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: Männer in starken Farben

„Brüder der Nacht“ (Österreich 2016, Regie: Patric Chiha)

Stefan, Yonko, Asen, Vassili und die anderen jungen Männer sind aus Bulgarien gekommen. Sie sind Roma, sie kamen nach Wien auf der Suche nach Geld, Jobs, Perspektive. Gelandet sind sie im Rüdiger, einer noch ziemlich neuen Schwulenkneipe in der Rüdigergasse in Margareten in Wien. Hier spielen sie Billard, hier arbeiten sie als Stricher, hier stellen sie die Kontakte zu den meist älteren Herren her, hier hat sie auch Regisseur Patric Chiha gefunden, der sie in „Brüder der Nacht“ porträtiert.

Strikt dokumentarische Szenen in der Bar gibt es nicht viele, in den wenigen wirkt alles entspannt und wenig spektakulär. Man sieht nicht den Sex, den die Männer haben, wenn sie ihre Körper verkaufen, aber sie berichten, sie erzählen davon. Sie berichten von speziellen Wünschen der Kunden, sie erzählen von den erstaunlichen Summen, die sie für ihre Dienstleistungen manchmal erhalten, sie stehen zu Paaren zusammen, die Zahlen werden größer und größer, ein kleiner Überbietungswettstreit unter Freunden. Sie selbst sind in der Regel nicht schwul, einer berichtet, wie schwer das erst einmal war, einen hochzukriegen für die Kunden.

Auf ihren Handys zeigen die Männer stolz Bilder ihrer Kinder, Babys noch, daheim in Bulgarien; sie erwähnen die Familien, die Frauen. Die Frauen wissen nicht, womit die Männer in der Ferne das Geld verdienen, das ihnen zu Hause dann den Lebensunterhalt sichert. Dennoch zeigen die Männer sich der Kamera offen, berichten ohne Hemmungen, erzählen von schwulem Sex im Detail, man merkt, wie sehr sie die geteilten Erfahrungen miteinander verbinden. Sie erzählen offenkundig im Wissen darum, dass diese Bilder die Familien in ­Bulgarien wohl niemals erreichen.

Der Film geht in seiner Darstellung der Prostituierten sehr eigene Wege. Schon zu den Eröffnungsbildern vom Fluss in der Nacht spielt Mahler-Musik. Daraus entwickelt sich eine Matrosenfantasie in teils improvisierten, teils geskripteten (jedenfalls geskriptet wirkenden) Dialogen. Sofort ist damit klar: Chiha will nicht das Ambiente verdoppeln, nicht die Not der Männer unterstreichen, sondern er tut, was der Titel schon sagt: Der Film zeigt sie als das, was sie auch sind, Brüder der Nacht. In vielen Szenen setzt er darum einen anderen als den dokumentarischen Rahmen. Stellt die Männer in Gruppen zusammen, richtet das Licht ein in betont künstlichen starken Farben, viel Blau, viel Pink, Szenen, die an die Filme von Kenneth Anger oder Fassbinder erinnern – und das natürlich auch sollen (Kamera: Clemens Hufnagel).

Es ist weniger so, dass die Männer sich einfach nur selbst spielten in diesen Szenen. Eher setzt der Film sie zu sich selbst in eine Distanz, die sich der sehr stilisierten, sehr geformten Form des Spielfilms und der Inszenierung verdankt. Ein Verfremdungseffekt, aber keiner, der in einem strengeren Sinn auf Reflexion setzt, schon gar nicht auf irgendeine Moral von der Sache. Es geht um etwas ganz anderes, nämlich darum, den Männern in der Stilisierung gerade als Individuen und Subjekten eine Form der Souveränität zu verleihen, die sie über die Verhältnisse stellt, in denen zu leben sie sich nur sehr bedingt ausgesucht haben.

Darüber hinaus dürfen sie sich geradezu filmstarmäßig in Großaufnahmen drapieren und von ihren Leben erzählen. Es ist nicht so, dass Chiha ihnen ihren eigenen Text wegnehmen oder vorschreiben will. Sie sollen sie selbst sein dürfen in einer Form, die ihnen der Film, aus der ästhetischen Tradition schwulen Kinos gespeist, zur Verfügung stellt. Am Ende bedarf es gar keiner Worte mehr. Da ist nur noch Licht, Musik, Tanz, Bewegung junger, schöner, souveräner Körper. Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich