Früherer Ladenschluss gefordert: Jobs, aber kein Auskommen

Im Einzelhandel gibt es nur noch wenige existenzsichernde Stellen. Der DGB fordert deshalb eine Begrenzung der Ladenschlusszeiten.

Rewe-Märkte haben sogar bis Mitternacht geöffnet – und beschäftigen LeiharbeiterInnen Foto: Martin Gaerte/ dpa

BREMEN taz | Rund um die Uhr Einkaufen und dadurch Arbeitsstellen im Einzelhandel generieren: Als im Jahr 2006 das Ladenschlussgesetz gekippt wurde und die Länder fortan selbst über ihre Geschäftsöffnungszeiten entscheiden konnten, war der Optimismus groß. Fast alle Bundesländer beschlossen, dem Einzelhandel freie Hand zu gewähren – auch Bremen.

Die Prognosen haben sich freilich nur auf den ersten Blick bewahrheitet, das hat die Arbeitnehmerkammer schon vor Jahren moniert. Nun fordern sie und der DGB erneut eine Begrenzung der bremischen Ladenöffnungszeiten.

Denn neue Zahlen der Arbeitnehmerkammer zeigen, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze im Einzelhandel seit 2007 zwar um beachtliche 16 Prozent angestiegen, die Zahl der Vollzeitstellen aber um über 14 Prozent zurückgegangen ist. Das gilt vor allem für Discounter und Supermärkte – und betrifft vor allem Frauen: Die besetzen 71 Prozent aller Stellen im Einzelhandel, aber nur jede vierte von ihnen hat einen existenzsichernden Job. Von 20.000 Frauen arbeiten über 9.000 in Teilzeit und knapp 5.500 auf Minijob-Basis. Im Vergleich: Von den rund 8.500 Männern, die im bremischen Einzelhandel beschäftigt sind, haben über 4.600 eine Vollzeitstelle.

Einarbeitungszeiten und hohe Fluktuation

Annette Düring, Vorsitzende des DGB Bremen-Elbe-Weser, bezeichnet die Teilzeitjobs als „staatlich subventionierte Stellen“, weil die Bezahlung so gering ist, dass sie ein Auskommen nahezu unmöglich macht: „Der Bruttolohn liegt im Durchschnitt bei 2.500 Euro für eine Vollzeitstelle, das ist das zweitniedrigste Gehalt nach dem Gastgewerbe – sowohl bei einer Teilzeitstelle als auch später bei der Rente muss der Staat aufstocken,“ sagt sie.

Wer keine Sozialleistungen beziehen will, sucht sich einen Zweit-Job: „Viele Kolleginnen gehen sonntags kellnern“, sagt Susanne Meister, Bremer Betriebsratsvorsitzende der Warenhauskette „Real“. Noch gebe es in ihrem Unternehmen zwar keine MinijobberInnen, aber die meisten Frauen seien in Teilzeit beschäftigt: „Die Vollzeitstellen haben zum größten Teil Beschäftigte in Führungspositionen – und das wiederum sind überwiegend Männer.“

Die „Flexibilisierung“ durch Teilzeit- und Minijobstellen gehe zu Lasten aller Angestellten, sagt Liane Hagner, Betriebsrätin aus Bremerhaven beim Discounter „Netto“: „Immer wieder lange Einarbeitungszeiten und eine hohe Fluktuation sind die Folge.“ Hinzu kämen Dienste, bei denen abzüglich der Arbeitswege die vorgeschriebene Ruhezeit zwischen zwei Schichten kaum erreicht würden: „Da ist man dann auch beim Thema Ausbildung“, sagt Düring: „Wer will unter solchen Umständen noch in den Einzelhandel?“

Liane Meister, „Real“-Betriebsratsvorsitzende

„Kolleginnen gehen sonntags kellnern“

Tarifflucht und Leiharbeit

Sowohl sie als auch die Betriebsräte fordern eine gesetzliche Deckelung von Minijobs und die Wiedereinführung von Ladenschlusszeiten. „Die jetzigen Öffnungszeiten sind nur dazu da, um WettbewerberInnen zum Aufgeben zu zwingen“, sagt Meister. Es sei völlig ausreichend, wenn Geschäfte bis 21 Uhr geöffnet hätten.

Arbeitnehmerkammer und DGB fordern zusätzlich die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und eine bedarfsgerechte Ansiedlungspolitik von Geschäften: „Vor allem in Bremerhaven haben sich vermehrt Discounter angesiedelt“, sagt Düring. Dabei gehe es nachweislich nicht um mehr Kaufkraft, sondern um die Erhöhung des Wettbewerbs: „Dort kann man Vollzeitstellen genauso suchen wie tarifgebundene Löhne.“

Insgesamt stiegen immer mehr Unternehmen aus der Tarifbindung aus, aktuell „Real“, Arbeitgeber von Susanne Meister. Der Discounter „Penny“, sagt Liane Hagner, beschäftige mittlerweile sogar LeiharbeiterInnen als sogenannte Servicekräfte – genauso wie die Supermärkte seines Mutterkonzerns „Rewe“, die innerstädtisch sogar bis Mitternacht geöffnet haben.

„Die Branche muss endlich begreifen, dass sie ein Beschäftigungssektor ist“, sagt Düring. Und im Sinne der Beschäftigten sei jetzt die Politik gefragt: „Sie muss mit klaren Vorgaben in den Branchendialog gehen und dabei auch die Beteiligung des Arbeits- und Wirtschaftsressorts sicherstellen.“ Das fühlt sich bisher nicht zuständig: Das Thema Ladenschlusszeiten, sagt auf taz-Anfrage der Sprecher des Senators für Arbeit und Wirtschaft, sei Sache der Gesundheitsbehörde.

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