Mann der Melancholie

Konzert „Angstpop“ nennt SOHN seine Musik, den traurigen Sound der Verunsicherung: Mit seinem zweiten Album „Rennen“ ist er auf Tour

„Rennen“ handelt vom Ankommen-Wollen, von der Suche nach dem Hafen Foto: David Oliveira

von Annabelle Seubert

Er kommt auf die Bühne, als hätte er etwas im Büro vergessen: Hut auf, Mantel an. Den Kragen hochgeklappt, setzt er sich vor seinen Synthesizer, legt die Finger aufs Keyboard, richtet das Mikro – und das war’s dann mit Action, damit ist für diesen Freitagabend alles an Pose erreicht: SOHN sitzt nämlich, während seines Konzerts im Berliner „Astra“-Club, und zwar bis zum Schluss.

Er wird auch nicht viel reden, drei-, viermal „Thank you“ und einmal „okay“ sagen, Letzteres eher fragend, das Publikum um Bestätigung bittend: Mache ich das richtig so? Und was soll man sagen, ja, macht er, schwer zu sagen, wie.

So schlicht, wie seine Karriere begann – 2012, mit ein paar hochgeladenen Songs auf Soundcloud –, so reduziert ist sein Auftritt, seine Musik; und genau so hat er sich lange in der Öffentlichkeit gegeben. Mit Fotos, auf denen er nur schwer zu erkennen war, mit dem Verschweigen seines gewöhnlichen Namen Christopher Taylor und nicht zuletzt einem Künstlernamen, der, so sagt er, gar nichts über seinen Musikstil verrät.

SOHN möchte ein Rätsel oder nur manchmal berühmt sein und ist das, was man einen Electronica- und Post-Dubstep-Act nennt. Gebürtiger Londoner, hat er längere Zeit in Wien gelebt; zunächst arbeitete er für andere Künstler und schließlich mit ihnen: er hat für Lana Del Rey geremixt, mit Rihanna Strophen geschrieben, mit The Weeknd produziert. Sein erstes Album „Tremors“ enthob ihn 2014 vollends der Anonymität, in der er sich wohl zu fühlen scheint – dann ging alles sehr schnell, in zwei Jahren dreimal auf Welttournee. Seine Electro-Hits wurden 60 Millionen Mal im Netz gestreamt, SOHN fand eine neue Liebe, zog nach Los Angeles, wurde Vater.

„Rennen“ nennt er deshalb sein zweites Album, das in einem Akt des Zwangsrückzugs entstanden ist: Als es ihm zu viel wurde mit den Artists in L. A. und all jenen, die dort gern welche wären, hat er sein Equipment genommen und sich ins menschenarme nordkalifornische Nichts abgesetzt, um im Poolhaus eines Freundes seine Tracks zu fertigen. Binnen eines Monats, meist nachts. Dort, im Refugium, hat SOHN zehn Stücke geschrieben, die eigentlich die Fortsetzung dessen erzählen, was der Titel verspricht: Wer viel läuft, wird müde, und so handelt „Rennen“ vom Ankommen-Wollen. Vom Fertig- und Ausgereistsein, von „stormy weathers“, „still waters“, der Suche nach dem Hafen.

Ob er das nun ist, im Hafen? Eine Menge getrunken hat er, das gibt SOHN preis. Auch in „Hard Liquor“, dem Intro der Platte, eigentlich einer Liebeserklärung, in der er beat- und R’n’B-lastig die zahlreichen Absacker mit einem Mädchen aus früheren Zeiten beschwört: „She don’t need my muscle / 'Cause her liquor’s strong“.

Eine Menge Zukunftssorgen macht er sich, im ähnlich mächtigen „Conrad“ etwa, das mehr ein Pop- als ein Berghain-Stück ist. Den Zustand der Welt hinterfragt er da – und weshalb ihn so viele, von Trump bis Klimawandel, zu verfolgen scheinen. Nach uns die Sintflut: „For another summer living in denial.“

Sonst gibt es einen Schluck aus der Wasserflasche hier, ein paar Lichteffekte da – mehr braucht SOHN im „Astra“ nicht. Aufstehen, warum? Das hier ist Mystik. One-Night-Stand-Musik. Abgrundtieftrauriges Geziepe und Gerausche, das am allerschönsten vielleicht auf „Harbour“ klingt, da nämlich traut er sich im letzten Drittel noch mal und fährt die Regler langsam hoch, bis man wirklich meint, einen schweren Dampfer ablegen zu hören.

Und das hier ist Trost. „Angstpop“, wie SOHN sagt. Der Sound eines Verunsicherten, der Verunsicherte versteht; den Um-die-Dreißig-Jährigen sichtlich nahe, die sich – wie er – größtenteils in Schwarz gekleidet haben und sich, wie er, nur wenig zu bewegen wagen. Sich wiegen, in Dunst und Rotlicht getauchter Melancholie. Sie alle wissen wohl, wovon er singt.

23. Febr., Mojo-Club Hamburg