Rassismusdebatte in den Sophiensaelen: Unsagbares (im) Theater?

Die Verwendung des „N-Wortes“ durch ein antirassistisches Künstlerkollektiv führte zur Absetzung eines Stücks. Ein legitimer Platzverweis?

Zwei weiße Männer sitzen auf Zebras

Die Kolonialherren posieren. Produktionsfoto des abgesetzten Stücks „Leopardenmorde“ Foto: Piotr Rylakowski

Es gibt Worte, die speichern das Unrecht vergangener Tage. Wer sie ausspricht, aktualisiert mitunter eine grausame Vergangenheit und kippt den Müll der Geschichte in die Gegenwart aus. Sprache kann ein Instrument von Gewalt sein und aktiv traumatisieren. Deshalb – und nicht aus Gründen formaler Political Correctness – gilt es, ein wie auch immer diskriminierendes Vokabular aus dem alltäglichen Wortschatz auszuscheiden.

Kann es in abgesteckten Räumen aber, zumal in der Literatur und im Theater, nicht eben geboten sein, einen belasteten Begriff zur Sprache zu bringen, um die menschenfeindliche Geisteslandschaft zu kartieren, deren Boden er entwachsen ist? Hat die Kunst nicht gerade in Zeiten eines reaktionären Rollbacks den gesellschaftlichen Auftrag, an die Schmerzgrenze zu gehen, um zu verhindern, dass sich die Geschichte wie die der Ouroboros in den Schwanz beißt?

Die Berliner Sophiensæle sind jedenfalls nicht dieser Auffassung. Im Rahmen des derzeit laufenden Freischwimmerfestivals, das jungen Theaterschaffenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eine transnationale Plattform bietet, kam es zu einem eigentümlichen Fall von Zensur. Das Stück „Die Leopardenmorde“, in dem der Regisseur und Autor Timo Krstin die faschistische Vita seines Großvaters George Ebrecht vom verstaubten Dachboden her ins gleißende Bühnenlicht zerrt, wurde nach der ersten Vorstellung abgesagt. Der Grund – so die Verantwortlichen auf ihrer Webseite – sei „der künstlerische Umgang mit einem Schriftstück aus den 1920er Jahren“, das mit „deutlich zu geringer kritischer Distanz“ vorgetragen werde.

Zwei linke Auffassungen

Konkret geht es darum, dass das Künstlerkollektiv K.U.R.S.K., dem Timo Krstin angehört, Passagen aus dem autobiografischen Romanversuch des besagten Großvaters verliest. In dem kolonialen Selbstzeugnis ist der rassistische Ausdruck „Neger“ ein häufig verwendeter Terminus. Nach der Aufführung wurde die Gruppe dazu angehalten, auf das N-Wort, das man dem afrodeutschen Publikum nicht zumuten wollte, beim nächsten Mal zu verzichten.

Die Theatergruppe K.U.R.S.K. hielt das für Verrat am eigenen Konzept und wurde von den Sophiensæle zeitweilig aus dem Festival ausgeschlossen. Trotz der dezidiert antirassistischen Agenda des Stücks sieht sich die Gruppe nun mit dem mindestens impliziten Vorwurf des Rassismus belegt.

Zwei linke Auffassungen vom richtigen Umgang mit rassistischer Sprache stehen sich gegenüber. Die Sophiensæle vertreten ein aus der Critical-Whiteness-Diskussion hervorgegangenes Dogma, das für bedingungslose Diskurshygiene und radikalen Begriffspurismus plädiert: Unter allen Umständen muss auf alles verzichtet werden, was irgendwen irgendwie verletzen könnte. Die Verwendung rassistischer Termini, so die These, reproduziere rassistische Strukturen und koloniale Denkmuster. Und zwar selbst dann, wenn die Begriffe allein zur Illustration dieser Strukturen verwendet werden.

Das Stück liefert den Kontext, der die von Worten ausgehende Gewalt zumindest abmildern sollte

K.U.R.S.K. steht für die andere Position, wonach man die hässliche Vergangenheit zur Sprache bringen muss, um ihre aktuell durch die Welt spukenden Gespenster wieder einzufangen. Das waffenfähige Wortmaterial soll durch den Kontext entschärft werden. Mehr noch: Das Dechiffrieren der Gewaltförmigkeit rassistischer Sprechakte soll den Dammbruch, der eine Normalisierung des anstößigen Vokabulars in die Wege leiten könnte, gerade verhindern.

Kolonialverbrecher in Afrika

Wer sich der – zugegeben – schmerzhaften Performance von K.U.R.S.K. aussetzt, sollte indes weder Zweifel an deren antirassistischer Ausrichtung hegen noch daran, dass der Ansatz verfängt.

In „Die Leopardenmorde“ werden die Romansplitter des späteren SS-Emporkömmlings George Ebrecht, in denen dieser aus seiner Zeit als Sisal pflanzender Kolonialverbrecher in Afrika berichtet, mit Reflexionen des Regisseurs und Ebrecht-Enkels Krstin verschränkt. Unter anderem erzählt der, wie sein Großvater einem nationalsozialistischen Massaker an „psychisch Kranken“ aktiv beiwohnte; die Szene wird dabei mit einem Ebrecht-Zitat über das „tierische Verhalten“ der Afrikaner kontrastiert.

Das Groteske und Widersprüchliche, das in dieser Spiegelung hervortritt, führt den Vorwurf „der zu geringen kritischen Distanz“ ad absurdum. Im Gegenteil zeigt das Stück die Verbindungslinien zwischen deutschem Kolonialismus und den Rassediskursen der Nazis auf.

K.U.R.S.K. enthüllt aber noch eine weitere Kontinuität: Der Massenmörder George Ebrecht fand nach 1945 eine neue politische Heimat in der sogenannten Deutschen Friedensunion. Das alte Feindbild eines vermeintlich mit den Amerikanern assoziierten „Weltjudentums“ in einen „zeitgemäßen“ Kontext übersetzend, wetterte er gegen die Atommacht USA als „größte Bedrohung für den Weltfrieden“. Unwillkürlich fühlt man sich an Heideggers technophoben Schwarzwald-Sprech und dessen antisemitische Implikationen erinnert.

Der Büttel der USA

Indem Timo Krstin die Biografie seines Großvaters gegen das allzu deutsche Diktum „Opa war kein Nazi“ auf der öffentlichen Bühne verhandelt, zeigt er auch, wie rassistischer Welteroberungswahn in schuldprojektivem Totalpazifismus überwintern konnte. Nicht von ungefähr leugnete Ebrecht denn auch – wie die rechtsradikalen Reichsbürger von heute – die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland, die nicht mehr sei als der Büttel des imperialistischen Blutsaugers USA.

Kann es für ein Haus wie die Sophiensæle, mit einem progressiven Selbstverständnis, opportun sein, einem solchen antifaschistischen Theaterstück einen Platzverweis zu erteilen?Die Debatte um das N-Wort im Zusammenhang mit der künstlerischen Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus schlug schon bei der Rezeption von Christian Krachts Roman „Imperium“ hohe Wellen. Auch dem Autor Kracht wurde ein affirmativer Umgang mit seinem Gegenstand unterstellt – ein Vorwurf, der angesichts des ironischen Sounds und der unsympathischen Zeichnung des Protagonisten Engelhardt absurd erscheint. Kracht ließ seine Protagonisten die zeitspezifische Sprache sprechen, anstatt diskurshygienisch die Geschichte zu klittern. Auch hier lässt sich behaupten, dass die Rahmung gerade das Gegenteil einer Aktualisierung rassistischer Strukturen bewirkt.

Im Gegensatz zu Straßennamen, die wie die Berliner Mohrenstraße unkritisch einen diskriminierenden Sprech verwenden und anders auch als jene historisch belasteten Kinderbücher, bei denen man stets auf Erklärungen durch aufmerksame Eltern angewiesen ist, liefern sowohl „Imperium“ als auch „Die Leopardenmorde“ ebenjenen Kontext, der die von Worten ausgehende Gewalt zumindest abmildern sollte. Die Möglichkeiten der Kunst wären doch auf schlimme Weise eingeschränkt, wenn sich jene grausamen Figuren nicht mehr darstellen ließen, die eben auch eine grausame Sprache sprechen.

Der Text zeigt, wie rassistischer Welteroberungswahn in schuldprojektivem Totalpazifismus überwintern konnte

Die weiße Sprecherposition

So sich People of color trotzdem damit unwohl fühlen, muss man deren Einwände ernst nehmen. Sowohl die Arbeit von K.U.R.S.K. als auch die Argumentation dieses Artikels geschehen ausgehend von einer weißen, also privilegierten Sprecherposition. Diese kann sich nicht anmaßen, in der Debatte das letzte Wort zu haben. Die Entscheidung der Sophiensæle, dem afrodeutschen Publikum das Stück nicht zumuten zu können, wurde jedoch auch von einer solchen Position aus getroffen. Auch hier werden People of color demgemäß als Objekte eines „weißen Wissens“ behandelt.

Und selbst wenn unter den Beteiligten eine als schwarz markierte Person gewesen wäre – könnte diese stellvertretend für alle anderen rassifizierten Menschen entscheiden, dass sich die Verwendung des N-Wortes unter allen Umständen verbietet? Vielleicht wäre ein anschließendes Publikumsgespräch oder womöglich ein konkreter Hinweis im Pressepapier eine gangbare Alternative gewesen.

Die Verbannung der „Leopardenmorde“ aus dem Berliner Theater wirkt jedoch bevormundend und paternalistisch. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Bereinigung der Sprache hier als Distinktionstechnik einer Reformelite fungiert, die sich selbst einen rassismusfreien Status jenseits der weißen Norm attestiert. Der Schokokuss fürs gute Gewissen. Von der identitätspolitischen Trutzburg aber geht ein kulturarroganter Klassismus aus, der am Ende den Rechten in die Hände spielt.

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