Er sicherte zu, dass die Hintergründe vollständig aufgeklärt würden, und berief für Dienstagmorgen eine Sitzung im Élyséepalast ein. Innenminister Bernard Cazeneuve soll am Morgen zudem die Kommissariate von Les Mureaux und Mantes-la-Jolie besuchen.

Die Attacke genau sieben Monate nach den Pariser Terroranschlägen vom 13. November fällt mit der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich zusammen, die aus Furcht vor Anschlägen von Zehntausenden Polizisten geschützt wird. Im Vorfeld der EM hatten Behörden immer wieder auf eine anhaltend hohe Terrorgefahr in Frankreich hingewiesen. Nach übereinstimmenden Angaben gab es aber keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne gegen das Turnier.

Frankreich war im vergangenen Jahr mehrfach Ziel islamistischer Terroranschläge, denen insgesamt 149 Menschen zum Opfer fielen. Die schwerste Anschlagserie ereignete sich am 13. November, als IS-Terroristen mit Sturmgewehren und Sprengstoffgürteln im Pariser Musikclub „Bataclan“, am Stade de France sowie in Bars und Restaurants der Hauptstadt 130 Menschen ermordeten.

Nach dem jüngsten Massaker in einem vor allem von Homosexuellen besuchten Club in der US-Großstadt Orlando hatte die IS-nahe Agentur „Amaq“ ebenfalls behauptet, der Täter gehöre zu der Terrororganisation. Auch dort hatte sich der Todesschütze im Kontakt mit der Polizei zu islamistischen Terrororganisationen bekannt, allerdings passen seine verschiedenen Äußerungen nach Angaben der US-Bundespolizei FBI dem ersten Anschein nach nicht zusammen.

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