Regierungskonzept für Abschiebungen: Auf-Wiedersehen-Kultur

Bund und Länder wollen bei Abschiebungen gemeinsam handeln. Mehr als 80.000 Menschen sollen Deutschland 2017 verlassen.

Hauptsache weg: Sammelabschiebung am Baden-Airport in Rheinmünster, Baden-Württemberg Foto: dpa

BERLIN taz | Die Bundesregierung hat sich mit den Ländern offenkundig auf ein weitreichendes Konzept für verstärkte und schnellere Abschiebungen verständigt. Wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am späten Donnerstagnachmittag mit den MinisterpräsidentInnen trifft, dürfte es vor allem um semantische Feinheiten gehen.

Das geht aus einer überarbeiteten Fassung der Beschlussvorlage für das Treffen hervor, auf die sich das Bundeskanzleramt mit den Staats- und Senatskanzleien der Länder bereits geeinigt hat. Das siebenseitige Papier, das der taz vorliegt, zeigt: größere inhaltliche Streitpunkte gibt es nicht mehr, auch die umstrittenen Bundesausreisezentren sind weiterhin im Text aufgeführt.

Offen sind vielmehr vor allem stilistische Fragen: Bedarf es nun „einer nationalen Kraftanstrengung“ oder nur „weiterer erheblicher Anstrengungen von Bund und Ländern“, um zusätzliche Verbesserungen in der „Rückkehrpolitik“ zu erreichen? 80.000 Menschen mussten Deutschland im vergangenen Jahr wieder verlassen. Bund und Länder wollen nun dafür sorgen, dass diese Zahl steigt.

Eine ältere Version der Beschlussvorlage, die am Mittwoch bekannt geworden war, umfasste noch 16 Punkte, die Merkel mit den Regierungschefs vereinbaren wollte. Jetzt sind es nur noch 15 – was allerdings keine gravierende Änderung ist, weil nur ein zuvor eigenständiger Punkt unter einen anderen subsumiert wurde. Auch ansonsten sind die Unterschiede zwischen den Papieren überschaubar. Beispielsweise soll nunmehr nicht mehr die Überwachung von „Gefährdern“, sondern von „ausreisepflichtigen Ausländern“ aus Gründen der inneren Sicherheit erleichtert werden.

Vorschlag: Bundespolizei soll abschieben

Die wirklich heiklen Fragen wurden in dem Papier bewusst vage formuliert. Etwa wenn es darum geht, ob die Bundespolizei künftig für Abschiebungen aus den Ländern zuständig sein soll und Menschen, die keine Bleibeperspektive haben, in sogenannten Bundesausreisezentren, sprich Abschiebelagern in Flughafennähe, untergebracht werden.

In dem Papier heißt es: „Der Bund prüft, ob und inwieweit er eine ergänzende Vollzugszuständigkeit bei der Aufenthaltsbeendigung übernehmen kann. Dazu können insbesondere Bundeausreiszentren gehören, die den Ländern eine Verantwortungsübergabe für die letzten Tage oder Wochen des Aufenthalts von Ausreisepflichtigen ermöglicht.“ In der verquasten Formulierung steckt föderaler Sprengstoff: sollen die Länder hoheitliche polizeiliche Aufgaben auf den Bund übertragen? Kaum denkbar, dass die Länder das zulassen, aber prüfen, kann der Bund es ja mal.

Grüne gegen Bundesausreisezentren

Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter wandte sie sich am Donnerstag im SWR gegen diese Idee. Die Länder seien besser in der Lage, die Größe der Einrichtungen zu bestimmen und etwa dafür zu sorgen, dass Kinder in die Schule gingen, so lange dies ihnen möglich sei. Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg ist man ebenfalls höchst skeptisch.

Auch ein weiterer Punkt ist heikel. So will das Bundesinneministerium bis zum 1. Mai „Anwendungshinweise“ vorlegen, um die Anwendung von Duldungsregeln vereinheitlichen. Derzeit können die Länder laut Aufenthaltsgesetz eigenmächtig entscheiden, ob sie Abschiebungen aus humanitären Gründen für drei Monate aussetzen. Schleswig-Holstein macht derzeit davon Gebrauch und hat sich nicht an Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligt.

Abschiebung nach Afghanistan „unverzichtbar“

Hier sollen Bund und Länder künftig an einem Strang ziehen. Innenminister Thomas De Maizière (CDU) hält Abschiebungen in das Bürgerkriegsland sogar für „unverzichtbar“, wie er am Donnerstag in der ARD sagte. Grüne, Linkspartei und Teile der SPD lehnen dies ab.

Keinen Dissens gibt es bei dem Ziel, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge schneller bearbeiten soll, damit abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden können. Außerdem sollen für abgelehnte Asylbewerber, die von den Behörden als eine „Gefahr für die Innere Sicherheit eingestuft werden“, die Überwachung erleichtert und die Abschiebehaft erweitert werden.

Auch eine Aufstockung der Mittel um 40 und 50 Millionen Euro für freiwillige Rückkehr- und Reintegrationsprogramme stößt in den Ländern auf Zustimmung.

Der Chef der thüringischen Staatskanzlei Benjamin Hoff (Linkspartei) bezweifelt grundsätzlich den Sinn des Treffens. „Die Ziele, die die Bundesregierung hier verfolgt, können auch im regulären Gesetzgebungsverfahren von Bundestag und Bundesrat behandelt werden. Die Bundesregierung sollte den Eindruck vermeiden, dass sie die Ministerpräsidentenkonferenz instrumentalisiert, weil sie das Beratungsverfahren im Bundesrat scheut“, teilte Hoff der taz mit.

Scharfe Kritik kommt von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Sie wirft der Regierung vor, Eilverfahren durchsetzen zu wollen und dabei Standards des Asylrechts zu missachten. Bei der Ablehnung von Asylanträgen gebe es heute schon viele Fehlentscheidungen, erklärte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Die neuen Pläne hätten eine klare Intention: „Das Ziel ist nicht, die Menschen über die für sie beste Perspektive zu beraten, sondern sie abzuschieben.“ In einer Stellungnahme bezeichnet Pro Asyl die Pläne der Kanzlerin ferner als „brutale Entmutigungs- und Vergrämungspolitik gegen Asylsuchende“.

In Deutschland leben derzeit rund 200.000 ausreisepflichtige Flüchtlinge, 150.000 von ihnen mit einer Duldung, die aus unterschiedlichen Gründen nicht sofort abgeschoben werden dürfen. Im vergangenen Jahr haben rund 55.000 abgelehnte Asylbewerber Deutschland „freiwillig“ verlassen, weitere 25.000 wurden abgeschoben.

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