Currywurst im Cinema: Das Dorfkino lebt

Im kleinen Örtchen Harsefeld gibt es bis heute ein altes Kino. Vor dem Hauptfilm werden hier am Kinosessel auch Pommes und Currywurst serviert

Der alte Charme ist erhalten geblieben: In den „Harsefelder Lichtspielen“ hat sich seit 1977 nicht viel verändert. Foto: Foto: Christian Franz

HARSEFELD taz | Harsefeld, dieser Flecken auf der Stader Geest zwischen Bremervörde und Buxtehude mit seinen 13.000 Einwohnern hat laut Wikipedia immerhin einen „Garten der Steine“ und ein Museum zu bieten. Doch das wirklich Sensationelle wird bei Wikipedia unterschlagen: Harsefeld hat noch ein altes Dorfkino. Hier haben am vergangenen Montag, also einem besonders besucher-schwachen Tag, immerhin über 40 zahlende Gäste die Gaunerkomödie „Vier gegen die Bank“ von Wolfgang Petersen gesehen.

Bei den Harsefelder Lichtspielen handelt es sich um ein Verzehrkino. Die Sitzreihen sind in Vierergruppen unterteilt, damit das Personal genug Platz zum Servieren hat. Die Kinobesucher sitzen mit den Sesseln am Tisch, auf dem sich eine Lampe befindet. Früher waren die „Harsefelder Lichtspiele“ sogar ein Raucherkino, an leisen Stellen des Films hörte man die Lüftung rauschen. Vom Rauch riecht man heute längst nichts mehr. Der Saal wurde zwar immer mal wieder behutsam renoviert, aber den Charme haben die Betreiber beim letzten großen Umbau 1977 erhalten. Und so werben sie auch mit dem „nostalgischen“ oder gar „historischen“ Kinoerlebnis. Doch damit allein lässt sich das Publikum, das nicht selten aus Bremervörde anreist, nicht halten.

Marga Engelmann, der das Kino gehört, spielt keine Blockbuster oder Comicverfilmungen. James Bond- und Star Wars-Filme, auf die viele ihrer Kollegen setzen, sind für sie tabu. Bei Engelmann stehen gehobene Unterhaltungsfilme auf dem Programm. Vergangene Woche liefen dort etwa ausschließlich deutsche Produktionen. Fast könnte man vom einem Arthouse-Kino auf dem Lande sprechen.

Ihre Stammkunden fragen sie regelmäßig, ob sie für den einen oder anderen Film nach Hamburg fahren müssen, oder ob sie ihn in den nächsten Wochen vielleicht auch bei ihr sehen können. Über die Jahre hat Marga Engelmann sich so ein treues Publikum mit speziellem Filmgeschmack herangezogen: Eines, das an einem Sonntagnachmittag „Paula“ sieht und es zu schätzen weiß, wenn vor dem Hauptfilm nicht nur Werbung, sondern auch ein Kurzfilm läuft.

Wenn das Publikum einen Lieblingsfilm hat, merkt man das daran, dass überall in der Gegend davon geredet wird und ihn schließlich fast jeder gesehen hat. So war das 2011 bei „Die Nordsee von oben“, jenem Dokumentarfilm, der nur aus Luftaufnahmen besteht. Nach einer inoffiziellen Weltpremiere in Harsefeld – die amtliche fand etwas später im Hamburger Abaton-Kino statt – lief er dort drei Jahre lang regelmäßig. Damit wurden die Harsefelder „Lichtspiele“ für diesen Film mit über 10.000 Zuschauern das Kino, das die höchste Besucherzahl einspielte.

Neben den Lichtspielen führt der Familienbetrieb eine Gaststätte und ein Hotel, das „Kino-Hotel Meyer“ heißt. Schon seit sieben Generationen betreibt die Familie die Dorfkneipe, 1928 bauten sie den Tanzboden zu dem Kinosaal um, der heute noch an gleicher Stelle steht. Damals gehörte zum Grundstück auch noch der Laden eines Uhrmachers, der Klavier spielen konnte. Weil er die Begleitmusik zu Stummfilmen spielte, wohnte er bei den Meyers mietfrei. „So wurde das früher gemacht“ sagt Marga Engelmann, die eine geborene Meyer ist und gerne davon erzählt, dass die Frauen der Familie während des Zweiten Weltkriegs das Kino weiterführten, bis eines Tages ihr Vater aus der Kriegsgefangenenschaft zurückkehrte.

Ihre Mutter, sie und ihre Schwester waren es, die in den 70er-Jahren, als die goldenen Zeiten des Kinos vorbei waren, den Vater dazu überredeten, den Betrieb, der damals nur Verluste machte, trotzdem nicht aufzugeben. Marga Engelmann konnte sich ein Leben ohne das Kino, das für sie immer da war, einfach nicht vorstellen. Schon als Vierjährige sah Engelmann auf dem Schoß des damaligen Filmvorführers ihren ersten Film: Es war Bambi und sie konnte nicht aufhören, zu weinen.

Früher waren die „Harsefelder Lichtspiele“ sogar ein Raucherkino

Später fegte sie nach den Kindervorstellungen am Sonntag immer den Saal und bekam dafür ein Eis. In ihren Jugendjahren war ihr das Kino ein bisschen peinlich, denn es war damals schon alt und nicht besonders schick. Ähnlich war das später auch bei ihren Kindern. Inzwischen arbeitet auch ihr Sohn im Betrieb mit. Die Dorfkino-Dynastie setzt sich also fort.

Das Thema Kino ist in Harsefeld präsent. Im Hotel hängen Filmfotos an den Wänden und die alten Projektoren stehen als Dekoration in den Ecken. Die Zimmer sind nach Stars benannt: Die billigen zur Straße hinaus heißen Til Schweiger und Fatih Akin, die etwas besseren Quentin Tarantino und Joel Coen und die Suiten Sean Connery oder Liz Taylor. Das Konzept setzt sich fort: Im Restaurant ist die Speisekarte nicht in Suppen, Vor-, Haupt- und Nachspeisen unterteilt sondern in Teaser, Trailer, Hauptfilm und Happy End.

Im Kassenraum hängt eine Liste, in die Gäste Filme eintragen können, die sie gerne im Kino sehen würden. „Lawrence von Arabien“ wünscht sich einer, ein anderer schlägt den neuen Ken Loach-Film vor. Die Zeiten sind auf die örtliche Infrastruktur abgestimmt: Die Filme beginnen so, dass die Gäste aus Bremervörde und Buxtehude noch die letzte Bahn nach Hause kriegen. Und statt des üblichen Sparpreises gibt es im Harsefelder Kino an jedem Dienstag ein „Curryticket“, bei dem man für ein paar Euro Aufpreis eine Currywurst mit Pommes vor der Vorführung serviert bekommt.

Sonntags gibt es das „Schnitzelticket“: man bestellt vor der Nachmittagsvorstellung ein Schnitzel und hat es dann zum Ende des Films vor sich auf dem Teller. Das ist alles gut durchdacht, aber vor allem spürt man dahinter die Liebe zum Kino. Und so wundert es nicht, dass die „Lichtspiele“ die letzte Krise des Kinos gut überstanden haben – und nun voll digitalisiert und mit einer guten Tonanlage ausgestattet fit für die nächsten Jahre ist. Der schöne alte Name bleibt auch wie er ist.

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