Die Wahrheit: Von Iren und Isen

In Sachen Niedlichkeit sind die Isländer der neue Angstgegner der irischen Fußballfans. Zum Glück können die Anhänger Sigthórssons nicht singen.

Island ist das neue Irland. Jedenfalls beim Fußball. Hatten die irischen Fans bisher keine Konkurrenz, wenn es um den Niedlichkeitsfaktor ging, hat ihnen Island nun den Rang abgelaufen. Dabei haben die Iren alles getan, um das zu verhindern.

Sie haben Autos wildfremder Franzosen am Straßenrand repariert, Geld hinter den Scheibenwischer eines Autos geklemmt, das sie aus Versehen verbeult hatten, sie haben eine Französin umzingelt und ihr ein Ständchen gebracht. Dass sie massenhaft Organe in den Krankenhäusern von Paris, Bordeaux und Lille gespendet haben, ist allerdings nur ein Gerücht.

So mancher hatte seit einiger Zeit befürchtet, dass die Blase platzen würde, so wie sie es bei der Finanzkrise tat. Damals hatten die Isländer vorgelegt, und man prophezeite den Iren, dass nur ein einziger Buchstabe sie vom selben Schicksal trennte. So kam es dann auch. Beide Länder waren kaum noch zu unterscheiden: kein Geld, In Sachen Niedlichkeit sind die Isländer zum neuen Angstgegner der irischen Fußballfans geworden. Zum Glück können die Anhänger Sigthórssons nicht singen.miserables Wetter, merkwürdiges Essen, sentimentale Musik, exorbitante Preise und Einwohner, die unglaubliche Mengen an Alkohol vertilgen können.

Die Iren haben einen Feiertag erfunden, an dem sie praktisch verpflichtet sind, sich so schnell und gründlich wie möglich ins Delirium zu versetzen. Der heilige Patrick, Irlands Schutzpatron, wäre sicher beleidigt, wenn jemand an seinem angeblichen Sterbetag, dem 17. März, nüchtern bliebe. In Island wiederum haben sie einen „Bier-Tag“ erfunden, an dem die gleichen Regeln gelten. Am 1. März feiert man dort das Ende des 74 Jahre andauernden Bierverbots, das erst 1989 aufgehoben wurde.

Nur beim Fußball lagen die Iren bisher vorne, aber bei diesen Europameisterschaften haben die Isländer den Vorsprung nicht nur wettgemacht, sondern die Iren hinter sich gelassen – wobei die Frage bleibt, warum es „Iren“ heißt, aber nicht „Isen“. Beide Völker leben jedenfalls auf einer Insel, aber es gibt weniger Isländer, was ihre Leistungen auf Spielfeld und Tribüne noch rühmlicher macht. Längst hat das isländische Team ein bislang den Iren vorbehaltenes Adjektiv für sich reklamiert: „Die tapferen isländischen Fußballer …“ Einzig beim Gesang können Isländer nicht mithalten.

Bei den Europameisterschaften vor vier Jahren brachten die Iren im Spiel gegen Spanien sogar den deutschen Reporter zum Verstummen, weil sie beim Stand von 0:4 die letzten zehn Minuten stimmgewaltig „The Fields of Athenry“ sangen.

Den Isländern ist das jedoch durch ihre Leistung auf dem Platz gelungen. Der frühere englische Nationaltrainer Steve McClaren höhnte während des Spiels, dass die Isländer dem englischen Druck nicht mehr lange standhalten würden. „Der Einzige, den sie vorne haben“, meinte McClaren, „ist dieser große Junge Sigthórsson.“ Im selben Augenblick schoss Sigthórsson das Sigthór. McClarens Gesicht entgleiste, und er schwieg für den Rest der Sendung. Und Englands Trainer Roy Hodgson trat nach dem Fußball-Brexit sogar noch schneller zurück als Premierminister David Cameron nach dem politischen Brexit.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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