Gewalt in den USA: Tödlich getroffen

Die Vorfälle in Dallas, Baton Rouge und St. Paul haben in den USA Tage des Zorns ausgelöst. Ob das Land zur Ruhe kommen kann, ist ungewiss.

US-Polizisten stehen und hocken in einer Reihe hinter einer Mauer der „Bank of America“

Eine Ende der Schießereien ist nicht in Sicht Foto: reuters

Ob das Pulverfass explodieren kann? Am Abend hatte Arthur „Silky Slim“ Reed die Frage noch mit dem salomonischen Satz beantwortet, dass man die Zukunft bekanntlich schlecht vorhersagen könne.

Der hochgewachsene Afroamerikaner, der einst Mitglied einer Drogenbande war, bemüht sich darum, in Baton Rouge den Frieden zu wahren. Und er weiß sehr genau, wie schwierig das ist. „Man muss mit allem rechnen“, hatte der 43-Jährige noch am Donnerstagabend gesagt, als er einen Zug von Demonstranten anführte. Am Freitagmorgen gehörte auch Reed zu denen, die mit vielem gerechnet hatten, mit landesweiten Krawallen, anhaltenden Unruhen, nur nicht mit einem Blutbad wie in Dallas.

In der texanischen Stadt hallten gegen Ende eines friedlichen Protestmarsches gegen Polizeigewalt plötzlich Schüsse über die Straße. Heckenschützen nahmen gezielt Polizisten unter Feuer. Fünf Beamte starben, mindestens sieben weitere Polizisten und zwei Passanten wurden verletzt.

Nach den Worten David Browns, des Polizeichefs von Dallas, hatten sich die Täter „in erhöhten Positionen“ verschanzt, um so viele Polizisten wie möglich ins Visier zu nehmen. Einer hatte sich Brown zufolge in einem Parkhaus verschanzt und sich einen 45-minütigen Schusswechsel mit den Uniformierten geliefert. Als Verhandlungen erfolglos blieben, setzte die Polizei nach Browns Angaben einen Bombenroboter ein, der den Mann tötete.

Wütend auf die Polizei

In den Verhandlungen mit der Polizei habe der Mann gesagt, er sei wütend über die Todesschüsse der Polizei, er sei wütend auf die Black-Lives-Matter-Bewegung, er sei wütend auf Weiße und wolle so viele von ihnen wie möglich töten, vor allem Polizisten. Seine Behauptung, er habe sowohl im Parkhaus als auch in der Innenstadt von Dallas Sprengsätze gelegt, erwies sich offenbar als haltlos.

Ob der Mann, wie er der Polizei sagte, tatsächlich allein handelte und keinerlei Gruppierung angehöre, blieb zunächst offen. Drei weitere Verdächtige seien in Polizeigewahrsam, sagte Brown, machte aber zunächst keinerlei Angaben über ihre Identität oder die des getöteten.

Arthur Reed, Aktivist in Baton Rouge

„Ob Polizisten, ­Ermittler oder Richter, die sind doch alle Teil des Systems“

Ob Dallas die Rache für Baton Rouge war, wie sofort spekuliert wurde, weiß niemand seriös zu sagen. Vor den Schüssen von Dallas waren friedliche Demonstranten durch die Straßen gezogen, um gegen Polizeigewalt zu protestieren, gegen die Schüsse, die zwei Afroamerikaner diese Woche das Leben kosteten, Alton Sterling in Baton Rouge und Philando Castile in St. Paul. Ob Kriminelle die Lage ausnutzten, ob gar eine Terrorzelle am Werk war: auf solche Fragen konnte zunächst niemand schlüssige Antworten geben. Sicher ist nur: Was Alton Sterling in Baton Rouge widerfuhr, war der Beginn einer Eskalationskette. Wohin es noch führt, wagt im Moment keiner zu prophezeien.

„Er war ein guter Mann“

Alton Sterling, 37 Jahre alt, fünf Kinder. Ein Mann, der wegen Wohnungseinbrüchen, Diebstahls und Drogenbesitzes wiederholt im Gefängnis saß und der, so erzählt es die Tante, bei der er wohnte, die schiefe Bahn zu verlassen versuchte. Er hatte auffallend schlechte Zähne, das Geld reichte nicht, um zum Zahnarzt zu gehen. Seinen Lebensunterhalt kratzte er sich zusammen, indem er CDs verkaufte, für fünf Dollar pro Scheibe. Jemand hat sein Konterfei, mit den schlechten Zähnen als Erkennungszeichen, überlebensgroß an die graue Wellblechwand von Triple S gemalt, dem kleinen Laden, vor dem Sterling von den Polizisten Blane Salamoni und Howie Lake erschossen wurde. Davor liegen Blumen, Kränze und Papierbögen, auf denen steht, dass „Big Al“ in Frieden ruhen möge.

„Er war ein guter Mann. Er hatte ein schweres Leben, aber er war ein guter Mann“, sagt Arthur Reed, den seine Freunde trotz seiner Boxerstatur Silky Slim nennen, den seidenweichen Schlanken. Der Hüne ist pausenlos am Handy, er versucht Fäden zu ziehen, Gemüter zu beruhigen, damit Baton Rouge nicht im Chaos versinkt.

„No Justice! No Peace!“, schallt es über den North Foster Drive

Aus der Bande, der er seit seiner Jugend angehörte, ist Reed ausgestiegen, nachdem er einen Autounfall knapp überlebt hatte. Er war der einzige Insasse im Wagen, der mit dem Leben davonkam. 2001 gründete er die Gruppe „Stop the Killing“, und die ist inzwischen darauf spezialisiert, kurze Dokumentarfilme zu drehen, mithilfe von Videos, die Passanten aufgenommen haben, wenn es irgendwo in Loui­sia­na zu einem Überfall, einer Messerstecherei, einer Schießerei kam und sie Zeugen wurden. Reed zeigt die Filme in Schulen und Kirchen, um schwarzen Teenagern klarzumachen, was es bedeutet, sich einer Drogengang anzuschließen. „Es gibt nur einen Weg – Gottes Weg“, steht in Großbuchstaben auf dem dunkelblauen T-Shirt, das er zwei Tage nach Sterlings Tod trägt.

Schuss aus nächster Nähe

Jedenfalls war es Reeds Gruppe, die nacheinander zwei Videos zur Causa Sterling ins Netz stellte. Sie zeigen Polizisten, die einen Mann zu Boden warfen, förmlich auf ihm knieten, alles unter Kontrolle zu haben schienen – bevor sie dann aus nächste Nähe auf den Mann schossen. Hinterher zog einer der Beamten eine Pistole aus der Hosentasche des tödlich Getroffenen.

Sie stimmte also nicht, die zunächst gestreute Version, nach der Sterling die Beamten mit gezogener Waffe bedroht habe. Dennoch hat der zuständige Staatsanwalt in Baton Rouge die Beamten mit den Worten zitiert, sie hätten nach wie vor das Gefühl, richtig gehandelt zu haben. Und damit hat er nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen.

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Dabei bemüht sich Reed, der Geläuterte, nach Kräften darum, die Nerven zu glätten. Bisweilen gelingt ihm das, da kommt vorm Triple S sogar so etwas wie Volksfeststimmung auf. Kostümierte, verkleidet als Indianer, tanzen ausdauernd zu Trommelklängen, so wie sie es beim Mardi-Gras-Karneval in New Orleans tun. Dann wieder beschließen aufgebrachte Demonstranten, die Straße vorm Triple S zu blockieren, sich den vorbeirollenden Autos spontan in den Weg zu stellen. „No justice! No peace!“, schallt es über den North Foster Drive. Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, gibt es auch keinen Frieden.

Auch Lamonte Cole, der Kommunalpolitiker, der das heruntergekommene Viertel im Rathaus von Baton Rouge vertritt, ist gekommen, um zu beruhigen. Er findet lobende Worte für John Bel Edwards, den Gouverneur Louisianas. Der habe das richtige Zeichen gesetzt, als er rasch entschied, die Ermittlungen im Fall Sterling allein dem Justizministerium in Washington zu überlassen. Damit habe er die richtigen Lehren aus dem Kapitel Ferguson gezogen, wo sich im August 2014 der Eindruck aufdrängte, als wollten die Behörden allein auf lokaler Ebene untersuchen, unter welchen Umständen ein weißer Polizist den schwarzen Teenager Michael Brown erschoss.

Tiefes Misstrauen

Lokalen Behörden in den Südstaaten, auch in Louisiana, bringen Afroamerikaner aus langer Erfahrung ein tiefes Misstrauen entgegen. „Unser Gouverneur hat alles richtig gemacht“, lobt also Cole. Am Donnerstagabend redet Edwards in einer afroamerikanischen Kirche in Baton Rouge, dem Living Faith Christian Center, und mahnt zur Geduld. Die Justizministerin lasse untersuchen, gründlich, unabhängig und unparteiisch. „Bis ein Ergebnis vorliegt, müssen wir uns in Geduld üben. Ich bitte euch, verliert nicht die Geduld.“

„Das wird doch wieder nichts, die stecken doch alle unter einer Decke“, widerspricht Arthur Reed, nun selber fast so aufgebracht wie die zornigsten Demonstranten. Früher, fügt er in bitteren Worten hinzu, hätten die Rassisten des Ku-Klux-Klan weiße Kapuzen getragen, heute trügen sie blaue Uniformen, die Uniformen des Police Department. „Ob Polizisten, Ermittler oder Richter, die sind doch alle Teil des Systems.“

Es klingt nicht so, als würde Baton Rouge bald zur Ruhe kommen. Und ungewiss ist das auch für Dallas.

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