Fusionsreaktor Iter wird der BER der Atomforschung

Strom Die Europäische Union muss womöglich noch mehr zahlen. Grüne verlangen Ausstieg

Hier werden Milliarden verbaut: der Iter in Südfrankreich Foto: reuters

FREIBURG taz | Auf die EU kommen neue Milliardenzahlungen zu: Der Forschungsfusionsreaktor Iter im französischen Kernforschungszentrum Cadarache wird immer teurer. Wie das Bundesforschungsministerium am Montag bestätigte, reichen die von der EU bislang auf 6,6 Milliarden Euro gedeckelten Zahlungen bei Weitem nicht aus, um das Projekt vollenden zu können. Nach neuesten Schätzungen wären dafür weitere 5 Milliarden Euro aus Brüssel nötig.

Die Europäische Union ist an dem Projekt zu 45 Prozent beteiligt. Weitere Partner sind China, Indien, Japan, Südkorea, Russland und die USA. Ursprünglich waren für den Bau Gesamtkosten von 5 Milliarden Euro angesetzt, doch schon bald nach dem Start mussten die Schätzungen auf 10 Milliarden angehoben werden. Inzwischen geht man von mehr als 20 Milliarden Euro aus. Die EU finanziert ihren Anteil aus dem Budget des zunehmend umstrittenen Euratom-Vertrags.

Im Iter sollen Wasserstoff-Atomkerne bei 100 Millionen Grad Celsius verschmolzen werden. Dabei wird Energie frei. Im Vorgängerprojekt Jet im britischen Culham gelang es zwar, ein Fusionsplasma zu zünden, aber die aufwendige Technik verschluckte mehr Energie, als durch die Fusion erzeugt werden konnte. Iter hingegen soll erstmals auch netto Energie erzeugen.

Als 2007 der internationale Vertrag zum Bau unterschrieben wurde, hieß es noch, der Reaktor werde 2016 in Betrieb gehen. Inzwischen ist von einer vollständigen Inbetriebnahme erst im Jahr 2035 die Rede, eine kommerzielle Stromgewinnung durch Kernfusion wird sogar frühestens in 50 Jahren erwartet.

Das Bundesforschungsministerium nennt als Ursache der Verzögerungen vor allem die „hochkomplexe Projektstruktur, die in der Vergangenheit nicht ausreichend straff organisiert wurde“. Von deutscher Seite sind an dem Projekt das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, das Karlsruher Institut für Technologie und das Forschungszentrum Jülich substanziell beteiligt.

Die Kernfusion wird wohl frühestens in 50 Jahren kommer­ziell Energie liefern

In Berlin hat nun die politische Debatte über die Mehrkosten begonnen: Die EU müsse „klare Kante zeigen und die Reißleine ziehen“, forderte Sylvia Kotting-Uhl, Sprecherin für Atompolitik der Grünen im Bundestag. Das Projekt sei „von Anfang an ein Rohrkrepierer“ gewesen, es verschlinge Steuergelder ohne erkennbaren Nutzen. Sollte man eines Tages mittels Kernfusion tatsächlich Energie erzeugen können, sei diese gegenüber Wind- und Sonnenstrom nicht wirtschaftlich. Auch für die Bundestagsfraktion Die Linke forderte deren Sprecher für Atomausstieg, Hubertus Zdebel, den „Fusionswahnsinn Iter“ zu beenden. Es sei höchste Zeit einzusehen, „dass die Fusionstechnologie ein Milliardengrab ist“.

Zu den Kritikern zählt auch der Umwelthistoriker Joachim Radkau, der schon vor einigen Jahren vom „Fantasiereaktor“ schrieb. Seit 1955 geistere die Fusion „als ewige Fata Morgana an den Horizonten“. Immer wieder sollte sie in zwanzig Jahren real sein, und wenn diese Zeit um war, sollte es abermals zwanzig Jahre dauern. Der Fusionsreaktor, so Radkau, fungiere längst „als Ablenkung von der notwendigen Entwicklung der Erneuerbaren“. Bernward Janzing