Debatte Links gegen Rechts: Was kann uns noch retten?

Viele Menschen hoffen auf die demokratische Zivilgesellschaft. Doch die gibt es erst dann, wenn wir sie schaffen.

Ein Gegendemonstrant zeigt den Teilnehmern von Pro NRW den Stinkefinger

Ein Gegendemonstrant wehrt sich gegen die Demonstration der Partei Pro-NRW in Köln Foto: dpa

Seit ungefähr dreißig Jahren gibt es die Stimmen, die warnen vor den anschwellenden Bocksgesängen der Neuen Rechten, vor Pop-Nationalismus und halbfaschistisch durchsetzter Postdemokratie, vor der Erosion der aufklärerischen Kritik auf einem durchökonomisierten Markt der Meinungen, vor der semantischen Vergiftung durch das, was man nun doch wieder sagen wird dürfen, vor dem Salonfähigwerden antihumanistischer, fremdenfeindlicher und nationalistischer Parolen, vor den Kulten von Verachtung und Ausgrenzung und noch vor etlichem anderen.

Es ist alles so gekommen, wie die Warnenden es beschrieben haben. Höchstens noch ein wenig schlimmer. Und wer ist schuld daran? Wenn es nach den Diskursverwaltern und Geschmacksverstärkern in unseren Leitmedien geht: natürlich die Warnenden selber. Die Linken und Linksliberalen, die Intellektuellen und das Debatten-Establishment, die Queeren und die Multikultis, die Übertoleranten und Unternationalisierten, eben alle die, die man über die Jahrzehnte aus der Mitte der politischen Kultur gedrängt hat. Was waren sie aber auch immer besserwisserisch, uncool und spielverderberisch. Jetzt, wo das Kind Demokratie in den Brunnen gefallen ist, stehen sie ermattet und entmachtet da und haben auch kein Rezept mehr gegen die Faschisierungen und Fundamentalisierungen.

Es ist der große Hölderlin-Satz des deutschen Idealismus: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“ Ist das so? Und wenn: Für wie viele kommt das Rettende zu spät?

Das Rettende jedenfalls, das in der größten Gefahr für Demokratie und Menschenrechte derzeit wachsen soll, hat schon einen Namen: „die demokratische Zivilgesellschaft“. Dem einen ein mächtiges Bollwerk, das seine Stärken zeigt, wenn es um Verhinderung oder Gegenstimme rechter Aufmärsche geht, der anderen ein Hoffnungsstrahl der Rückbesinnung auf die Werte von Verfassung und Freiheit, dem dritten einer der berühmten Strohhalme, an die sich Ertrinkende klammern, und wieder einer die schiere Illusion, Teil der letzten Beschwichtigungen vor der Katastrophe.

Gut ist nur die Praxis

Fest steht jedenfalls: Es „gibt“ sie nicht, die demokratische Zivilgesellschaft. Sie ist wie das Gute bei Erich Kästner („Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es“) nie anders vorhanden als durch eine Praxis. Wer also glaubt, „Hoffnungen zu setzen“ in die demokratische Zivilgesellschaft, um sich dann wieder seinen Geschäften zu widmen, hat sie schon verraten.

Eine Projektion zu sein, hat die demokratische Zivilgesellschaft gemeinsam mit dem von rechts besetzten „Volk“. Es waren ja ganz gewöhnliche Leute, Nachbarn, Freunde, Menschen, mit denen man über Brotpreise und Regenwolken sprach und sich den Kinderspielplatz teilte, die plötzlich bemerkten, dass es ihnen guttat, sich als Teil des Volkes zu fühlen, gegen Ausländerfluten und Schmarotzer, gegen das liberale Establishment und gegen die „Lügenpresse“.

Das Volk existiert genauso wenig wie eine demokratische Zivilgesellschaft, es handelt sich vielmehr um konträre Projekte der Kollektivierung, der Reduktion und Konzentration von Interessen, Anschauungen und Kulturen. Oder um es noch konkreter zu sagen: Es handelt sich um die Bildung eines politischen Subjekts. Wer sich in diesem Sinne als „Volk“ versteht, verlangt nicht weniger als die Ablösung der offenen, demokratischen, zivilen und aufgeklärten Gesellschaft durch eine geschlossene, autokratische, militarisierte und mythische Gemeinschaft. Von den Repräsentanten der „alten“ Demokratie haben schon erschreckend viele signalisiert, dass sie diesem Transformationsprozess durchaus entsprechen wollen, solange man gewisse demokratische Formalien und natürlich die je eigenen Interessen unangetastet ließe, und in den Leitmedien häufen sich Kommentare, die wirken, als handele es sich um Bewerbungsschreiben für das Propagandaministerium einer kommenden AfD-Regierung.

Die „demokratische Zivilgesellschaft“ kann also schon mal nichts Rettendes sein, was aus dem Zentrum der demokratischen Macht und ihrer medialen Diskurse stammt. Oder anders gesagt: Der Bruch zwischen der völkischen Reaktion und dem demokratischen Widerstand dagegen verläuft nicht zwischen Straße und Parlament, zwischen „Qualitätsmedium“ und „Lügenpresse“-Geschrei, sondern geht quer durch die Parteien, die Medien, die Behörden und so weiter.

Zivilisierung der Diskurse

Eine demokratische Zivilgesellschaft lässt sich also nur zugleich in zwei Richtungen als Projekt für ein neues politisches und kulturelles Subjekt definieren: als Widerstand gegen die drohende Machtübernahme durch eine neue/alte völkische, antidemokratische Rechte und als radikale Erneuerung des demokratischen Projekts selbst, auf regionaler, nationaler und nicht zuletzt auf europäischer Ebene.

Sie ist demokratisch nicht als Verteidigung der Restdemokratie, sondern als Projekt des demokratischen Neubeginns; sie ist zivil nicht nur im Sinne einer Entmilitarisierung der Politik und des politischen Jargons, sondern auch im Sinne einer Zivilisierung der Diskurse; sie ist Gesellschaft nicht nur im Sinne einer Alternative der offenen und sich entwickelnden Gesellschaft gegen die geschlossene ideologische, nationalistische, ökonomische und auch religiöse Gemeinschaft, sondern auch im Sinne einer Sozialisierung des Lebens als Suche nach neuen Formen von Solidarisierung und Verantwortung.

Oh, gewiss: Die „demokratische Zivilgesellschaft“, ob es sie nun „gibt“ oder ob sie ein gemeinsamer Traum von sehr unterschiedlichen Leuten ist, die nach etwas Besserem suchen als dem Tod der Demokratie, ist kein leichtes Unterfangen in Zeiten von Terror und Opportunismus. Aber so wie der Nachbar zur Rechten plötzlich aufwachte und sich als „Volk“ zu Hass und Häme befähigt sah, könnte doch auch der Nachbar auf der anderen Seite plötzlich aufwachen und sich als Teil einer demokratischen Zivilgesellschaft erkennen. Als Teil des Rettenden, was vielleicht schwieriger, aber auch glücklicher ist, als sich widerstandslos der Gefahr zu beugen, die Augen davor zu schließen oder sie sich schönzureden.

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