Anschläge in Pakistan: Wiedergeburt des Terrors

Eine Bombenserie und ein blutverschmierter Schrein: Pakistan erlebt nach zwei relativ ruhigen Jahren eine neue Dimension der Gewalt.

Protestierende Männer mit Plakaten

Protest gegen Terror am Freitag in Peschawar, Pakistan Foto: reuters

ISLAMABAD dpa | Am Morgen nach der Bombe knien die Gläubigen auf Blut. Jemand hat die Schuhe der Toten weggeräumt, die die Explosion ihnen von den Füßen gerissen hatte, die Arme, die wie Puppenglieder von Körpern abgetrennt worden waren. Den weißen Marmorboden von den dunkelroten Schmierspuren zu befreien, dafür hatte wohl noch niemand Zeit.

Der kleine Ort Sehwan in Südpakistan steht unter Schock. In der Nacht hat sich in ihrem Sufi-Schrein ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Mindestens 80 Menschen sind tot. Es war einer der schwersten Anschläge in der Geschichte des Landes – gleichzeitig Höhepunkt einer ganzen Welle neuer Gewalt in Pakistan.

In nur fünf Tagen sind in Pakistan insgesamt mehr als 100 Zivilisten, Polizisten und Soldaten ums Leben gekommen. Fast jeden Tag, jede Nacht hat es geknallt, und es hat in den Menschen schlimme Erinnerungen wachgerufen an den Krieg mit den Extremisten, der zwischen 2003 und 2014 mehr als 20.000 Zivilisten das Leben gekostet hat. Die Anschläge und zum Schluss der blutverschmierte Schrein – es war nach massiven Militäroffensiven gegen die Extremisten und zwei relativ ruhigen Jahren ein Schock für die Nation.

Wo kommen die schon fast totgesagten Extremisten wie die Schachtelteufel nun plötzlich wieder her?, fragen die Pakistaner.

So plötzlich kommt die Wiedergeburt des Terrors allerdings nicht, sagt der Sicherheitsanalyst Amir Rana. Das Militär habe die Strukturen der Extremisten nur temporär geschwächt. „Wir sehen schon seit Monaten, dass sie ihre Kräfte jetzt zusammenschließen.“

Der Anschlag ist international verurteilt worden. Die Tat sei ein „hinterhältiger Terroranschlag“, der sich gegen nichtsahnende Pilger richtete, sagte auch ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Freitag in Berlin. „Unsere Gedanken sind bei den Familien der Opfer.“

Pakistanische Sicherheitskräfte gingen mit großer Härte gegen Tatverdächtige vor. Nach offiziellen Angaben vom Freitag wurden 100 mutmaßliche Aufständische getötet und zahlreiche verhaftet, wie der arabische Sender Al-Dschasira berichtete.

Der Armeechef, General Qamar Javed Bajwa, sagte: „Jeder Tropfen von dem Blut unserer Nation wird gerächt werden, und zwar sofort. Keine Zurückhaltung mehr für niemand.“ Am Freitag strömten indes weiter Pilger zu dem Schrein.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), gegen die der Staat von Anfang an scharf vorgegangen war, lasse nun die vormals geschwächte Lashkar-e Jangvi die Drecksarbeit machen, zahle aber tüchtig dafür, sich zu den Anschlägen bekennen zu dürfen. Der IS unterstützt nun zudem, so heißt es aus Sicherheitskreisen, die brutale Terrorgruppe Jamaat ul-Ahrar. Die hatte in den vergangenen Tagen die meisten Anschläge für sich reklamiert. Und auch unter den zersplitterten pakistanischen Taliban gebe es Versuche, die Reihen zu schließen, sagt Amir Rana.

Angst vor dem IS in Afghanistan

Wieso die Islamisten gerade diese Woche losschlagen mit ihrer Serie von Bomben? Die Bandbreite der Meinungen ist groß und reich an Spekulationen über „feindliche Mächte“ und „Agenten fremder Interessen“. Einige sehen die Gewalt aber auch in einem größeren Zusammenhang: als Reaktion auf Versuche, in der Region die Sicherheitszusammenarbeit zu verbessern.

Erst am Mittwoch hatten sich in Moskau zum ersten Mal die sechs einflussreichsten Staaten der Region getroffen, zusammengebracht von einer gemeinsamen Furcht: der vor dem IS in Afghanistan, der in einer zunehmend rechtlosen Umgebung allen Versuchen trotzt, ihn auszulöschen. Selbst sonst verfeindete Staaten saßen zusammen am Tisch: Indien und Pakistan, Pakistan und Afghanistan.

Dass die Anschläge nun Ärger machen zwischen Afghanistan und Pakistan – umso besser für die Extremisten, sagen Experten. Je mehr Unfrieden, desto besser ihre Chancen zu überleben. Pakistan wütet, dass alle Anschläge der vergangenen Tage von afghanischem Boden ausgegangen seien.

In der Tat hatten seine Militäroffensiven viele pakistanische Islamisten nach Afghanistan getrieben, wo Hunderte sich auch dem IS angeschlossen haben sollen. Und auch die Führer von Jamaat ul-Ahrar leben auf afghanischem Boden. Also zitiert am Morgen die Regierung afghanische Diplomaten herbei und überreicht eine Liste mit 76 Namen von pakistanischen Terroristen, die sofort auszuhändigen seien.

Die Pakistaner interessieren diese demonstrativen Schuldzuweisungen eher wenig. Der bekannte Journalist Omar Quraishi bringt die Stimmung auf den Punkt: „Beschuldigt ruhig Afghanistan, Indien, Amerika oder Mickey Mouse für die Attentate – Was tut ihr, um sie zu stoppen?“

Wenig Vertrauen zwischen Pakistan und Afghanistan

Der Sicherheitsanalyst Amir Rana sagt, es gebe da nur zwei Wege: zum einen „intensive Geheimdienstoperationen gegen Islamisten in Pakistan selbst“. Zum anderen Verhandlungen mit Afghanistan über gemeinsame Operationen gegen die Terroristen, die dort Zuflucht gefunden haben.

Das allerdings ist wenig wahrscheinlich. Nach einem extrem blutigen Anschlag in Pakistan auf eine Armeeschule im Dezember 2014 waren die beiden Länder schon einmal an diesem Punkt. Die Täter waren nach Afghanistan geflohen, und wochenlang flogen hochrangige Militärs hin und her, um über eine Kooperation zu verhandeln.

Aber Afghanistan wollte zuerst ein viel größeres Problem lösen: das der pakistanischen Unterstützung für die afghanischen Taliban. Die aber sind seitdem nur stärker geworden und die Afghanen damit unwilliger zu helfen. Die Konsequenz für beide Staaten: weniger Vertrauen, noch mehr Gewalt.

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