Die Fans von Hertha BSC Berlin toben: Ein Stadion im Brandenburgischen

Der Charlottenburger Fußball-Bundesligist kämpft mit dem Spagat zwischen Tradition und Moderne. Und mit zu wenigen Fans im Olympiastadion.

Fussballer von Hertha BSC nach einem Spiel gegen Mainz

Die Jungs feiern am 27. November 2016 ihren Sieg gegen Mainz Foto: ap

BERLIN taz | „Ick fahr doch nich nach Brandenburg!“ Mit sechs Wörtern brachte am Montagabend eine junge Frau auf den Punkt, was viele Hertha-Fans dachten. Der Charlottenburger Fußball-Bundesligist hatte zur Mitgliederversammlung in die Messehalle am Funkturm geladen. Schon in den Wochen zuvor war durchgesickert, dass die Vereinsführung ernsthaft ihre Pläne vorantreibt, das Olympiastadion zu verlassen und ein neues Stadion zu bauen – notfalls auch in Brandenburg. Auf der Mitgliederversammlung sagte Aufsichtsratchef Bernd Schiphorst: „Wir müssen Alternativen prüfen, egal, ob in Berlin oder im Umland.“ Das brachte viele Fans in Rage.

Sicher, die Hertha und ihr Stadion sind nicht hip. Im Winter, wenn der eisige Wind zuweilen den Schnee in die riesige Schüssel namens Olympiastadion weht, haben sie in Charlottenburg wieder Mühe, die Marke von 40.000 ZuschauerInnen zu knacken. Am Sonntagnachmittag bei 2:1-Sieg gegen den 1. FSV Mainz 05 waren es keine 38.000.

Dabei spielt Hertha BSC, wie schon in der Hinrunde der vergangenen Saison, ziemlich guten und erfolgreichen Fußball. Mit dem Schnitt von zwei Punkten pro Partie könnte es diesmal was werden mit der Qualifikation für den Europacup, vielleicht sogar für die Champions League. Wenn dann Real Madrid in Charlottenburg zu Gast ist, werden über 70.000 hinpilgern. Aber im Ligaalltag sind die Zuschauerzahlen trotz insgesamt steigender Tendenz immer noch häufig mau.

Seit einem Jahr bemüht sich die Vereinsführung der Hertha verstärkt um Abhilfe. Man holte den früheren Twitter-Manager Paul Keuter in die Geschäftsleitung – zwecks „Markenkommunikation und Digitale Transformation“. Und man beauftragte eine Hamburger Werbeagentur mit einer Imagekampagne. „We try, we fail, we win“, heißt der seit Saisonbeginn benutzte Claim, mit dem Hertha zur hippen alten Dame werden soll. Das „Berliner Start-up seit 1892“ sucht so den „Schulterschluss mit der Berliner Gründerszene“.

Wenig Gegenliebe für solche Versuche

250.000 Euro hat Hertha sich die von einer Hamburger Werbeagentur konzipierte Kampagne kosten lässt. Klingt viel, sind aber nur Peanuts in der Milliardenbranche Profifußball, in der ein Berater für den Transfer eines einzigen Durchschnittsspielers oft viel mehr kassiert.

In den Westberliner Eckkneipen und bei den Ultras in der Ostkurve stoßen diese Versuche auf wenig Gegenliebe. „Vom Traditionsverein zum Marketingschwein – Hertha, lass das Hipstern sein“, hieß es bereits zu Saisonbeginn auf einem großen Banner im Stadion. Ja, die Treuen der Treuen aus dem alten Westberlin, aus Spandau, Wedding oder Tempelhof, die kommen auch zum Spiel gegen Mainz 05. Sofern sie es sich noch leisten können.

„Vom Traditionsverein zum Marketingschwein – Hertha, lass das Hipstern sein“

Die hippen Zugereisten jedoch, die Prenzlberger, Friedrichshainer oder Neuköllner, die haben ihre Heimatvereine nach Berlin mitgebracht, zumindest ideell: Werder, Schalke, Gladbach, Stuttgart. Oder Bayern. Oder sie interessieren sich ohnehin nicht für Fußball. Manche bevorzugen den Spitzensport in der Halle: Basketball, Handball, Eishockey, Volleyball – lauter Sportarten, in denen man sich in Berlin auf sportlichem Topniveau unterhalten lassen kann.

Wieder andere gehen zur fußballerischen Konkurrenz. Der 1. FC Union in Köpenick befindet sich in der erfolgreichsten Phase seiner Vereinsgeschichte. Seit Jahren spielt er in der Zweiten Liga oben mit. Langsam, aber stetig wuchs mit dem Ausbau des vereinseigenen Stadions die Anhängerschaft.

Kommerzzirkus des modernen Fußballs

Dabei kommen die „Eisernen“ bis heute oft ähnlich ostig rüber, wie Hertha für das alte Westberlin steht. Doch das Narrativ von der Union-Familie, die sich dem Kommerzzirkus des modernen Fußballs widersetzt und alles ganz anders macht, kommt auch bei schwäbischstämmigen Hipstern einfach besser an als die Frank-Zander-Diepgen-Molle-und-Korn-Hertha.

„Mit Tradition allein werden wir nicht einen einzigen neuen Fan gewinnen. Und das müssen wir dringend“, sagte Herthas Mann für die neuen Medien, Paul Keuter, in einem Interview. Ein reines Fußballstadion, ohne Laufbahn, mit steilen Tribünen dicht am Rasen würde sicher helfen. Es brächte mehr Stimmung und würde bei leichter Angebotsverknappung auch ökonomische Vorteile bringen – die Tickets wären dann deutlich begehrter.

Auch mehr Vip-Logen wären finanziell reizvoll. Doch in der Innenstadt ist es schwer, einen neuen Standort zu finden. Deshalb scheint der Verein nun ernsthaft Flächen irgendwo am Stadtrand in Brandenburg zu prüfen. Nicht gerade hippen Gegenden.

Aber muss Hertha hip werden? Vielleicht ist das gar nicht nötig, damit sich ein paar mehr Berliner in die alte Dame verlieben. Denn trotz der Probleme im Winter: Diese Saison dürfte Hertha den Schnitt von 50.000 Zuschauern knacken und sich damit im Ligavergleich im oberen Drittel bewegen.

Hertha liefert ein gutes Produkt

Heutzutage genügt es vielen potenziellen ZuschauerInnen, ein gutes Unterhaltungsprodukt geboten zu bekommen. Der Fußball, den man aktuell im Olympiastadion zu sehen bekommt, ist ein gutes Produkt. Auch im Vergleich zum Köpenicker „Familienbetrieb“.

Für den Publikumserfolg wird es für Hertha vor allem wichtig sein, sich dauerhaft in der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga festzusetzen und um die Europacup-Plätze mitzuspielen. Ob der Umzug auf die grüne Wiese den Fußball in Blau-Weiß attraktiver werden lässt, darf hingegen getrost bezweifelt werden.

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