Streit über Diesel-Skandal: Wolfsburgern droht Klagewelle

Der Rechtsdienstleister MyRight droht Volkswagen mit Massenklage: Er vertritt Geschädigte kostenlos, kassiert im Erfolgsfall aber 35 Prozent des Schadensersatzes

Vorwürfe an den Autobauer: Greenpeace demonstriert in Hamburg gegen Volkswagen Foto: Fred Dott/dpa

WOLFSBURG taz | Deutschlands größtem Autobauer Volkswagen droht wegen des Diesel-Skandals neuer Ärger: Zusammen mit der US-Kanzlei Hausfeld will der Rechtsdienstleister MyRight den Wolfsburger Konzern auch in Europa massenhaft mit Schadensersatzklagen überziehen. Ziel sei die Vertretung von 750.000 Volkswagen-KundInnen, sagte MyRight-Mitbegründer Jan-Eike Andresen dem NDR. Es gehe darum, „Rechtsklarheit zu schaffen“, sagte Andresen. Bereits im Juni hatte MyRight mitgeteilt, mehr als 100.000 Diesel-FahrerInnen zu vertreten. Am Dienstag hat der Rechtsdienstleister beim Landgericht Braunschweig eine erste Klage gegen Volkswagen eingereicht.

Das größte Unternehmen der Bundesrepublik hatte im September 2015 einräumen müssen, weltweit in mehr als elf Millionen Fahrzeugen seiner Marken VW, Audi, Skoda und Seat eine Software verbaut zu haben, die nur im Testbetrieb eine optimale Reinigung der Abgase sicherstellt. In den USA gilt diese Abschalteinrichtung („defeat device“) als illegal – vor dortigen Gerichten hat der Autobauer deshalb Vergleichen in Höhe von rund 17 Milliarden Dollar zugestimmt.

In Deutschland dagegen will Volkswagen KundInnen nicht entschädigen – dabei fürchten die auch hier, vom Konzern angebotene Nachbesserungen führten zu höherem Verbrauch, sinkender Motorleistung und stärkerem Verschleiß. Trotzdem will der Konzern in Europa von Schadenersatz oder gar der Rückabwicklung von Kaufverträgen nichts wissen: Die Abschalteinrichtungen verstießen nicht gegen deutsches oder europäisches Recht, argumentiert Autobauer Volkswagen zumindest offiziell.

Doch genau diese Argumentation wollen die Juristen von MyRight und Hausfeld widerlegen: Schließlich habe die EU-Kommission im Dezember sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Brüssel wirft der Bundesregierung darin vor, Volkswagen wegen Verstößen gegen EU-Richtlinien nicht hart genug bestraft zu haben.

Konkret geht es um sogenannte „Übereinstimmungsbescheinigungen“, in denen Autohersteller erklären, dass ihre Fahrzeuge EU-Recht entsprechen. Die mit Manipulations-Software ausgestatteten Dieselmodelle der Wolfsburger verfügten über keine EU-Typengenehmigung, so MyRight und Hausfeld. Der Konzern habe seinen KundInnen Autos ohne gültige Zulassung verkauft – und so schlicht Betrug begangen. „Damit wurden die Kunden getäuscht“, wirft Hausfeld-Anwältin Lene Kohl der Volkswagen AG vor.

Zwar sind vor verschiedensten Gerichten wegen des Diesel-Skandals schon heute hunderte Schadensersatzklagen anhängig. Allerdings richten die sich nicht mit einem Betrugsvorwurf gegen den Hersteller, sondern wegen Sachmängeln zumeist gegen selbstständige VW-Händler als unmittelbare Verkäufer. Schon dabei biete Volkswagen gelegentlich „einen Deal an: Rückkauf des Autos gegen Zusicherung der absoluten Verschwiegenheit“, schreibt MyRight-Mitbegründer Andresen auf der Internet-Seite des Rechtsdienstleisters.

Ohne Klage dagegen zeigten sich Hersteller und Verkäufer stur. KundInnen würden „am Telefon durch VW abgewimmelt, die Händler streiten vor Ort alles ab“, kritisiert der promovierte Jurist – und wirbt für seine Firma: Die vertrete Geschädigte kostenlos. Im Erfolgsfall müssen sie allerdings 35 Prozent des Schadenersatzes an die Anwälte abtreten. Wegen der Minimierung des Prozessrisikos sei das dennoch ein „interessanter Deal für viele VW-Kunden“, heißt es bei der Stiftung Warentest dazu.

In Niedersachsen, wo Volkswagen mit Abstand der größte Arbeitgeber ist und hunderttausende Jobs sichert, blickt die Landesregierung dagegen mit Skepsis auf den Braunschweiger Prozess. Zu „einem laufenden Verfahren“ wolle sich die Regierung nicht äußern, sagte ein Sprecher von Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies zur taz. Dabei sitzt der Sozialdemokrat selbst im Aufsichtsrat von Volkswagen, genau wie SPD-Ministerpräsident Stephan Weil – das Land hält 20 Prozent der Anteile der Aktiengesellschaft.

Eine Klagewelle käme Niedersachsen damit höchst ungelegen: Von elf Millionen manipulierten Autos hat Volkswagen acht Millionen in Europa vermarktet. Ein Rückkauf, wie er KundInnen in den USA angeboten wird, dürfte den Konzern schlicht überfordern. Selbst Schadenersatz könnte schnell einen weiteren zweistelligen Milliardenbetrag kosten, für den Volkswagen bisher keinerlei Rückstellungen gebildet hat.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.