Entwicklungshilfe in Liberia: Geschäftsmodell Schule

Liberia gibt sein Bildungssystem in die Hand einer US-Firma. Nun starten die ersten Schulen mit Unterricht am Tablet.

Liberias Präsidentin Johnson Sirleaf umarmt junge Schülerinnen

Beim Besuch einer Schule in Monrovia: Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf Foto: imago/Zuma Press

2013 errang der Bildungsstandard in Liberia traurige Berühmtheit, als 25.000 SchulabgängerInnen samt und sonders an der Aufnahmeprüfung einer staatlichen Hochschule scheiterten. Auch deshalb berief Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf 2014 George Werner als Bildungsminister. Er sollte das desolate Schulsystem reformieren. Diesem Anspruch wird Werner wohl gerecht werden. Im Januar kündigte der Minister an, bis 2021 sämtliche Vor- und Grundschulen des Landes von einem gewinnorientierten Konzern führen zu lassen.

Ab September wird das US-Unternehmen Bridge International Academies erst in 50 Pilotschulen, dann in allen Vor- und Grundschulen des Landes den Unterricht konzipieren. Dafür nimmt der Staat die Firma in einer klassischen Public Private Partnership (PPP) unter Vertrag. Ein Deal, der nicht nur für Liberia Folgen haben dürfte. 65 Millionen US-Dollar kostet das ambitionierte Privatisierungsexperiment. Das Geld für die Pilotphase (rund 10 Millionen US-Dollar) kommt laut Bildungsminister Werner von der Unesco und der chinesischen Regierung. Ein Deal, der folgendes Signal um die Welt schicken könnte: Auf dem Zukunftsmarkt Afrika stehen selbst die staatlichen Kernaufgaben zum Verkauf. Staatliche Bildungsziele ordnen sich Renditeerwartungen ausländischer Investoren unter.

Das zumindest befürchtet Kishore Singh. Der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Bildung bezeichnete es als „absolut inakzeptabel“, dass das Land an der Westküste Afrikas einen Teil seines Schulsystems privatisiert. Liberia, schreibt Singh auf der Website der UN-Menschenrechtskommission, verletze seine „rechtlichen und moralischen Verpflichtungen“. Es sei wie Ironie, dass der Staat es nicht schaffe, jedem Kind eine kostenlose Schulbildung zu ermöglichen, aber das Geld habe, um ein Subunternehmen damit zu beauftragen. Schon jetzt bietet Bridge Academies eine Alternative zu staatlichen Schulen.

Der globale Norden fördert Bridge Academies & Co. für ihre Entwicklungshilfe

Die erste Schule baute die Firma 2009 in einem Slum in Nairobi. In Kenia, Uganda und Nigeria unterhält der Konzern nach eigenen Angaben mehr als 400 Schulen. 100.000 SchülerInnen lernen dort. 2025, träumt Firmengründer Jay Kimmelman, werden 10 Millionen Kinder seine „Kunden“ sein.

Kein unrealistisches Szenario: Weil staatliche Schulen in Ländern wie Liberia oder Uganda so marode sind – schlecht ausgestattet, schlechte Bezahlung der Lehrer –, bevorzugen es Eltern, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken, auch wenn die teurer sind. Viele Privatschulen werben damit, nach dem britischen Curriculum zu unterrichten, und rechtfertigen damit hohe Gebühren. Das macht sie bei gebildeten Eltern besonders beliebt.

Gleichzeitig gehen in der Subsahara-Zone 30 Millionen Kinder im Grundschulalter nicht zur Schule, weil sich die Familien die Schulgebühren nicht leisten können. Laut Vereinten Nationen leben zwei Drittel der Menschen in diesen Ländern von weniger als zwei US-Dollar pro Tag. Sie alle sind potenzielle Bridge-Kunden.

Kritik aus Kenia und Uganda

Für rund 6 US-Dollar im Monat, verspricht der Konzern, bekommen die Kinder eine hochwertige Schulbildung: 6 Tage die Woche, 40 bis 50 MitschülerInnen und garantierte Unterrichtsqualität. Dazu gehören die vorgefertigten Unterrichtseinheiten, die die LehrerInnen vom Tablet ablesen. Dafür muss Bridge Academies keine ausgebildeten PädagogInnen einstellen. Das senkt Personalkosten und ermöglicht den niedrigen Preis.

In Kenia und Uganda haben LehrerInnen und Eltern das didaktische Modell und die For-profit-Orientierung des Konzerns kritisiert. Zudem hat eine landesweite Schulinspektion des ugandischen Bildungsministeriums im vergangenen Jahr ergeben, dass von den 63 Bridge-Schulen im Land nur eine einzige eine Lizenz hatte.

Deshalb hat Bildungsministerin Janet Museveni, Ugandas First Lady, Anfang August deren Schließung angeordnet. Als weitere Gründe nannte sie schlechte Hygienestandards, die „das Leben und die Sicherheit der Schüler gefährden“. Zudem seien die verwendeten Schulmaterialien nicht geeignet, eine „ausreichende Interaktion zwischen Schülern und Lehrern“ zu garantieren, sagte sie in einem Statement gegenüber dem Parlament. Offenbar fürchtet auch Museveni, dass der vorgefertigte Retortenunterricht am Tablet die Lehrkräfte überflüssig machen könnte.

Trotz der Kritik in Uganda wird das Schulmodell im globalen Norden als Instrument der Entwicklungshilfe gefördert. 2014 gab die zur Weltbank gehörende International Finance Corporation (IFC) dem Unternehmen einen Kredit über 10 Millionen US-Dollar. Auch die britische Entwicklungsbank CDC und die US-Regierungsagentur zur Förderung von US-Investitionen im Ausland Opic fördern Bridge Academies.

Nicht das einzige For-profit-Unternehmen, das staatliche Entwicklungsgelder abgreift. Auch die britischen Omega Schools, die in Ghana rund 40 Schulen betreiben, erhielten Geld vom britischen Entwicklungsministerium. In beide Firmen investiert auch das Who’s who der Wirtschaft: Google und der britische Bildungskonzern Pearsen bei Omega Schools. Face­book, eBay und Microsoft bei Bridge Academies. Ihr Ansatz – Impact Investing – will die finanziellen Interessen des Investors mit dem erhofften Beitrag zum sozialen Wandel in Einklang bringen. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass auf diese Weise bis 2013 insgesamt acht Milliarden US-Dollar in Afrika investiert wurden.

Investoren-Run auf Afrika

Für internationale Firmen ist der Kontinent zunehmend attraktiv. 60 Milliarden US-Dollar, das Doppelte der Entwicklungshilfe aller EU-Länder für Afrika, investierten 2014 ausländische Unternehmen. Die Summe hat sich seit 2000 verfünffacht. Als Grund dafür nennen Weltbank und Firmenbosse unisono: Der afrikanische Absatzmarkt – heute schon 1 Milliarde Menschen – wächst, und mit ihr eine kaufkräftige Mittelschicht.

„Der Moment des Handelns ist jetzt“, appellierte der Vizepräsident für Afrika der Weltbank, Makhatar Diop, vergangenen Sommer an Investoren. Der Absatzmarkt dürfte auch bei den Geldgebern von Bridge Academies eine Rolle spielen. An liberianischen Vor- und Grundschulen werden künftig Tausende Android Smartphones und Tablets zum Einsatz kommen. Darüber werden Facebook, Microsoft oder eBay sicher nicht klagen.

Wenn die Zielländer mitspielen. In Uganda ist die Schließung der Bridge-Schulen sicher nur der erste Schritt, Privatschulen stärker zu regulieren. Ob Liberias Bildungsminister Werner in der Pilotphase seiner Reform zurückrudert, ist jedoch fraglich. Schließlich müssen die SchülerInnen für den Bridge-Unterricht – anders als in Uganda oder Kenia – nicht bezahlen. Der Staat auch nicht.

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