Gaphic Novel über Familie und Abschied: Erinnerungen sterben nicht

In einem ruhigen Ton erzählt Paco Roca im Comic „la casa“ von einer Familie, die Abschied vom Haus des Vaters und so vom Vater selbst nimmt.

Eine Zeichnung zeigt einen Jungen, der in einem Baum sitzt und eine Frucht isst

Ort der Ruhe: Vergessen im Feigenbaum Foto: Reprodukt

Der Schauplatz ist übersichtlich: Ein kleines, verwohntes Haus mit Gartengrundstück an einem namenlosen Ort in Spanien, das einer Familie lange Zeit als Ferienhaus diente. Seit einem Jahr, seit dem Tod Antonios, der allein hier lebte, steht es leer. Seine drei erwachsenen Kinder, die zum Teil selbst Eltern geworden sind, kehren nun ins nutzlos gewordene Haus zurück, um es zum Verkauf herzurichten.

Im Laufe dieser gemeinsam verbrachten Tage wird offenbar, was die Seele des Hauses ausmacht. Die in unterschiedlichen Berufen und Familienritualen steckenden Nachkommen treffen auf einen ihnen zwar vertrauten, doch auch fremd gewordenen Ort und beginnen sich zu erinnern, vor allem an gemeinsame Erlebnisse mit dem Vater. Dessen Marotte war es, jedes Wochenende mit Arbeiten am Haus zu verbringen, etwa dem Ausheben eines Grabens für den Pool. Auch die Kinder wurden in die Arbeit eingebunden. Und selbst die Enkel haben Erinnerungen.

Der 1969 geborene spanische Comiczeichner Paco Roca hat bereits mehrfach in seinen Graphic Novels vom Altern erzählt, vor allem in der grandiosen Alzheimer-Studie „Kopf in den Wolken“ (2007) und auch in der Rahmenerzählung seines Zweiter-Weltkriegs-Epos „Die Heimatlosen“(2013). Dabei gelangen ihm eindringliche Charakterstudien älterer Männer. In seiner neuesten Comic-Erzählung verarbeitet er den Tod seines eigenen Vaters. Jedoch geht es ihm nicht nur um den verstorbenen Menschen, sondern auch um die Hinterbliebenen. Auch wenn Roca in „la casa“ nicht dezidiert autobiografisch wird, stattdessen von einer fiktiven Familie erzählt, so kommt doch eines von Antonios Kindern einem Selbstporträt Rocas nahe.

Es ist der Schriftsteller José, der im Gegensatz zu seinem handwerklich versierten Bruder Vicente über weniger Geschick verfügt. Roca wählt einen ruhigen, fast meditativen Erzählton, der den Blick auf die kleinen, scheinbar belanglosen Dinge lenkt. Eine Stelle im Mauerwerk, in der die Geschwister vor Jahren ihre Namen einritzten. Einen fast verkümmerten Feigenbaum im Garten.

Paco Roca: „la casa“. Aus dem Spanischen von André Höchemer. Reprodukt Verlag, Berlin. 128 Seiten, 20 Euro

Gerade in der Beschreibung von Nebensächlichkeiten gelingen Roca treffende Charakterisierungen der Geschwister: Latente Konflikte werden angedeutet, die in der Kindheit ihren Ursprung haben und wieder neu aufflammen. Durch wenige präzise Striche in der Mimik oder der Gestik seiner Protagonisten gelingt es dem Zeichner, wesentliche Charakterzüge eines Menschen oder auch allgemeingültige Verhaltensmuster innerhalb einer Familie bloßzulegen, in der so mancher Leser die eigene erkennen wird.

Ein posthumes Geschenk

Meist behält Roca dieselbe Kadrierung über eine lange Bildstrecke bei, um eine Atmosphäre vom jeweiligen Ort – der Küche, dem Garten – herzustellen und Beziehungen zwischen den Personen in Echtzeit genauer zu beleuchten. Dabei bricht er dieses Schema auch immer wieder auf, schafft subtile, fast surreale Übergänge von der Gegenwart zu subjektiven Erinnerungsbildern, in denen etwa die Jüngste der Geschwister, Carla, sich an das Werkeln mit dem Vater im Garten ihrer Kindheit erinnert. Erlebnisse flackern auf, an die jahrelang nicht mehr gedacht wurde oder die einen neuen Blick auf den Vater werfen.

Das Haus, so erkennen die Geschwister erst spät, ist Teil ihrer Erinnerung an den Vater. Können sie es wirklich verkaufen oder sollte es doch im Familienbesitz bleiben? Durch die gemeinsame Zeit, die die Geschwister zwangsweise mit der Herrichtung des Hauses verbringen, kommen sie sich wieder näher. Und es kommen auch Details zur Sprache, die den Tod des Vaters betreffen. Hätte er noch länger leben können?, fragt sich Carla, die den kranken, langsam verstummenden Vater regelmäßig bei Arztbesuchen begleitete. Wie ein posthumes Geschenk an den Vater erscheint die Idee Josés, einen seiner Träume, das Haus betreffend, noch zu verwirklichen.

Paco Roca zeigt in seiner lebensnahen und anrührenden Hommage, was der Verlust eines Angehörigen bedeutet und dass die Erinnerungen nicht mit ihm sterben. Vielleicht bedarf es aber mancher Anlässe oder Orte, um diese wachzuhalten. In seinen nüchternen, in gedämpften Farben gehaltenen Zeichnungen gelingen ihm erstaunlich tiefe Einblicke in menschliche Gefühlswelten.

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