Hiphop von Loyle Carner: Der junge Milde

Ein neuer Posterboy der britischen Rapszene: Loyle Carner und sein jazziges Debütalbum „Yesterday’s Gone“ machen Furore.

Junger Mann mit krausen Locken

„Halt dein Rückgrat straighter als ein blinder Homophober“, rappt Loyle Carner Foto: Laura Coulson

Sieht so der kommende Player des BritHop aus? Benjamin Coyle-­Larner ist 22 Jahre alt, hat kurze, krause Locken, hochgezogene Augenbrauen, Sommersprossen und neugierig flackernde, braune Augen. Er sitzt zurückgelehnt in einem Sessel und redet fast genauso, wie er rappt: temporeich, abgehackt, und selbstbewusst.

„Im Alter von 14 habe ich begonnen, Musik zu machen“, erzählt der Londoner, „damals habe ich Gedichte und HipHop-Reime geschrieben, um meine Gedanken zu sortieren. Ich war ziemlich introvertiert.“ Seinen ersten Auftritt hatte er 2012, danach ging alles schnell: Debüt-EP mit 19, Konzerte und Kollaborationen mit Kate Tempest, ein Auftritt im Vorprogramm des New Yorker Rapstars Nas. Inzwischen sind seinetwegen selbst die Hallen in London voll – im Februar gastiert er zweimal hintereinander in einem Club mit 2.000er Kapazität.

Der Erfolg in England ist wenig verwunderlich. Loyle Carner versteht es, verschiedene Genres zu verrühren und darüber mit unaufdringlichem Sprechgesang zu rappen. BoomBap, Grime und Blues – all diese (Sub-)Genres finden sich in den 13 Songs des Debüts, an dem unter anderem der Musiker Kwes als Produzent und der Rapper Rebel Kleff mitbeteiligt sind. Kann man überhaupt von einem HipHop-Album sprechen? „Doch ja, aber es gibt auch andere Einflüsse. Man denkt immer, ein Songwriter wie Bob Dylan ließe sich nicht vergleichen mit einem Common – aber man kann! Der Sound ist anders, aber die Geschichten, die sie erzählen, sind ähnlich.“

Die Story, die Loyle Carner auf seinem Debüt erzählt, ist seine eigene: Aufgewachsen ist er im Südosten der britischen Hauptstadt, seine Mutter ist halb Britin, halb Schottin, sein Vater kommt aus Guyana. Der verlässt die Familie, als Benjamin klein ist – heute betrachtet er seinen britischen Stiefvater als Vater. Benjamin Coyle-Larner hat von früh auf mit ADHS und einer Leseschwäche zu kämpfen. Der Buchstabendreher im Künstlernamen: ein Witz auf eigene Kosten.

Fucking sad Jazz statt Goldkettenrap

Aus seinem Elternhaus nimmt er die Musikleidenschaft mit. Von der Mutter vor allem Funk, Disco und Jazz, vom Stiefvater Rock und Punk. Zur Musik kam er dennoch über Umwege: Erst wollte er Schauspieler werden und studierte am Drama Centre London. Als sein Stiefvater starb, schmiss er 2014 die Schauspielschule. Aus seiner Trauer wurden Songs für die EP.

Mit „Yesterday’s Gone“ will Loyle Carner dieses Kapitel abschließen. „Everybody says I’m fucking sad / Of course I’m fucking sad / I miss my fucking dad“, rappt er im Song „BFG“. Seinem Stiefvater setzt er musikalisch ein Denkmal, indem er im Finale des Albums Gitarrenaufnahmen von ihm sampelt. Auch seine Mutter kommt auf „Yesterday’s Gone“ in einigen Samples zu Wort, in gewisser Weise ist es ein Familienalbum geworden.

Loyle Carner: „Yesterday’s Gone“ (AMF Records/Caroline International)

Loyle Carner steht in der Tradition von Bands wie De La Soul oder A Tribe Called Quest, die Jazz und Rap musikalisch enger verknüpften und positiver und spielerischer rüberkamen als viele Goldkettenrapper. Für Loyle Carner kann HipHop auch Wundenlecken bedeuten: „Manche Leute glauben, ein Rapper könne sich nicht öffnen. Ich glaube das nicht. Wenn ich mich verletzlich zeige, dann bin ich ja eigentlich stark.“

Berührung mit dem gepimpten Schmetterling

Melancholie zeigt sich auch musikalisch: Da ist der smarte Sprechgesang, der von relaxten Midtempo-Gitarrenriffs getragen wird. Da stößt ein Saxofon im tollen Song „Ain’t Nothing Changed“ einen Seufzer aus (gesampelt wird ein Stück des italienischen Komponisten Piero Umi­liani), da geben Moll-Klaviertöne den Ton an. Mit dem Sample des Gospelklassikers „The Lord Will Make A Way“ vom S. C. I. Youth Choir (1969) leitet er das Album ein – und knüpft so deutlich an die HipHop-Meisterwerke der jüngeren Vergangenheit wie „To Pimp A Butterfly“ von Kendrick Lamar an.

Obwohl „Yesterday’s Gone“ ein nachdenkliches HipHop-Album ist, kommt es dennoch vorwärtsgewandt daher. Im Interview klagt Loyle Carner zwar über Trump und bedauert seine eigenen – dunkelhäutigen – Verwandten in den USA, auch das Brexit-Dilemma bereitet ihm Sorgen. Und doch blickt er optimistisch in die Zukunft: „Ich habe keine Angst. Ich weiß, dass es unter den jüngeren Briten viele brillante Leute gibt.“ Den Alltag der Vielfalt, den er aus London kennt, verteidigt er: „Es ist angenehm multikulturell. So begegnest du immer Menschen, die dir eine Geschichte von anderswo erzählen. Das ist inspirierend.“

Loyle Carner nimmt seine Inspiration aus allen Lebensbereichen. Shakespeare-Fan ist er und schätzt David Bowie. Und gegen Ende des Gesprächs verrät er noch, dass er Sympathien für Jürgen Klopp hegt, den deutschen Trainer des FC Liverpool. Gut möglich, dass 2017 ein gutes Jahr wird, für Liverpool und für Loyle Carner.

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