Gipfeltreffen in Warschau: Wo die Nato ein Problem hat

Viele Osteuropäer bezweifelten, dass die Nato sie im Ernstfall verteidigen würde. Sie setzen nun auf die Stationierung multinationaler Einheiten.

Ein Flugzeug der Royal Air Force und ein russisches Kampfflugzeug vor blauem Himmel

Begegnung im Osten: Ein Flugzeug der Royal Air Force zund ein russisches Kampfflugzeug in der Nähe von Estland Foto: dpa

WARSCHAU taz | Die wichtigsten Entscheidungen des Nato-Gipfels am Freitag und Samstag in Polens Hauptstadt Warschau sind bereits gefallen: In Polen und den drei baltischen Staaten werden ab 2017 multinationale Bataillone aufgestellt. Die jeweils tausend Soldaten sollen rotieren. Das heißt, sie werden nach sechs bis neun Monaten von anderen Soldaten abgelöst. In Polen werden die Amerikaner das Kommando übernehmen, in Litauen die Deutschen, in Lettland die Kanadier und in Estland die Briten.

Zudem wollen die USA entlang der Nato-Ostflanke Gerät für eine Brigade unterbringen, das im Fall eines Konflikts sofort einsatzbereit wäre und nicht erst über lange und zeitraubende Transportwege an Ort und Stelle gebracht werden müsste.

Aus Sicht der osteuropäischen Nato-Staaten ist dies ein erster Erfolg. Viele Jahre über wurden sie nicht nur von Moskau, sondern auch innerhalb des Bündnisses als vergangenheitsorientiert, überempfindlich und russophob abgestempelt, wenn sie auf die Gefahr aus dem Osten hinwiesen und stärkeren Schutz einforderten. Erst die Drohung Präsident Putins im Herbst 2014, russische Truppen könnten in nur zwei Tagen in Riga, Tallinn oder Warschau sein, sowie die zahlreichen Großmanöver mit zum Teil über 100.000 Soldaten an der Nato-Ostgrenze, machten klar, dass die Nato hier tatsächlich ein Problem hatte.

Sollte Russland, dessen Kampfjets immer wieder den Luftraum über Estland verletzen, dieses Land wie im Falle der Ukraine mit „kleinen grünen Männchen“ angreifen, würde dies zwar den Nato-Bündnisfall auslösen. Doch bis die Maschinerie in Gang käme, wäre es für eine Verteidigung Estlands möglicherweise zu spät. „Russland könnte die baltischen Staaten schneller erobern, als wir dort wären, um sie zu verteidigen“, warnte auch General Ben Hodges, der Befehlshabers der US-Landstreitkräfte in Europa.

Das schwächste Mitglied

Die Drohung Putins wie auch die Einschätzung von Hodges und anderen Militärexperten decken sich: Russische Truppen könnten die baltischen Hauptstädte innerhalb von 36 bis 60 Stunden erobert haben. Die Nichtverteidigung des schwächsten Mitglieds aber könnten die Nato von innen sprengen.

Die vier Bataillone mit einer Gesamtstärke von 4.000 Mann verstärken in Zukunft zwar die kleinen Armeen in den baltischen Republiken – Estland mit 5.700 Soldaten, Lettland mit 5.300, Litauen mit 11.800 Soldaten – sowie die größere in Polen mit knapp 100.000 Soldaten. Aber dies nun als „Abschreckung“ gegenüber Russland mit einem Heer von 845.000 Soldaten zu bezeichnen, fällt kaum jemandem in Polen oder den baltischen Staaten ein.

Den zunehmenden Ängsten in den baltischen Republiken konnte sich die Nato nicht mehr ver­schließen

Gefordert hatte insbesondere Polen weit mehr: ständige Militärbasen anderer Nato-Staaten entlang der gesamten Nato-Ostgrenze und sogar Aufkündigung der Nato-Russland-Grundakte. Der Kreml, so das Argument, breche ununterbrochen die Vereinbarungen und habe die Grenzen und die Souveränität von Nachbarstaaten wie Georgien und der Ukraine massiv verletzt.

Die westlichen Nato-Partner, allen voran Deutschland, pochten aber auf dem Gipfel in Wales vor zwei Jahren auf die unbedingte Einhaltung der Grundakte, auch wenn Russland sie verletze, und lehnten die weitgehenden Forderungen Polens ab.

Ängste vor einem hybriden Krieg

Doch den zunehmenden Ängsten in den baltischen Republiken vor einem hybriden Krieg aus dem Osten konnten sich die anderen Nato-Staaten nicht mehr verschließen. Viele Polen zweifelten daran, dass die Nato ihnen im Fall eines Angriffs beistehen würde.

Auf dem Gipfel soll nun laut und vernehmbar für alle Welt verkündet werden: Sollte in Zukunft eines oder mehrere dieser multinationalen Bataillo­ne angegriffen werden, muss nicht lange überlegt und debattiert werden, wer nun wie und in welchem Tempo zur Hilfe eilt. Die Antwort wäre klar: alle und sofort.

Auch die postsowjetischen Staaten Ukraine, Georgien und Moldawien hoffen, sich eines Tages dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis anschließen zu können. Als souveräne Staaten haben sie das Recht, einen Aufnahmeantrag zu stellen.

Doch die Chancen für einen Beitritt sind zurzeit gering. Hier spielen dann wieder die Erfahrungen aus dem Kalten Krieg eine Rolle: Niemand in der Nato will die eurasische Großmacht Russland unnötig provozieren.

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