Fluchtweg eines Syrers: Von Aleppo nach Gaza

Die Hälfte der Palästinenser würde den Gazastreifen am liebsten verlassen. Für einen Flüchtling aus Syrien war die Entscheidung für Gaza richtig.

An Mann steht in einer Küche und schaut ernst

Warif Hamedo an einem seiner Lieblingsplätze: der Küche Screenshot: youtube/wareef kaseem hamedo

GAZA-STADT taz | Seit drei Jahren lebt der Syrer Warif Hamedo im Gazastreifen. Dort ist er so bekannt wie ein bunter Hund. „Die Leute mochten mich, und ich mochte sie“, sagt der rothaarige Flüchtlinge aus Aleppo, der immer wieder die Hände von Fremden schütteln muss. „Ich habe mich gleich wie zu Hause gefühlt.“ Schon die Luft auf der palästinensischer Seite der Grenze sei viel frischer gewesen als in Ägyptens Hauptstadt Kairo. „Ich roch das Meer und ging gleich an den Strand, wo es genauso aussieht wie bei uns in Syrien.“

Jeder zweite Palästinenser wünscht sich laut Umfragen, den belagerten Küstenstreifen, der unter seinen Bewohnern als größtes Freiluftgefängnis der Welt gilt, so schnell wie möglich zu verlassen. Die Menschen kämpfen mit hoher Arbeitslosigkeit, Armut, dem totalitären Regime der islamistischen Hamas und der Bedrohung militanter ­Auseinandersetzungen. Im Vergleich zur Hölle des Bürgerkriegs in der Heimat erscheint der Gazastreifen den syrischen Flüchtlingen dennoch als ein sicherer Zufluchtsort. Rund 50 Familien leben hier endlich in Sicherheit, aber viele von ihnen in Armut. Die meisten sind gemischte syrisch-palästinensische Familien.

Hamedo gibt zu, dass er „nie auf die Idee gekommen wäre“, in den Gazastreifen zu fliehen, hätte er nicht zufällig in Kairo einen Palästinenser kennengelernt, „der mochte, was ich kochte“. Kibbeh, eine mit Hackfleisch und Zwiebeln gefüllte Teigtasche, ist Hamedos Spezialität. Sein Vater hatte die Karriere eines Maschinenbauingenieurs für ihn vorgesehen. Er machte sogar eine Fachausbildung, doch „das Kochen blieb immer meine Leidenschaft“.

Umgerechnet 22 Euro musste Hamedo bezahlen, um von Ägypten aus einen der Tunnel passieren zu dürfen. Ein Jahr nach seiner Ankunft in Gaza, im Sommer 2014, rückten israelische Panzer auf die Stadt vor; die Luftwaffe zerbombte ganze Wohnviertel. Für ihn sei das „ganz normal“ gewesen, erinnert sich der 36-Jährige. Es gab für alle genug zu essen und auch Wasser – kein Vergleich zu der Lage in Aleppo. Dort hatte sich Hamedo vor seiner Flucht allein durchschlagen müssen.

Vom Flüchtling zum Chefkoch

Eine Familie nach der anderen hinterließ ihm die Schlüssel ihres Hauses, auf die er bis zum Ende des Krieges aufpassen sollte. „Ich zog von einem Haus ins andere und aß die Vorräte auf“, berichtet er. Der Hunger und die Angst davor, von der Armee rekrutiert zu werden, ließen ihn schließlich selbst den Koffer packen.

Die erste Station auf Hamedos Flucht war die Türkei. „Ich hoffte, mich nach Europa durchschlagen zu können.“ Wochenlang im Flüchtlingslager und ohne Job, machte Hamedo sich auf nach Ägypten. In Kairo fand er schließlich eine Stelle als Koch, die ihm aber nicht genug für eine eigene Wohnung einbrachte. In dem ägyptischen Fast-Food-Imbiss traf er einen palästinensischen Restaurantbesitzer, der ihn überredete, mit ihm nach Gaza mitzukommen. „Am Anfang dachte ich: Gaza? Niemals! Aber er meinte, ich solle es mir nur einmal ansehen.“ Das tat Hamedo.

Vor Warif Hamedos Restaurant „Unser Syrien“ steht die Kundschaft Schlange

Er hat nicht lange überlegt. Er reiste zurück nach Kairo, kündigte seine Stelle und packte erneut seine Sachen. Einmal in Gaza angekommen, wand sich das Blatt für den jungen Chefkoch. Er verdiente anfangs 2.000 Dollar im Monat und wurde mit seinen Spezialitäten aus Aleppo so schnell bekannt, dass er zusammen mit palästinensischen Partnern sein eigenes Restaurant eröffnen konnte. Er nannte es „Syriana“ („Unser Syrien“), die Kundschaft stand Schlange, und irgendwann bekam auch die Presse Wind von dem Syrer. Bei einem Interview lernte er seine heutige Frau kennen, eine palästinensische Journalistin. Mit ihren Kontakten schaffte er es mit einer eigenen Kochshow in den lokalen Fernsehsender. Dieser Tage soll seine erste Tochter geboren werden.

Nur ein Wunsch muss sich in seinem Leben jetzt noch erfüllen: die Heimkehr. Sosehr es ihm im Gazastreifen gefalle, so sehr sei es schwer für ihn, nicht mehr reisen zu können. Seit Ägypten die Tunnel zerstört hat, ist der Gazastreifen vollends abgeriegelt. „Früher bin ich nur mal zum Mittagessen nach Beirut gefahren“, sagt Hamedo. Die Eheleute sind sich einig, dass sie nach Syrien ziehen, wenn der Krieg vorbei ist. Ha­me­do vermisst Aleppo jeden Tag.

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