Kommentar G20-Gipfel in Hangzhou: Blinder Technikglaube

Um die Weltwirtschaft steht es nicht gut – das ist das Fazit des Gipfels. Robotisierung der Arbeit ist das Gebot der Stunde. Das ist problematisch.

Roboter stehen hintereinander

So kann sie aussehen, die Robotisierung Foto: imago/Xinhua

In einem Punkt waren sich die Wirtschaftsmächte beim G20-Gipfelschnell einig: Um die Weltwirtschaft sieht es nicht gut aus. Die geldpolitischen Instrumente taugen nicht mehr. Noch mehr Konjunkturspritzen treiben die Schuldenstände weiter in die Höhe. Und mehr Freihandelsabkommen sind auch keine Lösung. Sie sind in vielen Ländern der Bevölkerung nicht mehr vermittelbar. Der Freihandel schafft zu viele Verlierer. Weltweit gleiche Sozialstandards waren zumindest bislang kaum Thema.

Dass die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer beim Gipfel im chinesischen Hangzhou ausgerechnet in Industrie 4.0 und der Robotisierung der Wertschöpfungskette den Heilsbringer zur Belebung der Weltwirtschaft sehen, ist nicht nur extrem technikgläubig. Die Staats- und Regierungschef haben die Ängste und Sorgen ihrer Bürger darüber hinaus auch nicht verstanden. Und diese Sorgen haben noch mehr Berechtigung als die Ängste vor allzu freien Märkte.

Bei jeder technischen Entwicklung steht am Anfang die Innovation. Findet sie immer größeren Zuspruch, drohen schnell frühkapitalistische Auswüchse. Erst nach und nach gelingt es dem Staat, den Markt über Regulierung und sozialen Ausgleich zu bändigen. Das war zu Beginn der Industrialisierung in der Stahl- und Ölindustrie so. Derzeit beobachten wir diese Monopolisierung mit Google, Facebook und Amazon.

Die sogenannte vierte industrielle Revolution wird vielleicht in der IT-Branche einige neue Arbeitsplätze schaffen. Doch wenn der Wandel zu rasch abläuft, vernichtet er zugleich ein Vielfaches an Jobs in traditionellen Sektoren. Und das nicht nur am unteren Ende der Qualifikationsleiter, sondern zunehmend auch an ihrem oberen Ende. Ein Studium schützt nicht mehr davor, durch Software ersetzt zu werden.

So sehr technologischer Fortschritt für die Menschheit zu begrüßen ist und sich in der modernen Welt auch gar nicht aufhalten lässt – eine Vollautomatisierung ganzer Fabrikanlagen sollten Staaten nicht zu sehr fördern. Er sollte die Entwicklung stattdessen genau beobachten – und gegebenfalls bremsen.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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