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: Die ganz hohe Schule
der Twists and Turns

„Der unsichtbare Gast“ (Spanien 2016; Regie: Oriol Paulo)

Ein klassisches Locked Room Mystery auf den ersten Blick: Ein Mann erwacht in einem Raum, neben ihm eine Leiche, um sie verstreut sehr viel Geld. Seine Fingerspuren finden sich an der Waffe, das Zimmer ist verschlossen, es gibt keine ersichtliche Möglichkeit des Entkommens. Vor ein solches Rätsel hat schon Edgar Allan Poe in „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ seine Leser gestellt. Viele, sehr viele Autoren taten es ihm nach. Morde in verschlossenen Räumen sind so etwas wie die Königsdisziplin jener Sorte Krimi, die es darauf anlegt, die Leser rätseln zu lassen und dabei konsequent auf falsche Fährten zu locken.

In Oriol Paulos Thriller „Der unsichtbare Gast“ ist das Rätsel um den verschlossenen Raum allerdings selbst eher etwas wie eine Fährte als schon der eigentliche Punkt. Denn nichts ist, was es scheint. Aber das, was nicht ist, was es scheint, ist deshalb noch lange nicht das, was es dann erst einmal nicht scheint. Also ganz hohe Schule der Twists and Turns. Dabei ist auf den ersten Blick alles recht einfach: Der höchst erfolgreiche Manager Adrián Doria (Mario Casas) wird neben der Leiche einer Frau gefunden, die sich als seine Geliebte entpuppt. Er ist des Mordes verdächtig, beschwört jedoch seine Unschuld. Weil er reich ist, kann er sich die beste Anwältin leisten, die der Markt hergibt: Virginia Goodman (Ana Wagener), die in ihrer langen Karriere noch keinen Fall verloren hat.

Mit dem verschlossenen Raum korrespondiert eine weitere räumliche, auch eine zeitliche Beschränkung: Virginia Goodman sucht den auf Kaution Entlassenen Doria in seiner Wohnung auf und gibt ihm drei Stunden Zeit, ihr reinen Wein einzuschenken. Und siehe da: Der Aufenthalt in dem verschlossenen Raum ist der Endpunkt einer komplizierten, einer ganz anderen Geschichte, bei der eins zum anderen führte: ein Unfall, eine kleine Tat, die beim Versuch, sie aus der Welt zu schaffen, größere Taten nach sich zog, Tode, Morde, eine Kette von Verhängnissen, die sich mit unaufhaltbarer Dynamik entwickeln.

Umso großartiger, wie Paulo seinen Film in zwei Räumen einerseits stillstellt, die Entwicklung des Verhängnisses im Flashback entwickelt, und zwar so, dass auch das, was sich in den geschlossenen und vermeintlich statischen Räumen vollzieht, durch das, was man beim Erzählen erfährt, erheblich affiziert wird.

Wenn man sich endlich auf der richtigen Spur wähnt, sieht man sich erneut irre­geleitet

Jedes weitere Wort über den Plot wäre ein Wort zu viel. Schon vom Blick auf die Besetzungsliste ist abzuraten. Es ist ein großes Vergnügen, Oriol Paulo auf seinen kunstvoll ausgelegten falschen Fährten zu folgen. Nichts von dem, was er tut, ist wirklich neu, wie sollte es das nach 150 Jahren Rätselkrimigeschichte auch sein. Es ist aber in einem sehr klassischen Stil inszeniert, der auch in den einzelnen Einstellungen den Draufblick mit sehr gezielter Wahl der gezeigten Details kombiniert. Identifikationen und Sympathien werden mit einiger Raffinesse geleitet – das heißt auch: unvermittelt verschoben. Und noch die Twists, die mit einem Schlag die Lage nicht der Dinge, aber ihrer Wahrnehmung verändern, sind fast wie bei einem Mobile so gegeneinander versetzt, dass man sich, wenn man sich endlich auf der richtigen Spur wähnt, erneut irregeleitet sieht.

So wird auch das Rätsel des verschlossenen Raumes gelöst, aufwendig, nach allen Regeln der Kunst. Allerdings … nein, kein allerdings. Alle weiteren Konjunktionen, jedes „aber“ und „in Wahrheit“, würde den Genuss bei der Sichtung dieses Meisterstücks der Krimihandwerkskunst zu sehr schmälern. Am Ende, so viel sei verraten, fällt eine Maske. Aber nicht unbedingt dort, wo man denkt.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 10 Euro im Handel erhältlich