Prozess am Freiburger Landgericht: Atheist tötet religiöse Mitbewohnerin

Ein Atheist steht wegen Mordes vor Gericht. Er soll seine Mitbewohnerin erstochen haben, weil sie Christin und „widerlich religiös“ gewesen sei.

Ein Kreuz auf einem Dach

„Wer an Gott glaubt, gehört erschossen“, sagt der Angeklagte Foto: imago/Westend61

FREIBURG taz | Es scheint, als braucht man kein Gotteskrieger zu sein. Man kann auch aus fanatischem Atheismus zum Mörder werden. Vor dem Freiburger Landgericht sitzt am Donnerstagmorgen ein fahler, junger Mann mit langen, strähnigen Haaren und schütterem Kinnbart; den Kopf tief gesenkt. Selbst als seine Mutter den Gerichtssaal betritt, zeigt er keine Regung.

Daniel E. wird vorgeworfen, im August vergangenen Jahres seine Mitbewohnerin getötet zu haben, weil ihm ihr christlicher Glaube zuwider war. Daniel E. hat sich vor der Tat intensiv mit Atheismus beschäftigt, sich von den Schriften des US-Autors Richard Dawkins zu einem Manifest inspirieren lassen. Titel: „Meine Apologie, Gerede eines Irren“. Der Angeklagte sagte bei der polizeilichen Vernehmung von sich: „Ich bin ein Antitheist“ und „Wer an Gott glaubt, gehört erschossen“. Die Beamten berichten, E. sei bei der Festnahme völlig emotionslos gewesen und habe knapp zu Protokoll gegeben: „Ich war’s.

Es ist eine besonders grausame Tat, die Daniel E. vorgeworfen wird. Nach den polizeilichen Ermittlungen hat er seine Mitbewohnerin am Abend des 9. August in ihrem Zimmer gestellt und mit einem Messer am Hals schwer verletzt. Minutenlang ist er danach bei ihr geblieben. Er habe gewartet, dass sie ausblutet, sagte E. in seiner Vernehmung. Als die Frau für ihn offenbar völlig unerwartet aus dem Zimmer in den Flur flüchtete, folgte er ihr und fügte ihr weitere Verletzungen zu. Nachbarn riefen die Polizei. Er selbst verschob die Textdatei des Manifests auf seinem Computer und hinterließ zwei Zettel. Auf einem stand: „Ich bin wirklich ein schlechter Mörder.“ Bis zu seiner Festnahme am Tatort versuchte er offenbar noch mehrmals erfolglos, sich das Leben zu nehmen.

Seine Mutter, die an diesem Vormittag in den Zeugenstand tritt, beschreibt eine schrittweisen Veränderung ihres Sohns. Er sei ein ruhiges, sensibles Kind gewesen, in der Schule und mit Freunden habe es nie Schwierigkeiten gegeben. Nach dem Hauptschulabschluss schafft er auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur und geht zum Studieren nach Freiburg. Daniel E. hat sich in der Schule besonders für Ethik interessiert und will Ethiklehrer werden. Die Mutter rät zu Informatik, er befolgt die Empfehlung, scheitert aber, wechselt zu Englisch und Philosophie. Ihr Sohn verwickelt sie immer wieder in ethische Diskussionen, über Abtreibung, Schwulenehe und andere Fragen. Schon mit 18 war er aus der Kirche ausgetreten.

Gegen Abtreibung und die Schwulenehe

2013 spricht er das erste Mal gegenüber der Mutter von Depressionen. Sie rät ihm zur Therapie. Seitdem bekommt er Antidepressiva, die aber, so sieht es die Mutter, nicht wirken. Er spricht ihr gegenüber von Selbstmord. Seit 2013 habe sich E. immer mehr von den Menschen zurückgezogen, beobachtet seine Mutter. Er habe damit begonnen, Menschen mit seinen ethischen Themen auf die Probe zu stellen. Wer gegen Abtreibung und die Schwulenehe war und an Gott glaubte, sei gestrichen gewesen. Er sei rational, die anderen seien irrational, so habe das ihr Sohn gesehen.

In dieser Phase zieht eine neue Mitbewohnerin zu Daniel E. in die Wohngemeinschaft – ausgerechnet eine tiefgläubige Christin. Yvonne T. ist aus Paderborn nach Freiburg gezogen, um hier in einem Gebetshaus mitzuarbeiten. Sie möchte Missionarin werden, lehnt Abtreibung und gleichgeschlechtliche Partnerschaften ab. Daniel T. schreibt im Sommer seiner Mutter, seine neue Mitbewohnerin sei „widerlich religiös“. Die Mutter sagt: „Ich habe gedacht, jetzt diskutiert ihn jemand in Grund und Boden.“ Das ihr Sohn Gewalt gegen andere anwenden könnte, konnte sie sich nicht vorstellen.

Doch es gibt schon vorher Brüche im Leben des Daniel E. Die Mutter berichtet vor Gericht vom Vater, zu dem sie aus Russland gezogen sei, als Daniel gerade ein Jahr alt war. Der Vater sei Alkoholiker und „seelisch grausam“ gewesen. Den Sohn missachtete er, es seien öfter Begriffe wie „Arschloch“ gefallen, doch sei ihr Mann nie gewalttätig geworden.

Sie hörten ihn laut rufen: „Ich töte sie!“

Mit zwanzig hat sich offenbar Daniel E. das erste Mal selbst verletzt, Schnitte am Oberarm, die Mutter erfährt erst viel später davon. Daniel E. hat keine Beziehungen zu Mädchen, berichtet die Mutter, zumindest wisse sie nichts davon. Die Mutter bleibt auch die einzige wirkliche Bezugsperson, als er zum Studium nach Freiburg geht.

Als ihr der Sohn 2014 eröffnet, er sei schwul, bricht sie in Tränen aus. Der Sohn fühlt sich zurückgewiesen, später sagt er, vielleicht sei er auch bloß a­sexuell. Trotzdem bleibt das Verhältnis zur Mutter eng. Sie besucht ihn in seiner Wohngemeinschaft und kann neben der Depression nichts auffälliges erkennen.

Doch da ist neben der Einsamkeit ein offenbar übermäßiger Computerkonsum. Ehemalige Mitbewohner berichten von nächtelangem Computerspielen. Sie hörten ihn dabei laut rufen: „Ich töte sie!“

Die Mutter redet sich bei ihrer Zeugenaussage ihre Schuldgefühle von der Seele. Sie habe ein schlechtes Gewissen, weil sie auf das Outing des Sohns falsch reagiert habe und bei den philosophischen Debatten mit dem Sohn überfordert gewesen sei. An die Nebenklage gewandt sagt sie: „Es tut mir unendlich leid, was mein Sohn getan hat. Ich weiß, es muss Gerechtigkeit geübt werden.“ Ihr Sohn sagt auch am dritten Verhandlungstag nichts. Daniel E. sitzt nur da und starrt vor sich hin.

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