Essay Islamischer Feminismus: Frau muss genau hinschauen

Gehen Islam und Feminismus zusammen? Nicht nur Religion verhindert Emanzipation. Moral, Zensur, Misogynie und Rassismus sind das Problem.

Lady Bitch Ray

Dr. Reyhan Şahin alias Lady Bitch Ray will wissen, wie „islamischer Feminismus“ mit Posts pro AKP und Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in der Social-Media- und Offlinewelt zusammenpassen Foto: dpa

Wenn sich weiße, nichtmuslimische Feministinnen dem Diskurs zuwenden, gilt dies als selbstverständlich. Vor allem wenn die neue Generation der sogenannten Popfeministinnen der alten Riege Kopfschmerzen bereitet ob ihrer Positionen zu Prostitution, Porno und Islam.

Letzterer Streitpunkt wurde lange von Nichtmusliminnen bestimmt. Mit wenigen Ausnahmen, wie den prominentesten Akteurinnen Necla Kelek und Seyran Ateş, die in muslimischen Reihen oftmals als Netzbeschmutzerinnen gelten, weil sie Islamkritik betreiben und auch an ihrer Herkunftskultur oft kein gutes Haar lassen. Manche ihrer Äußerungen schießen über das Ziel hinaus.

Deshalb ist Kritik von muslimischer und postmigrantischer Seite angebracht und notwendig für einen fruchtbaren Austausch und die Behebung von spezifischen Problemen in diversen Communities – sofern gewünscht. Denn nicht selten werden in Teilen der postmigrantischen Generation von Muslimen zum Beispiel patriarchale Traditionen durch eine – Frauen und Minderheiten letztlich benachteiligende – reli­giö­se Auslegung der islamischen Quellen gewählt – weil angeblich authentischer – und zu einer Sakralität erhoben, die nicht hinterfragt werden darf. Wer öffentlich Kritik äußert, wird exkommuniziert, der Unkenntnis oder Profiliersucht bezichtigt. Inhaltliche Streitkultur? Fehlanzeige!

Unkenntnis und Uneinigkeit auf allen Seiten

Vor zwei Wochen wandte sich die Wissenschaftlerin Dr. Reyhan Şahin, die zur Semiotik des Kopftuchs forscht und als Rap-Künstlerin Lady Bitch Ray bekannt ist, an zwei der prominentesten Bloggerinnen und Tuchträgerinnen der Republik: Kübra Gümüsay und Betül Ulusoy. Şahin richtete sich mit zwei langen Texten auf der Plattform Facebook an die beiden, um öffentlich in Erfahrung zu bringen, wie ihr „islamischer Feminismus“ mit Posts pro AKP und Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) in der Social-Media- und Offlinewelt zusammengeht. Sie erntete Grillenzirpen. Die irritierten Reaktionen – übrigens auf beiden Seiten – offenbarten, wie viel Unkenntnis und Uneinigkeit beim Thema „Islamischer Feminismus“ noch immer herrscht und dass sachliche Kritik innerhalb postmigrantischer Gruppen zum Teil als Verrat gilt.

Zum einen stellen sich viele Muslime wie Nichtmuslime die Frage, ob Islam und Feminismus überhaupt zusammengehen können. Vor allem, weil es noch viele Musliminnen gibt, die glauben, sich zwischen dem westlichen Konzept des Feminismus und der Religion Islam entscheiden zu müssen.

Kurz gesagt: Wer am tradi­tio­nell patriarchalen Islam festhalten will, wird in der Tat Islam und Feminismus nicht zusammenbekommen. Denn Feminismus tritt vor allem für die Gleichberechtigung, für die Menschenwürde und für die Selbstbestimmung der Frauen ein sowie für das Ende aller Formen von Sexismus, egal um welche Menschengruppen es geht.

Damit verweist der Feminismus nicht nur auf einige wenige Anliegen, die jemanden persönlich oder in der Glaubensgemeinschaft bewegen. Wie zum Beispiel die Forderung von Partizipation als Tuchträgerin auf dem Arbeitsmarkt. Das allein ist kein Feminismus. Es geht um gesamtgesellschaftliche Verhältnisse – und die sind nicht allein islamischer Natur.

Die verschiedenen Strömungen

Weiter würde es helfen, sich mit der islamischen Geschichte und mit den verschiedenen Strömungen des sogenannten islamischen Feminismus zu befassen. So muss unterschieden werden zwischen jenem „islamischen Feminismus“, der eindeutig gegen pa­tri­archale, diskriminierende Auslegungen kämpft und eine Neuinterpretation aus weiblicher, geschlechtergerechter Sicht einfordert, und jenem, der eher die aktive Partizipation der Frau für zum Beispiel islamistische Konzepte vorsieht.

Denn auch innerhalb ideologischer Bewegungen, die eigentlich das Gegenteil weiblicher Emanzipation vertreten, gibt es Frauenbewegungen. Sogenannte rechte Feministinnen. Sie zum Beispiel kreieren einen Feminismus nach eigenen Maßstäben und fordern die gleichberechtigte Teilnahme etwa in der rechten Politik.

Wie eine Frau in solchen Gruppierungen als Feministin agieren kann, beschrieb die Psychologin Prof. Dr. Birgit Rommelspacher anhand der radikalen Hindutva-Bewegung in Indien. „Wenn diese Ausdehnung und Verstärkung des Selbstwertgefühls durch die Identifikation mit einer größeren sozialen Einheit als ‚Emanzipation‘ gesehen wird, stellt sich die Frage, gegen welche Art von Unterdrückung sich diese Emanzipation richtet – besonders angesichts der Tatsache, dass diese größere soziale Einheit selbst in hohem Maße patriarchal ist. Die Unterdrückung, um die es hier geht, scheint in der Beschränktheit und der Leere des privaten Lebens zu bestehen.“

So gibt es jenen „islamischen Feminismus“, der sich eindeutig gegen weibliche Benachteiligung im Islam ausspricht, wie zum Beispiel dagegen, dass eine Frau ein Gebet auch vor Männern anleitet oder Frauen auch vor Männern beten dürfen. Oder bireli­giöse Ehen unterstützt, die von Frauen eingegangen werden. Auch Themen wie Homosexualität, Abtreibung oder Abwertung Anders- und Nichtgläubiger werden nicht tabuisiert.

Potsdam, 2011: In einem ausgebrannten Auto werden zwei tote Mädchen entdeckt, kurze Zeit später steht der Vater vor Gericht. Aber die Mutter kann ihn nicht hassen. Die Reportage lesen Sie in der taz.am wochenende vom 6./7. August. Außerdem: Die brasilianische Polizei hat für Olympia aufgerüstet. Zu spüren bekommen das vor allem junge Dunkelhäutige in den Favelas. Und wir waren mit drei Geisterjägern in einem alten Schloss. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Es gibt Organisationen wie Musawah oder Sistas in Islam und Wissenschaftlerinnen wie Fatema Mernissi, Azza M. Kamal oder Leila Ahmad, die sich fundiert mit Islam und Gender auseinandergesetzt haben, aber von jenen „islamischen Feministinnen“, die das Patriarchat unterstützen, nicht rezipiert werden und sich wie sogenannte rechte Feministinnen nicht auf die feministischen Vordenkerinnen beziehen, sondern ausschließlich auf ihre eigenen ideologischen Kreise. Die genannten Gruppen und Wissenschaftlerinnen werden vor allem von säkularen muslimischen Feministinnen gehört.

Wichtige Ikonen für säkuläre Feministinnen

Auch Frauen, die gegen den Kolo­nialismus und für weibliche Selbstbestimmung in Ländern wie Ägypten kämpften, sind für muslimische ­säkulare Feministinnen wichtige Ikonen. Sie hießen Huda Sha’rawi, Nabawiyya Musa und Saiza Nabarawi, um nur einige wenige zu nennen, und engagierten sich in den 1920ern in der Egyptian Feminist Union für die Emanzipation der arabischen Frau. Ihnen ist die Einführung des Frauenwahlrechts 1956 in Ägypten zu verdanken. Diese säkularen Frauenrechtlerinnen tauschten sich zum Teil mit westlichen Frauenrechtlerinnen aus.

Diese Art der Emanzipation wird daher nicht von jenen unterstützt, die diese Form mit der traditionellen Islamauslegung kollidieren sehen. Viele Musliminnen im Westen halten es daher mit dem „islamischen Feminismus“ à la Zainab al-Ghazali, die 2005 verstarb. Die ägyptische Aktivistin gründete 1936 den Frauenverein Jama’at al-Sayyidat al-Muslimat und schloss sich später der islamistischen Muslimbruderschaft an.

Auch Sayyid Qutbs [Vordenker des gewaltbereiten Dschihad in der Muslimbruderschaft; Anm. d. Red.] islamistische Konzepte unterstützte und erweiterte al-Ghazali. Als Muslimschwester hatte sie ebenso wie ihre männlichen Mitstreiter unter der Folter des Nasser-Regimes zu leiden. Ihre Schriften sind international vor allem in islamistischen Kreisen erhältlich. Das Gefühl der Unterlegenheit gegenüber dem Westen, wie es viele Muslime aufgrund der desolaten Zustände in ihren Herkunftsländern gegenüber ihrer alten islamischen Hoch-Zeit durch Expansion zahlreicher Regionen wahrnehmen, spiegelt sich auch in Geschlechterfragen wieder.

Lieber leidet Frau für männliche Ideologien und wird zur Mitstreiterin von faschistoiden Ordnungen, als für das Allgemeinwohl jedweder Islam-Etikette zu kämpfen. Besonders treffend bringt es der libanesische Lyriker Abbas ­Beyoun auf den Punkt, der erklärt, dass jene Muslime selbst in ihrem Hass auf den Westen noch vom Westen beeinflusst bleiben und dass ihr Hass auch Selbsthass sei.

Gesellschaften und Konzepte entwickeln sich weiter

Niemand kann Musliminnen ihr islamisch-weibliches Erbe nehmen. Doch Gesellschaften und Konzepte entwickeln sich weiter. Das sollten einige ungekränkt anerkennen. Rassismuserfahrungen, Identitätssuche und das Fehlen eines kritischen Dialogs über islamische, kulturelle und traditionelle Themen hierzulande sind das Fundament für die Hinwendung zu solch einem antiemanzipatorischen „islamischen Feminismus“.

Eine dringende und kritische Auseinandersetzung tut angesichts der Radikalisierung und der Muslimfeindlichkeit not und wird auch offenlegen, dass nicht allein der Islam der Verhinderer der Emanzipation ist, sondern Aspekte wie Moral, Zensur, Misogynie und Rassismus, gepaart mit Islam­auslegungen, die Unterdrückung und Frustration hervorbringen und die freie Entfaltung in gesellschaftlichen und privaten Bereichen hemmen. Dafür ist der Tabuschleier zu lüften.

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