Später noch in die Disko

Wiederentdeckt Das Regenbogenkino zeigt mit Uwe Frießners Film „Baby“ ein seltenes Juwel der Westberliner Kinogeschichte

Die Freundschaft von Baby zu den kleinkriminellen Halbstarken René und Pjotr entwickelt eine zunehmend ungesunde Dynamik Foto: Regenbogenkino

von Andreas Hartmann

Nicht nur runde Geburtstage wollen gefeiert werden. Das Regenbogenkino in Kreuzberg wird in diesem Monat 36 Jahre alt und möchte deswegen zumindest leise ein paar Sektgläser klirren lassen.

Und zwar mit einem Spezial im März, das genau die Zeit des Mauerstadt-Berlins beleuchtet, in der das kleine Kino mit den gemütlichen Sofas damals gegründet wurde. In der Reihe „Drehort West-Berlin in den achtziger Jahren“ werden dabei nach Art des Hauses die eher weniger bekannten Berlin-Filme gezeigt, also nichts von Wim Wenders, sondern etwa Horst Markgrafs „Pochmann“ von 1988 mit dem jungen Oskar Roehler in der Hauptrolle, der zu grobkörnigen Schwarzweißbildern durch Kreuzberg und Charlottenburg streift.

Und vor allem Uwe Frießners „Baby“ von 1984, ein echtes Juwel, für dessen Wiederentdeckung allein man dem Regenbogenkino schon dankbar sein müsste. „Baby“ ist Frießners zweiter Film nach seinem ungleich bekannteren Regiedebüt „Das Ende des Regenbogens“, und es ist eigentlich kaum zu verstehen, warum dieses Werk heute nicht wenigstens Kultfilmstatus hat und nicht einmal auf DVD erhältlich ist.

Eine eindringlichere „Berlin in den Achtzigern“-Atmosphäre, wie sie in „Baby“ gezeichnet wird, ist schließlich kaum vorstellbar. Dabei taucht man jedoch nicht in das heute so verklärte Mauerstadt-Berlin David Bowies und sagenhafter Subkulturen ein, sondern in das weit uncoolere Berlin, wie es sich damals im Märkischen Viertel zeigte, in dem der Film hauptsächlich spielt. Die Männer hier haben allesamt verwegene Fußballermatten oder wenigstens Strähnchen im Haar, die Frauen tragen Dauerwelle. Man hört daheim im Wohnzimmer mit Plastikpalme und Fototapete „dufte“ Platten auf seiner Stereoanlage und geht später noch in die Disko.

In genau so einer mit dem verheißungvollen Namen „Pick Up“ arbeitet „Baby“, ein junger Mann, der davon träumt, eine Sportschule zu eröffnen und der selbst begeisterter Karateka ist. Baby raucht und trinkt nicht, er ist Sportler, entwickelt jedoch eine Freundschaft zu den kleinkriminellen Halbstarken René und Pjotr, von denen zumindest Pjotr ein echtes Alkoholproblem hat. Baby erkennt die Chance, mit den kleinen Raubüberfällen, auf die sich seine neuen Freunde spezialisiert haben, schneller an das Geld zu kommen, das er für seine Sportschule benötigt. Alles läuft auch ganz gut, bis das Trio auf die Idee kommt, endlich mal ein größeres Ding zu drehen.

Die Männer hier tragen verwegene Fußballermatten, die Frauen Dauerwelle

Der Plot, den sich Frießner für „Baby“ ausgedacht hat, ist eigentlich ein ziemlich konventioneller, und der Film erscheint als eine Mischung aus Buddy- und Heist-Movie. Doch die Schlichtheit der Geschichte lässt Uwe Frießner umso mehr Raum für seine wunderbaren Milieuschilderungen und genauen Beobachtungen, für die er sich bewusst drei Laiendarsteller als Hauptfiguren ausgesucht hat, die einem dann auch überzeugend das Gefühl vermitteln, einfach nur sich selbst darzustellen. Man nimmt teil an ausgiebigen Diskothekenschlägereien zu der Musik von Spliff, erlebt René als lieblosen Familienvater, der das Spielzeug seines kleinen Sohns achtlos beiseitetritt, plump Frauen anbaggert und einen auf Luden macht. Und man spürt eindringlich den Drang des sensiblen Baby, endlich mehr aus seinem Leben machen zu wollen.

Die Freundschaft der drei entwickelt eine zunehmend ungesunde Dynamik für Baby und ist gleichzeitig geprägt von einer letztlich nicht weiter thematisierten homoerotischen Spannung. Frießner urteilt nicht über seine Figuren, lässt diese einfach machen und zieht einen so hinein in seinen Film. Die Spannung bei den Überfällen gerät fast schon zur Nebensache, und es erscheint beispielsweise viel interessanter, wie Pjotr und Baby sich kurz vor ihrem letzten Coup noch einmal herzlich umarmen.

Am Ende geht natürlich alles gründlich schief: Pjotr und Baby flüchten vor der Polizei nach Kreuzberg. In einer Telefonzelle Ecke Wiener Straße erfahren sie, dass René bereits geschnappt wurde. Das Regenbogenkino befindet sich nur ein paar Meter entfernt davon.

„Baby“ (1984), Regenbogenkino, Lausitzer Str. 22, 10. 3., 19.30 Uhr mit Uwe Frießner, 11. 3., 22 Uhr, 12. 3., 19.30 Uhr; „Pochmann“ (1988), 19. 3., 21 Uhr, 20. 3., 19.30 Uhr