Kolumne Liebe und Sex mit Behinderung: Der persönliche Arschlochfilter

Für manche Männer ist sie ein exotisches Abenteuer. Viele denken, sie könne keinen guten Sex haben. Dazu einige Klarstellungen unserer Autorin.

Bunte Konfettischnipsel liegen auf und neben einem Gulli

Alle rausfiltern, die nicht mehr in ihr sehen als eine Behinderte Foto: photocase / bit.it

Es hat Zeit und einige Männer gebraucht, um mir meinen Weg durch den Beziehungsdschungel zu bahnen. Irgendwann habe ich aufgehört, mich von Männern finden zu lassen, die nicht wissen, was sie wollen, und nicht mehr in mir sehen als ein exotisches Abenteuer. Diese bestimmte Sorte Männer, die bei Frauen auf den ersten Blick gut ankommen, die jede haben können und schon alle gebumst haben, sehen aus lauter Langeweile in mir ihre ganz persönliche Herausforderung.

Gleichzeitig strebe ich aber auch nicht mehr danach, den perfekten Traumpartner zu finden, und habe gelernt, keine utopischen Erwartungen zu haben.

Meine paradoxe Erscheinung scheint auf viele Männer eine faszinierende Wirkung zu haben: Auf der einen Seite bin ich sehr selbstbewusst, gehe sicher mit meinem Körper um, bin laut und manchmal lustig und wirke nach außen stark. Auf der anderen Seite trage ich eine ganz offensichtliche Schwäche mit mir herum. Durch meine Behinderung schmiere ich ganz automatisch jedem aufs Brot, dass ich in meinem Leben auch schon harte Zeiten erlebt habe und womöglich auf Hilfe angewiesen bin.

Viele Männer sind da hin- und hergerissen, in welche Schublade sie mich denn nun stecken sollen: Bin ich die selbstbewusste, schöne, halbwegs kluge Kodderschnauze oder doch das eingeschränkte, hilflose und leider behinderte Blondchen? Es ist paradox, es ist verwirrend, es ist faszinierend. Und es ist in Ordnung für mich.

Mir selber geht es nicht anders. Auch ich schwanke manchmal in meinen Reaktionen auf Männer: Wenn ich Kritik und Schmerz nicht an mich heranlassen will, ist es sehr verlockend, dem Partner die Schuld für das Scheitern in die Schuhe zu schieben. Wenn er nur besser mit meiner Behinderung hätte umgehen können, dann wären wir noch zusammen … Dass mich der Typ aber vielleicht einfach nur zu dominant, vorlaut oder schlichtweg bescheuert findet, darauf schaue ich lieber nicht.

Ein weiteres Phänomen meiner Behinderung ist, dass mir aufgrund meiner eingeschränkten Mobilität auch eingeschränkter Sex unterstellt wird. „Wie soll das denn funktionieren, wenn du noch nicht mal laufen kannst?“, wurde ich einmal gefragt. Oder man glaubt, dass ich nur passiv rumliege und der Sex sowieso nicht gut sein kann.

Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.

Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.

Das Gute an gutem Sex ist, dass es den guten Sex nicht gibt. Jeder muss für sich selbst entdecken, was sich gut anfühlt, wie man zu seiner Befriedigung kommt und wie man Befriedigung zurückgeben kann – ob mit oder ohne Behinderung.

Da meine Behinderung mich dazu bringt, mich intensiv mit meinem Körper auseinanderzusetzen, führe ich auf allen Ebenen ein sehr erfülltes Leben. Und da ich auch eine gute Portion Humor vorzuweisen habe, sind Spaß und Leidenschaft sicher.

Mit meiner Behinderung bin ich schon oft dem Vorurteil begegnet, dass mein Partner in der Beziehung besonders viele Kompromisse eingehen muss. Sie hören Sprüche wie: „Warum tust du dir das an?“ Das ist einerseits sehr schade, weil solche Sätze ihre Entscheidungsfreiheit und letztendlich ihre Liebe zu mir in Frage stellen. Andererseits lässt es mich aber auch verärgert zurück, wenn mein Partner als der starke, mutige und fürsorgliche Mann glorifiziert wird und die Leute ihm anerkennend auf die Schulter klopfen. Nur weil er sich in eine Frau im Rollstuhl verliebt hat. Ich fühle mich dadurch in ein schlechtes Licht gerückt und als Bittstellerin abgestempelt.

Wenn ich heute signalisiert bekomme, dass Menschen mir ein schweres, „unnormales“ Leben aufgrund meiner Behinderung attestieren, gehe ich einfach mal davon aus, dass sie bisher keine Erfahrungen mit behinderten Menschen gemacht haben und ihnen ein defizitorientiertes Bild von Behinderung vermittelt wurde. Eine Behinderung zu haben muss nicht bedeuten, weniger bieten zu können oder mehr zurückstecken zu müssen. Genauso wenig, wie eine Behinderung einen davor bewahrt, ein Arschloch zu sein.

Meine Behinderung prägt meine Persönlichkeit und ich mag den Menschen, den sie aus sich heraus geformt hat. Und das Tollste an ihr: Sie filtert automatisch all diejenigen heraus, die nicht mehr in mir sehen als eine Behinderte, deren Rollstuhl als Symbol für Passivität und Schwäche steht. Meine Behinderung ist mein ganz persönlicher Arschlochfilter.

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Laura Gehlhaar, Jahrgang 1983, ist Autorin. Zuletzt erschien ihr Buch „Kann man da noch was machen?: Geschichten aus dem Alltag einer Rollstuhlfahrerin“

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