Ambivalente Elbphilharmonie: Der dunkle Weg zum hellen Glanz

Bei allem Jubel darüber, dass die Elbphilharmonie endlich fertig ist: Die Vorgeschichte ist ein Paradebeispiel dafür, wie man's nicht macht.

Elbphilharmonie

Strahlend, als ob es die Depressionen der Bauzeit nie gegeben hätte Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Ende gut, alles gut? Es hätte ein so schönes Märchen werden können. Wurde dann aber doch nur eine Durchschnittsklamotte, immerhin mit einem schönen Schluss. Als Berg-und-Tal-Fahrt liest sich die Geschichte von Hamburgs Elbphilharmonie, die nun nach zehnjähriger Bauzeit öffnet. Fast 800 Millionen Euro aus Steuern kostet sie, zehnmal so viel wie einst versprochen.

Für handliche 77 Millionen Euro der öffentlichen Hand hatte Privatinvestor und Architekt Alexander Gérard den Konzertsaal auf einen Kakaospeicher von 1963 in der Hafencity bauen wollen, querfinanziert durch Luxuswohnungen nebst Hotel. Bauen sollten diesen „kommerziellen Mantel“ Privatinvestoren, mit der Stadt als Bauherr, die – im Sinne der damals frenetisch gefeierten Public-private-Partnership – günstige Kredite besorgen sollte. Die Stadt trüge bloß das Risiko des Konzertsaals.

So war das gedacht. Dann begannen Terminchaos und Kostencrescendo, türmten sich die Skandale. Vielleicht lag es daran, dass schon die Genese des Projekts wenig demokratisch war. Dass es den Hamburgern so lange schmackhaft gemacht wurde, bis alle vergessen hatten, dass es eigentlich einer Ausschreibung bedurft hätte.

Hamburg glaubte alles

Doch die Idee eines Konzertsaals, der die 1908 eröffnete Laeiszhalle entlasten sollte, kam im rechten Moment auf: Hamburg hatte 2003 die Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012 verloren, und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) suchte neue Profilierungsfelder. Den in Rede stehenden Kaispeicher A wollte er als braver Hanseat zwar lieber zum bürolastigen „Media City Port“ machen. Aber nach der geplatzten IT-Blase war das passé. Also griff von Beust den seit 2001 kursierenden Plan, sich ein Konzerthaus zuzulegen, wieder auf. Das Konzept der Querfinanzierung gefiel ihm, und wenn er etwas so Glamouröses billig haben könnte, wäre es doch wunderbar.

Das fand Hamburgs Senat auch. Kaufte Gérard aus den Verträgen heraus, begrenzte den öffentlichen Anteil auf 77 Millionen Euro und akquirierte 40 Millionen Euro Spenden. Berief 2006 den Wiener-Konzerthaus-Chef Christoph Lieben-Seutter zum Intendanten. Schuf Fakten – und verkündete dann, dass der öffentliche Anteil leider auf 114,3 Millionen Euro gestiegen sei. Angeblich ein „Pauschalfestpreis“.

Hamburgs Bürgerschaft glaubte das – und noch weitere Unmöglichkeiten: dass der Speicher die schwere Philharmonie problemlos tragen könne. Dass man die Schweizer Weltklassearchitekten Herzog & de Meuron federleicht steuern könne. Und dass der Baukonzern Hochtief mündliche Absprachen einhalten werde wie im Mittelalter zu Zeiten der Hanse.

Der Baukonzern verhielt sich wie ein hanseatischer Kaufmann. Er holte raus, was möglich war

Es war eine Zeit der Träume, der öffentlich zelebrierten Vision. Eröffnet werden sollte 2010, und es sollte ein „Haus für alle“ werden. Das predigten Politiker und Intendant unaufhörlich, um vom Hochkulturimage wegzukommen. Wobei sich der Intendant klugerweise stets als Konzert-, nicht als Bauverantwortlicher definierte und so meist aus den Negativschlagzeilen blieb.

Die kamen pünktlich. Denn natürlich musste der Untergrund nachgerüstet werden, damit der Speicher das Konzerthaus trug. Und selbstredend reichte Hochtief ab Baubeginn teure Projektänderungsmeldungen ein. Woran das lag? Daran, dass Hochtief den Konkurrenten Strabag nur deshalb unterboten hatte, weil mit genau jenen Nachforderungen kalkuliert worden war. Strabag dagegen hatte sich angesichts unfertiger Baupläne geweigert, einen Fixpreis zu nennen, und 100 Millionen Euro Risikozuschlag gefordert. Übrigens zu Recht, wie später herauskam. Selbst die Architekten hatten vor einer übereilten Auftragsvergabe gewarnt. Sie sahen es kommen.

Aber Ole von Beust sah vor allem die nächsten Hamburger Wahlen kommen und brauchte den Elbphilharmonie-Beschluss der Bürgerschaft. Und die hätte vielleicht nicht zugestimmt, wären Kostenrisiken bekannt geworden. Also wurde die Stadt 2006 hektisch mit Hochtief und den Architekten einig – in einer branchenunüblichen, konfliktträchtigen Dreiecksvertragskonstruktion, die keine Kontakte zwischen Architekten und Hochtief vorsah.

Die Architekten wurden also nicht Subunternehmer von Hochtief und damit zu Terminkoordination, Kompromiss und Einhaltung von Budgets verpflichtet, sie waren nur der Stadt verantwortlich. Die hatte unverbindliche Budgets ohne Obergrenze vereinbart.

Das hatte Folgen: Die Architekten planten und veränderten, die städtische Projektgesellschaft leitete die Pläne, kaum geprüft, an Hochtief weiter. Der Konzern baute und stellte die Mehrkosten in Rechnung. Verschob die Eröffnung immer wieder, soll gar mit Baustopp gedroht haben.

Hamburgs Senat, darob verängstigt, beschloss daraufhin 2008 den „Nachtrag 4“: 137 Millionen Euro mehr für Hochtief, davon 30 Millionen „Einigungssumme“ ohne Gegenleistung. Damit stieg der Anteil der öffentlichen Hand, die inzwischen, von der Öffentlichkeit unbemerkt, auch den Bau von Parkhaus, Gastronomie und Hotel finanzierte, auf 495 Millionen Euro. Neuer Eröffnungstermin: Frühjahr 2012.

Die Stadt als zahnloser Tiger

Doch während von Beust gelassen blieb, maulte das Volk: Vom Millionengrab zulasten anderer Kulturinstitutionen war die Rede. Das stimmte nicht, Bau und Betrieb der Elbphilharmonie wurden nie aus dem Kulturhaushalt finanziert, aber etwas blieb hängen. Um also zumindest die Verantwortlichen zu präsentieren, setzte die Bürgerschaft 2010 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) ein, dem später ein zweiter folgte.

Außerdem verklagte die Stadt den Konzern auf einen verbindlichen Terminplan und lenkte Volkes Zorn geschickt auf Hochtief. Dabei verhielt sich der Konzern bloß wie ein hanseatischer Kaufmann: nutzte Vertragslücken, Kompetenzdefizite und Imageängste der Stadt und holte pekuniär heraus, was möglich war.

Zudem wurde erst spät bekannt, dass die Stadt einen guten Teil der Mehrkosten selbst verursacht hatte und keineswegs das Haus baute, das Gérard einst geplant hatte. Aus einem Konzertsaal wurden zwei, die Wohnungen vermehrten sich, man wollte zusätzliche Räume im Sockel. Und hatte Verständnis für Architektenwünsche nach feinsten Materialien, einer exquisiten „Tube“, aufwendig gefertigten Fenstern und lustigen Dachpailletten. Und wie um das Ablenkungsmanöver zu befördern, inszenierte sich Hochtief im Oktober 2011 erneut als Bösewicht.

Weigerte sich „aus Sicherheitsgründen“, das Dach abzusenken, und legte den Bau für anderthalb Jahre still. Ob es wirklich statische Probleme gab, ist bis heute unklar; jedenfalls ließ der Konzern die Muskeln spielen. Statusspielchen mit allerlei städtischen Ultimaten begannen, aber es war der Kampf des zahnlosen Tigers: „Jetzt ist aber Schluss“, maulten der inzwischen amtierende Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) regelmäßig – um dann tatenlos zu bleiben.

Das klang wunderbar, war es aber nicht

Erst im November 2012 senkte Hochtief das Dach. Kurz vor Weihnachten folgte, was seither als Durchbruch kolportiert wird: An die Stelle des Vertragsdreiecks trat ein einziger Vertrag – zwischen Stadt und Hochtief. Der Konzern garantierte die Fertigstellung bis Juli 2016 und übernahm alle Kostenrisiken.

Das klang wunderbar, war es aber nicht. Rund 200 Zusatzmillionen Euro ohne Gegenleistung berappte die Stadt und verzichtete auf Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Es war kein demokratisch abgestimmter Beschluss, und das wusste Scholz, als er dem Volk die nunmehr 800 öffentlichen Millionen Euro beichtete. Doch Hochtief zu kündigen und in Eigenregie fertig zu bauen sei ihm zu riskant gewesen.

Die Opposition schäumte kurz, fand aber kaum Gehör. Die Hamburger waren der Sache müde. Abgenutzt der Running Gag „Elbphilharmonie goes BER“. Jetzt sollte das Teil einfach nur fertig werden.

Tatsächlich ging seither alles gut. Und wie um sich selbst aus der Depression zu ziehen, haben die Hamburger ihren Frieden mit der Elbphilharmonie gemacht. Die Eröffnungssaison war rasant ausverkauft. Was einen einst empörte, schloss man angesichts der Verlockung, mit in der Aureole zu stehen, verdächtig schnell ins Herz.

Und vom Geld spricht keiner mehr. So war es auch gedacht.

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