Bachmann-Preis 2016, 1. Tag: Die Höhle der Ausgestoßenen

Anarchie und Manie, Alkohol und Depression: Am Donnerstag hat das Wettlesen um den Bachmann-Preis begonnen. Gut war: Stefanie Sargnagel.

Eine junge Frau sitzt. Es ist Stefanie Sargnagel. Vor ihr liegt Papier.

Will lieber keine Hochkultur: Stefanie Sargnagel in Klagenfurt Foto: Johannes Puch

Ein Glück, dass es mit Trash und Provokation beginnt, mit Normalität, einer Geschichte, die in Kneipen spielt, in einer dreckigen Wohnung; Pizzakartons sammeln sich vorm Badezimmer, leere Flaschen neben dem Bett – lauter Szenerien, die dem Milieu ferner nicht sein könnten, für das Klagenfurt steht. Klagenfurt ist ein Ort der Ordnung, ein österreichischer Vorzeigeort: Hier gibt es Apotheken und Aperol, Pistazieneis, Pools in den Vorgärten; ein Hauch Italien wabert hier durch die Straßen, Berge, Seen, und dann diese Hitze!

Und dann dieser Stolz. Der Bachmann-Preis feiert Jubiläum, am Sonntag wird er zum 40. Mal verliehen. Sieben Autorinnen und sieben Autoren lesen bis dahin um die Wette, tragen live ihre Erzählungen oder Fragmente ihrer Romane vor, um anschließend von einer siebenköpfigen Jury bewertet zu werden. Verriss und Glorifizierung gehören dabei genauso zur Tradition wie die 160 Sitzplätze im Kärntener ORF-Landesstudio und die Gründlichkeit, mit der man seine Türen bewacht: „Naa, g’standen wird drinnen net mehr, die Regie erlaubt’s net!“

Ausgerechnet sie also macht den Anfang: Stefanie Sargnagel, Wienerin, Künstlerin und eine Person, die sich nicht wahnsinnig ernst zu nehmen scheint. Die gern „Enfant terrible“ genannt wird, weil sie halt poltert und sagt, was sie denkt, für die Literaturbranche ungewöhnlich laut. Ihre Einträge auf Facebook machten sie bekannt, Statusmeldungen und Gedankenfetzen, aus denen Bücher wurden ­– jetzt liest sie tatsächlich einen Text.

Einen, in dem eigentlich wenig passiert: Auf der Suche nach dem „ultimativen Kick“ langweilt sich eine junge Frau durchs Leben, genauer durch zwei Tage, und landet dabei mal bei sich in der Dusche, mal draußen im Bus, beim Eislaufen, einer heulenden Freundin sowie am Tresen, da besonders gerne, inmitten einer „sauren Wolke aus Alk und Nikotin“, der „Höhle von Ausgestoßenen“, da fühlt sie sich wohl.

Hohn für die Hochkultur

Die Frau schreibt Texte, wie Sargnagel selbst; alles ist darauf angelegt, dass sich ihr Bachmann-Beitrag liest wie ein Tagebucheintrag, der Erwachsenenwelt und Hochkultur verhöhnt – mitsamt der Veranstaltung, an der sie hier teilnimmt: „Lohnarbeit ist Demütigung, immer und ausnahmslos“, „Nüchtern bin ich lieber allein“, „Hast du den Bachmanntext schon?“ – „Nein, ich scheiß drauf, mir fällt nix ein“.

Das ist vielleicht manchmal redundant, womöglich als Geschichte auch „banal“, wie es einmal in der Jury heißt; der typische „Wandel zwischen Kreation und Depression“ einer Mitt-/Endzwanzigerin, die Intensität sucht und irgendwie auf einmal erfolgreich ist, obwohl Erfolg doch nicht zu ihr passt. Es ist als Geschichte aber auch glasklar zu verstehen, schlicht formuliert ­– und das ist vor allem sympathisch.

Denn Sargnagels Text bleibt nicht nur der einzige weibliche des Tages, er bleibt auch der einzige, der sich nicht verkünstelt. Da gibt es zwar Ausschläge nach oben, wie etwa die wütende Anklage eines Jugendlichen gegenüber seinen Milošević-treuen Eltern, die ihm den Balkankonflikt nie erklärt haben. Aber erstens verdirbt sich Marko Dinić, aufgewachsen in Belgrad, seinen klaren Stil durch die Art, wie er ihn vorträgt: sehr laut ­und „geschauspielert“, wie selbst Jurymitglied Klaus Kastberger sagt, der Dinić nach Klagenfurt eingeladen hat.

Und zweitens gibt es mehr Ausschläge nach unten: eine Art Theaterstück noch, das aus 29 Stücken besteht und ein Mosaik aus Alltagsbeobachtungen sein soll, in denen arg viel beobachtet und die Abwesenheit des Plots ziemlich eindeutig wird. Oder: die Geschichte eines Hasen, der im Kopf eines Mannes sitzt wie eine Stimme, die sich in alles einmischt und zu einem Yoga-Trip nach Goa rät.

Außerdem gibt es diesen Text von Sascha Macht, der direkt nach Stefanie Sargnagel liest, man könnte fast sagen: ein ähnliches Genre. Auch in dieser Geschichte geschieht wenig, es spricht ein Ich-Erzähler, schwankend zwischen Melancholie und Manie. Jemand streift so durch die Welt, ein Flaneur, in jenem Fall ein gescheiterter Literaturstudent. Er läuft aber nicht in eine Bar zu seinen Alkie-Homies, er läuft in seine Fakultät, und bald geht es noch um die Apokalypse und Anarchie und um wirklich Existenzielles; jedenfalls wird jeder Satz überladen und jede Bewegung aufgeladen – da lehnt das Ich gegen einen Machandelbaum, da zieht das Ich durch eine afrikanische, eine alttestamentarische Nacht, da denkt das Ich lange über die Bedeutung seiner Worte nach – und dauernd fragt man sich: kommt da noch mal was? Irgendwas, das knallt? Doch worauf man wartet und wartet, vergeblich: ist 1 Feuerwerk.

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